SPD-Politiker und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück laviert in seinem letzten Interview im Spiegel hilflos hin und her zwischen Bankenrettung einerseits und »ganz harten Auflagen« für die Schuldnerländer andererseits, als ob dies die Bankenrettung nicht wieder in Frage stellen würde. Er ist nur ein Beispiel für die Ratlosigkeit der derzeitigen kapitalistischen Euro-Politik. Von Thomas Walter
Thomas Mayer, Volkswirt der Deutschen Bank, beschreibt den bisherigen Plan A des europäischen Kapitals etwa folgendermaßen: Die Arbeiterklasse sollte von zwei Seiten her in die Zange genommen werden. Mayer spricht von zwei »Säulen«, auf denen die Europäische Union, die EU, ruhen sollte.
Zum einen sollten die nationalen Staaten der EU weiterhin gegenseitig um die Gunst des internationalen Kapitals konkurrieren müssen, Union her oder hin. So würden sich in der EU automatisch kapitalfreundliche Verhältnisse durchsetzen.
Zum anderen sollte zur »unsichtbaren Hand« des Marktes noch die »unabhängige« Europäische Zentralbank treten, die EZB, und jeden Versuch, Löhne oder Sozialausgaben zu erhöhen, unauffällig durch »Sicherung der Preisstabilität« vereiteln. Die EZB würde einfach die Geldpolitik »straffen« und so eine Krise mit Arbeitslosigkeit auslösen, so dass Gewerkschaften und Sozialpolitik sich den »Sachzwängen« beugen müssten.
Ins Klo gegriffen
Die Eurokrise hat nun diesen Plan A zunichte gemacht. Leider griff schon im Vorfeld der Eurokrise die unsichtbare Hand der Märkte ins Klo. Sie funktionierte nicht im Sinne des Kapitals. Obwohl der griechische Staat zum Beispiel viel stärker verschuldet war als der deutsche, erhielt er zu fast den gleichen Bedingungen Kredit. Die »Märkte« gingen einfach davon aus, dass es notfalls zu einem »Bail-out« Griechenlands kommen würde. Die starken Volkswirtschaften der EU, Deutschland und Frankreich, würden ja bei einer griechischen Staatspleite über politische, wirtschaftliche und finanzielle Verflechtungen selbst mit drin hängen. Ihnen bliebe also gar nichts anderes übrig als zu helfen, trotz allem Gerede, jeder sei für sich selbst verantwortlich.
Obwohl ein Bail-out, eine Rettung durch andere EU-Staaten, in den EU-Verträgen, dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag), ausdrücklich verboten war, gingen die Märkte ganz realistisch davon aus, dass im Ernstfall das gekippt würde. Was die Märkte vermutet hatten, wurde in der Krise wahr. Die »No-Bailout-Klausel« des AEU-Vertrages wurde rasch neu gedeutet. Jetzt ist nur noch davon die Rede, dass diese Klausel zwar automatische Hilfen durch andere EU-Länder verbietet, aber keine »freiwilligen«.
Gewaltige Summen
Auch die zweite Säule, die so genannte unabhängige EZB, »bröckelt«, wie Mayer betrübt feststellt. Der AEU-Vertrag verbietet der EZB den »unmittelbaren« Ankauf von Staatsanleihen. Also kauft die EZB die Staatspapiere eben »mittelbar« von den Banken, nicht unmittelbar von den Regierungen selbst. Diese ganzen gegen die Arbeiterklasse geschaffenen Gesetze werden flugs außer Kraft gesetzt oder umgangen, wenn sie sich als Hindernis für Kapitalinteressen erweisen.
Inzwischen flossen zugunsten der Banken bereits gewaltige Summen oder müssen gegebenenfalls zur Begleichung von Garantien gezahlt werden. Nach Berechnungen des ifo-Institutes erhielten sog. notleidende Euro-Staaten alles in allem Kredite von bislang rund 800 Milliarden Euro. Diese Summe steige mit den Gipfelbeschlüssen vom 21. Juli 2011 auf bis zu 1,7 Billionen Euro. Das deutsche Haftungsrisiko betrage 465 Milliarden Euro. Offiziell laut Bundesfinanzministerium beträgt die deutsche Haftung für die Garantien des Euro-Rettungsschirms, der 780 Milliarden Euro umfasst, 211 Milliarden Euro, mit »Risikopuffer« 253 Milliarden Euro.
