Regionale Standortpolitik löst Ostdeutschlands Strukturprobleme nicht. Stattdessen ist ein Abschied vom Konzept der »verlängerten Werkbank« notwendig. Ein Beitrag zur Programmdebatte. Von Klaus-Dieter Heiser. Vorabveröffentlichung aus marx21, Heft 17
Zutreffend analysiert der Programmentwurf der LINKEN den gegenwärtigen Kapitalismus: »Das Kapital treibt Produktivität, Erfindungsgeist und Innovation voran, wo immer es damit Profite machen kann. Zugleich werden Arbeitsplätze vernichtet, Wohlstand wird zerstört und an der Natur Raubbau betrieben.
Auch blutige Kriege werden in Kauf genommen, wenn auf diese Weise Profite gesteigert und gesichert werden können.« Die neoliberale Politik habe durch Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung die Wurzeln für die gegenwärtige Krise gelegt, die sich, wenn nicht politisch gegengesteuert werde, zur Katastrophe auswachsen könne. Der ideologische und politische Bankrott des Neoliberalismus sei offenkundig. Weiter heißt es: »Als erster Schritt ist ein grundlegender Richtungswechsel der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung notwendig, ein sozialökologischer Umbau. Die nachhaltige Überwindung der wirtschaftlichen Krise und Massenarbeitslosigkeit, der sozialen Krise und der Energie- und Klimakrise erfordert eine andere Wirtschaftsordnung, die nicht mehr vom Streben nach maximalem Profit beherrscht wird.«
Ein solcher von den LINKEN angestrebter Perspektiven- und Strategiewechsel wird aber nur erreicht werden, wenn gewerkschaftliche und soziale Kämpfe ein höheres Niveau erreichen. Das gilt für den Westen und Osten Deutschlands in gleichem Maße. DIE LINKE ist in der Verantwortung, politisch mobilisierend und konkret solidarisch zu wirken und aktiv für eine Ausweitung der Tarif- und Sozialstandards zu mobilisieren.
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Nicht alle Teile des Programmentwurfs werden dem gerecht, zum Beispiel der Abschnitt »Förderung strukturschwacher Regionen, Verantwortung in Ostdeutschland«. Leider beschränkt sich der Entwurf hier weitgehend auf eine Art regionaler Standortpolitik und nimmt einen Blickwinkel »von oben« ein, den der staatlichen und parlamentarischen Ebene. Zwar werden eingangs »gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland und eine Angleichung der Lebensverhältnisse in der Europäischen Union« gefordert, ausgeführt wird dieser Punkt jedoch nur am Beispiel Ostdeutschlands. Hier reklamiert DIE LINKE eine besondere Verantwortung und Kompetenz für sich, die in der Geschichte der Vorläuferpartei PDS ihre Grundlagen haben. Die PDS kümmerte sich als ostdeutsche Regionalpartei in den 1990er Jahren um die »Wendeverlierer«, insbesondere um ihre sozialen Probleme, und setzte auf Mittelstandsförderung angesichts weitgehender Deindustralisierung in Ostdeutschland.
Die gegenwärtigen Probleme werden im Programmentwurf als »Entwicklungsnachteile Ostdeutschlands« charakterisiert. Ist das zutreffend? Zwanzig Jahre nach ihrem Beitritt sind die ostdeutschen »neuen« Länder zu einem integralen Bestandteil der Bundesrepublik geworden. Kritisch zu prüfen ist, ob die in der dortigen LINKEN weit verbreitete Sicht zutreffend ist, dass Ostdeutschland auf längere Sicht ein spezifischer regionaler Raum Deutschlands bleiben wird und deshalb speziell die Problematik der Regionalentwicklung dort im Parteiprogramm thematisiert werden muss. Die Deindustrialisierung im Osten und der Technologiewandel im Westen haben regional zu ähnlichen Ergebnissen geführt. Unterschiedlich waren Anlass und Verlauf. Unübersehbar ist, dass in den letzten 20 Jahren in Ostdeutschland ein grundlegender Wandel in den sozial-ökonomischen Bedingungen herbeigeführt wurde. Im Osten wurde experimentiert mit Öffnungsklauseln für Tarifverträge, vereinfachten Privatisierungen öffentlicher Betriebe bis zu Niedriglöhnen. Öffentliche Mittel wurden ohne wirksame Auflagen für den Erhalt bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze gezahlt. Steuergelder wurden ausgegeben, ohne auf die Eigentümerstruktur Einfluss zu nehmen und wirksame demokratische Kontrolle und Mitbestimmung der Beschäftigten zu verankern. Das hätte auch dem neoliberalen Leitbild des Umbaus Ost widersprochen. Entstanden sind so im industriellen Bereich »verlängerte Werkbänke« der bundesdeutschen und internationalen Konzerne. Sie sind extrem anfällig für konjunkturelle Schwankungen und verfügen kaum über eigene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Das gilt auch für die sogenannten Leuchttürme, zum Beispiel für den Hightech-Standort Dresden, an dem konjunkturbedingt der Chiphersteller Qimonda abgewickelt wurde. So hat Wigand Cramer von der IG Metall errechnet, dass ein Drittel der Chipproduktion in Sachsen vom Steuerzahler finanziert wurde. Zukunftsfragen sind so, wie die Erfahrungen in Ostdeutschland beweisen, nicht zu lösen. Der im Programmentwurf als »Entwicklungsnachteil Ostdeutschlands« bezeichnete Zustand erweist sich also bei genauerer Betrachtung nicht als »aufzuholender Nachteil«, sondern als Ergebnis einer mit eindeutiger Zielsetzung durchgeführten Entwicklung zum Nutzen des Kapitals. Diese Entwicklung ist zu beenden, sie bedarf einer »Wende«.
