Politiker von CDU und SPD streiten sich heftig bei den Gesprächen zur Vorbereitung der gemeinsamen Regierung. Doch am Ende lässt die SPD sich wieder ordentlich über den Tisch ziehen, wetten?
Wer dem Vorsitzenden der SPD Hessen vertraut, könnte meinen, die Partei würde sich für Arme und Geringverdiener einsetzen. Zu den Verhandlungen mit der CDU über eine Bundesregierung behauptete Thorsten Schäfer-Gümbel am 15. Oktober: »Alles was dazu führt, dass Ungleichheit und Ungerechtigkeit zunehmen, ist mit uns nicht zu machen. Die Bedingungen für eine Große Koalition sind Arbeit und soziale Gerechtigkeit.« Was Schäfer-Gümbel nicht gesagt hat, ist, mit welchen konkreten Gesetzen eine CDU-SPD-Regierung Arbeitsplätze und mehr Gerechtigkeit schaffen sollen.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles war am 14. Oktober sauer, weil CDU-Politiker ihr vertrauliches Angebot an die Medien gegeben hatten, wonach die Höhe eines gesetzlichen Mindestlohns von einer »unabhängigen Kommission« festgelegt werden solle. Einen Tag vorher hatte Nahles noch behauptet, ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde sei eine zwingende Bedingung für eine Regierungsbeteiligung.
Helmut Schmidt: Kette rauchen und kürzen
Warum kümmert die SPD nach Wahlen ihr Programm nicht mehr? Der bisherige stellvertretende Vorsitzende der LINKE-Fraktion Ulrich Maurer hält das »Personaltableau« der Partei für eine zentrale Ursache. Doch in Wirklichkeit hat die SPD nicht nur in der Gerhard-Schröder-Regierung ab 1998 und der folgenden Großen Koalition ihre Wahlversprechen gebrochen.
Schon Helmut Schmidt unterhielt die Menschen zwar mit Kette-Rauchen im Fernsehen und hanseatischer Kauzigkeit. Politisch beschloss er von 1974 bis 82 hingegen Kürzungen im öffentlichen Dienst, zahlreiche Repressionen gegen Linke mit dem Vorwand, die RAF zu bekämpfen und die Stationierung von US-amerikanischen Atombomben in Westdeutschland.
Auch der französische Sozialdemokrat Francois Hollande ist letztes Jahr mit großen Hoffnungen auf soziale Gerechtigkeit zum Präsidenten gewählt worden. Jetzt beschließt er milliardenschwere Kürzungen und führt Krieg in Mali.
Schröder: Wettbewerbsfähigkeit statt Sozialstaat
Der Grund, warum Sozialdemokraten nach Wahlen fast immer ihre Forderungen »vergessen«, ist weder ihr Machtstreben noch ihr schlechter Charakter. Vielmehr führt sie ihr bedingungsloses Festhalten an der Marktwirtschaft zu einer praktischen Politik, die sie theoretisch ablehnen.
In Schmidts Amtszeit fielen zwei Jahre der wirtschaftlichen Rezession: 1975 und 82. Seine Versuche, die Wirtschaft durch Investitionsprogramme zu beleben, scheiterten, und so griff Schmidt in den 80er Jahren zu marktliberalen Kürzungen der Staatsausgaben, die er vorher für grundfalsch gehalten hatte.
Auch Gerhard Schröder regierte Deutschland während der Rezession 2002 und gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Seine Lösung war, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft mit der Einführung von Hartz IV und der Ausweitung von Leih- und Zeitarbeit zu verbessern.
Schröders Politik war nach diesem Maßstab erfolgreich: Die deutschen Konzerne erreichen heute größere Gewinne denn je, auf Kosten von Millionen Menschen, deren Löhne kaum erhöht werden, bei deutlich steigenden Preisen. Auch Hollande begrub seine sozialen Pläne schon kurz nach der Wahl, weil die französische Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt und die Staatsverschuldung deutlich höher ist, als es die Regeln der Eurozone zulassen.
Die europäische Wirtschaft steckt in der Krise
Andrea Nahles gehörte nie zur Macht-Clique von Gerhard Schröder, sondern kritisierte seine »Agenda 2010« schon vor zehn Jahren öffentlich. Sie ist Mitglied der sogenannten »Parlamentarischen Linken« in der SPD-Fraktion und fordert die Einführung einer Vermögenssteuer.
Trotzdem wird Nahles bald einen Koalitionsvertrag vorstellen, der kaum soziale Forderungen des SPD-Wahlprogramms konkret festschreibt und die folgende Regierung wird noch weniger umsetzen. Denn seit jeher sind sich SPD und CDU in einem zentralen Punkt einig: Wohlstand und soziale Sicherheit sind erst dann möglich, wenn die Wirtschaft ausreichend wächst.
Wobei auch ein Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent 2010 nicht zu sozialerer Politik führte. Wohingegen die Kosten der Bankenkrise 2009 zum großen Teil von der Bevölkerung bezahlt werden mussten und nur zu einem geringen Teil von den verantwortlichen Banken.
Noch mehr als zu Zeiten Helmut Schmidts oder Gerhard Schröders steckt die europäische Wirtschaft heute in einer Krise, aus der es kein Entkommen gibt. Weil die deutschen Exporte zu 69 Prozent in andere europäische Länder gehen, ist es eine Frage der Zeit, wann die deutsche Exportwirtschaft unter der Krise leidet und Arbeitsplätze vernichtet.
DIE LINKE sollte mit der Sozialdemokratie brechen
Zwar gelang es den deutschen Unternehmen bisher, die Verluste in Europa durch Wachstum in China auszugleichen. Doch auch dort droht dieses Jahr das niedrigste Wirtschaftswachstum seit 1990 und nächstes Jahr voraussichtlich noch weniger.
DIE LINKE sollte sich nicht als Wiedergeburt der »alten SPD« verstehen, denn durch das Vertrauen auf Wohlstand durch kapitalistisches Wachstum war die marktliberale Wende der »neuen SPD« eine fast zwangsläufige Folge der »alten« Partei. Vielmehr muss eine linke Partei sich heute fragen, welche Alternativen es zum Kapitalismus gibt und wie diese erreicht werden können.
Wenn DIE LINKE sich zum Ziel setzt, soziale und ökologische Bewegungen mit aufzubauen, um den krisenhaften Kapitalismus irgendwann zu überwinden, kann sie zum Beginn einer neuen Zeit beitragen. Wenn sie jedoch glaubt, tun zu können, was noch niemand geschafft hat und die Marktwirtschaft per Gesetz sozial und gerecht zu machen, wird sie scheitern wie die SPD.
Von Hans Krause