Reiche ärmer machen
Das Eurokapital steckt in einem Dilemma. Einerseits wäre es für die Banken das Beste, die EZB kauft weiter einfach rasch und unbürokratisch alle Staatspapiere auf. Dann wären die Banken diese faulen Papiere los und könnten wieder Geschäfte machen. Doch je großzügiger so verfahren wird, desto weniger Druck kann man auf die einzelnen Regierungen gegen die Bevölkerung ausüben. Schließlich soll die Bevölkerung für die Krise zahlen. Peer Steinbrück: »Man darf mit keiner Sanktion drohen, wenn man nicht bereit ist, sie auch zu vollziehen.« Allerdings wären im Pleitefall eine Menge reicher Leute deutlich ärmer geworden. Ihre Guthaben bei den Banken wären futsch. Der Ökonom Hans-Werner Sinn stellt dazu in einem Interview mit der Welt fest: »Griechenland ist ein Paradefall. Die Kapitalmärkte stellen sich in dieser Finanzkrise nur eine einzige Frage: Zahlt Deutschland oder zahlt es nicht? Und wenn Griechenland fallen gelassen wird, befürchtet man, dass Deutschland auch bei anderen Ländern nicht zahlen wird. Dann verlieren viele reiche Leute einen Teil ihres Vermögens. Das ist genau der Punkt. Es geht nur darum.« Originalton Peer Steinbrück dazu: »Natürlich müssen die Deutschen zahlen.«
Zwischen diesen beiden Polen, Hilfe für die Banken einerseits, keine Hilfen, um Druck auf die Regierungen aufzubauen, andererseits, wird nun ein Eiertanz veranstaltet. Alle so genannten Lösungen bewegen sich irgendwo dazwischen. Mal soll die EZB Papiere von einer europäischen Institution aufkaufen dürfen, die dann erst Kredite »unter strengen Auflagen« an Schuldnerländer vergibt. Mal soll eine europäische Institution Eurobonds vergeben. Für diese haftet die EU insgesamt. Ihr Kreditausfallrisiko ist somit geringer als das der Schuldnerstaaten. Die Kosten der Krise werden auf die ganze europäische Bevölkerung verteilt und nicht nur auf die Bevölkerung der Schuldnerstaaten. Diese Bonds wiederum sollen dann mal unter »strengen«, mal unter »ganz strengen« Spar-Auflagen an Schuldnerländer weiter verliehen werden. Doch je strenger die Auflagen, desto unwahrscheinlicher die Rettung, desto tiefer sinken die Aktien der Banken. Je großzügiger die Hilfen, desto höher stehen die Bankaktien, aber desto schwächer ist der Druck zum »Sparen«.
Eine dritte Lösung, an der wohl auch »aus Angst vor einem Crash des Finanzsystems« gebastelt wird, ist der »EU-Superstaat«. Diesen darf man sich wohl nicht als Demokratie vorstellen. So antwortete Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der EZB, auf die unschuldige Frage der Wirtschaftswoche, ob man die parlamentarische Kontrolle nicht auf das Europaparlament übertragen könnte: »Also wenn das Europaparlament diese Zuständigkeit bekäme, dann kann man sicher sein, dass das eine extrem wirksame Kontrolle wird.« Wirtschaftswoche: »… leider können wir unseren Lesern das Gesicht nicht zeigen, das Sie gerade machen.« Soviel zum Demokratieverständnis des Präsidenten des Center for Financial Studies. Ob ein solcher EU-Superstaat angesichts der konkurrierenden europäischen Kapitalinteressen zustande kommt, zumal sich ja doch die Frage einer politischen Legitimierung stellt, ist fraglich.
Steinbrück will Bevölkerung zahlen lassen
Peer Steinbrück mischt sich, wie viele andere, aus all dem ein eigenes Cocktail zusammen und stellt es als seine »Lösung« vor. Zunächst stellt er klar, zahlen für die Krise soll die Bevölkerung, auch die deutsche. So genannte unabhängige Institutionen, die Steinbrück’sche Variante des EU-Superstaates, sollen »makroökonomisch überwachen«, die Steinbrück’sche Variante einer staatskapitalistischen Planwirtschaft. Die Risiken, die die EZB den Privatbanken abgenommen hat, sollen »auf die Gesellschaft EFSF«, auf die so genannte Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, der Rettungsschirm der europäischen Regierungen, übertragen werden. Steinbrück hätte auch einfach sagen können, »sollen auf die Gesellschaft übertragen werden«. Denn für den Rettungsschirm haftet die Gesellschaft. Die übertragenen Risiken sind schon bei der EZB sozialisiert, endgültig dann beim Rettungsschirm, der unmittelbar von den Steuerzahlern der Staaten zu finanzieren ist. Das so der europäischen Bevölkerung abgenommene Geld soll Griechenland geliehen werden unter »strengen« Sparanforderungen. »Wenn die Anforderungen an Griechenland nicht ernst genommen werden, landen wir im Treibsand.«
Der Spiegel bemerkt richtig, dass wenn Griechenland diese strengen Sparauflagen nicht einhalten kann, der EZB gar nichts anderes übrig bleiben wird, als selbst wieder Griechenland Geld zu leihen, weil sonst die Banken pleite gehen. Das passt Steinbrück gar nicht: »Nein. Es kommt nicht soweit, weil es nicht so weit kommen darf.« Finster droht er: »Dann kriegt Griechenland kein Geld mehr. Es kann keine Gehälter und keine Renten mehr zahlen, griechische Banken fallen… Dann müssen wir uns ganz warm anziehen.« Hier dürfte Steinbrück bluffen, natürlich wird die EZB die Banken retten.