Welche politischen Lösungen werden im Programmentwurf vorgeschlagen? Im Mittelpunkt dieses Abschnittes stehen Landesentwicklungskonzepte zur Förderung strukturschwacher Regionen. Die Konzepte im Programmentwurf folgen weitgehend den in den ostdeutschen Landesverbänden der LINKEN entwickelten Leitbildern und Landesentwicklungskonzepten für eine »selbsttragende Entwicklung und zukunftsfähige Region, gegründet auf den sozialökologischen Umbau der Gesellschaft«. Voraussetzung sei dafür, heißt es beispielsweise im Leitbild »Ostdeutschland 2020«, neben einer starken Vertretung der LINKEN in allen ostdeutschen Parlamenten, »ihre wachsende Pflicht und Chance zu gestalterischer Verantwortung in der Exekutive«. Der Schlüssel wird also in den Landesregierungen gesucht.
Unterstellt, der Partei DIE LINKE gelinge es, sehr gute Wahlergebnisse zu erzielen und Positionen in Landesregierungen zu besetzen, so wird trotzdem kein Euro mehr in der Landeskasse vorhanden sein. Was bleibt dann von den Landesentwicklungskonzepten mit Vorschlägen wie »Förderung von Zukunftsbranchen und -unternehmen und von Zentren regionaler Wirtschaftsentwicklung durch Kooperation von Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmensnetzen«? Wird diese Industriepolitik realisiert, bedeutet das Einschnitte in anderen Bereichen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst und im Sozialbereich.
So werden beispielsweise nach den jüngsten Zahlen der Steuerschätzung in Brandenburg, wo DIE LINKE gemeinsam mit der SPD regiert, in den Jahren 2010 bis 2013 durch Steuern und Finanzausgleich 355 Millionen Euro weniger in die Kassen des Landes fließen als bislang angenommen. Finanzminister Helmuth Markov erklärte dazu: »Die erneut gesunkenen Einnahmeerwartungen zwingen uns, die Notwendigkeit von Ausgaben erneut zu prüfen. Einschnitte werden sich nicht vermeiden lassen, wenn wir die Schuldenbremse einhalten und die Nettokreditaufnahme weiter zurückführen wollen.« Und das Loch in der Landeskasse wird nach 2013 noch größer werden. Zu fragen ist auch, wer den Nutzen haben wird, wenn Unternehmen gefördert werden, wenn Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmensnetze kooperieren. Technologischer Wandel würde gefördert, um Kapitalinteressen zu bedienen. Auch das ist nicht originell: Alle Bundesregierungen seit 1990 haben hunderte Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln in den Umbau Ost gesteckt. Gestärkt wurde damit vor allem das kapitalistische Eigentum, auch im Zeichen des technologischen Wandels.
Damit sind die Zukunftsfragen nicht zu lösen. Es geht 20 Jahre nach dem Scheitern des Staatssozialismus um die wirksame Mobilisierung zur Überwindung des Neoliberalismus. Es geht um die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse. Es ist zu bezweifeln, ob eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern vor Ort an der Umsetzung von staatlichen Regionalentwicklungsplänen und Bürgerhaushalten diese Dynamik entwickeln kann.
Klassenkämpfe in Ostdeutschland waren in der Vergangenheit eher gering entwickelt. DIE LINKE trägt eine hohe Verantwortung dafür, dass sich das ändert. Statt Industriepolitik, die in den letzten 20 Jahren lediglich zu »verlängerten Werkbänken« von nationalen oder internationalen Konzernen geführt hat, oder statt der Förderung von Klein- und Mittelbetrieben sind Mobilisierungen in den Betrieben, auf der Straße, an Schulen und Hochschulen notwendig, damit gesellschaftlicher Druck entsteht, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Deshalb gehören zum Beispiel die Forderungen nach kostenloser Bildung, Abschaffung von Hartz IV, gesetzlicher Mindestlohn in Konzepte für Regionalentwicklungen. Sie sind mobilisierungsfähig. Erinnert sei an die Abwehrkämpfe in den 1990er Jahren, an den Kampf für die 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie und die Montagsdemonstrationen 2004 gegen die Hartz-Gesetze. Sie blieben auf den Osten Deutschlands beschränkt und waren vor allem deshalb nicht erfolgreich. DGB-Chef Sommer hatte nach den Montagsdemonstrationen erklärt, wenn sie auf den Westen ausgeweitet worden wären, dann »hätte das diese Republik verändert«.
DIE LINKE steht bei der Erarbeitung des Parteiprogramms in Ost und West vor derselben strategischen Aufgabe. Notwendig sind generelle Überlegungen und Schlussfolgerungen für Alternativen zum Kapitalismus, auch für die Entwicklungen in den Regionen, damit der Profit nicht der Maßstab für ökonomische Entscheidungen bleibt. Die Konsequenzen aus dem gescheiterten Staatssozialismus sind zu berücksichtigen. Nicht Förderung des kapitalistischen Eigentums oder Staatseigentum kann für DIE LINKE die Perspektive sein, sondern reale Vergesellschaftung des Eigentums an Produktionsmitteln. Dazu gehört die Erweiterung des gesellschaftlichen Eigentums in vielfältigen Formen, vor allem in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft und in der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Das bedeutet: keine öffentlichen Mittel ohne gesellschaftliche Kontrolle. Das heißt: Veränderung der Verfügung über das Eigentum an den Produktionsmitteln. DIE LINKE braucht als programmatische Leitlinie, dass sie eine Eigentumsordnung befürwortet, die das Eigentum denen zuspricht, die es geschaffen haben. Das heißt Demokratie – vom Arbeitsplatz bis zur Gesamtwirtschaft und auch auf internationaler Ebene.