Alternativen zum Hick-Hack
Gibt es Alternativen zu diesem Hick-Hack? FDP-Politiker Frank Schäffler meint »ja«: »Es gibt Alternativen zum derzeitigen planwirtschaftlichen und rechtswidrigen Handeln der europäischen Regierungen und der EU-Kommission. Planwirtschaft und Rechtsbruch sind nicht alternativlos. Wir müssen uns jedoch trauen, die Alternativen zu bedenken, zu wählen und anschließend mutig umzusetzen. Vor allem müssen wir anfangen, die heute vielfach geschürte Angst vor der Freiheit zu bekämpfen.« Hier muss man nur noch ergänzen, dass Schäffler eine staatskapitalistische Planwirtschaft von oben, statt einer demokratischen anspricht und dass für Alternativen gekämpft werden muss. Auch Hans-Werner Sinn weiß Rat: »Aber die Franzosen müssen ihre Banken selber retten. Die müssen sie eben wenn nötig verstaatlichen. Und falls hierzulande Banken in Schwierigkeiten kommen, müssen wir sie auch verstaatlichen.« Sinn schlägt – eigentlich selbstverständlich – vor, staatliche Kapitalhilfen nur gegen Aktien und damit gegen staatliches Mitspracherecht zu geben. Hier muss man nur noch ergänzen, dass der Staat dann auch die Bankgeschäfte im Interesse der Allgemeinheit führen muss. Statt die Verluste der Banken zu sozialisieren, muss ihre Politik sozialisiert werden.
Schließlich fordert der Chef-Volkswirt der Fraktion DIE LINKE Michael Schlecht zu Recht, dass die Reichen besteuert werden müssen. Das Geld ist da. In der Eurozone, rechnet Schlecht vor, gibt es ein Geldvermögen von 12 Bio. Euro. Die gesamte Staatsverschuldung beträgt dagegen knapp acht Billionen Euro. In Deutschland steht einem Nettogeldvermögen von 3,3 Bio. Euro eine Staatsverschuldung von zwei Billionen Euro gegenüber. Einschließlich des Sachvermögens verfügen die privaten Haushalte in Deutschland über mehr als acht Billionen Euro. Dabei ist das Vermögen hoch konzentriert. Die reichsten zwanzig Prozent der Bevölkerung verfügen über mehr als 80 Prozent des Vermögens. Laut Schlecht würde eine Millionärssteuer von fünf Prozent auf Vermögen über eine Million Euro jährlich 80 Mrd. Euro einbringen.
Reiche besteuern
Die LINKE sollte hier schon deshalb nicht zögern, weil tatsächlich schon Steuern eingetrieben werden. So leihen sich die Banken bei der Zentralbank Geld, wie Frank Schäffler beklagt, zu »1, 1 ¼ oder 1 ½ Prozent«, um es zu »7, 12 oder 20 Prozent« an Regierungen weiterzuleihen. Beachtliche Zinsgewinne machen die Banken so auch gegen Private. Alle reden von »Finanztransaktionssteuer«, die Banken treiben sie ein.
Die Linkspartei sollte auch den europäischen Widerstand von unten unterstützen. In der FAZ wird deutlich ausgesprochen, dass je stärker der Widerstand der Bevölkerung gegen die Sparpakete ausfällt, desto »attraktiver«, wie es die FAZ nennt, werden »Umschuldungen« für die Regierungen. Das heißt, wegen »innenpolitischem Druck« werden die Gläubiger von Griechenland oder Portugal oder anderer hoch verschuldeter Staaten, im Wesentlichen das große Kapital, die Verluste tragen müssen und entsprechend weniger die Bevölkerung.
Insgesamt legt auch diese Krise einen Widerspruch des Kapitalismus offen, der die ganzen Dilemmata verursacht, vor denen die Politik der Herrschenden steht. Im Kapitalismus wird privat angeeignet, doch steht dies im Widerspruch dazu, dass längst tatsächlich gesellschaftlich produziert wird. Die ordoliberale Vorstellung, mit der auch Sahra Wagenknecht kokettiert, einzelne Produzenten, einzelne Banken, einzelne Länder in die Verantwortung nehmen zu können, ist unrealistisch. Immer deutlicher wird, dass gesellschaftliche Produktivkräfte auch gesellschaftlich und nicht individuell organisiert werden müssen. Andernfalls stehen immer mehr Krisen auf der Tagesordnung. Die nächste Realkrise ist laut Meinung vieler Ökonomen schon im Anmarsch.
Zum Autor:
Thomas Walter ist Ökonom und Mitglied der Partei DIE LINKE.
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