Miguel Sanz des Alcantara über sozialen Widerstand und die Bankenkrise in Spanien
Anfang Juni hat Spaniens Wirtschaftsminister zum ersten Mal offen zugegeben, dass die spanischen Banken gerettet werden müssen. In den Jahren 2007 und 2008 hieß es noch: »Unsere Banken spielen in der Champions League der internationalen Banken«. Das sagte damals der sozialdemokratische Präsident Rodríguez Zapatero.
Allgemein haben die Banken eine außerordentliche Macht in Europa, aber in Spanien haben die Banken einen noch größeren politischen, medialen und sozialen Einfluss: Sie erlassen die Schulden der politischen Parteien, sie beherrschen die Leitartikel der Medien, sie kontrollieren die Universitäten und beschäftigen hunderte Intellektuelle, die Meinungen in ihrem Interesse verbreiten. Auf diese Weise fiel es ihnen leicht, die Öffentlichkeit zu überzeugen, ihre Situation sei exzellent, als die Krise 2007 ausbrach und die Banken der halben Welt zusammenbrachen. Deshalb ist die jüngere Geschichte der spanischen Banken die Geschichte einer großen Lüge. Aber die Lüge ist zu groß und jetzt klopft die Wahrheit an die Tür. Die Wahrheit heißt Finanzloch.
Wir kennen noch nicht das genaue Ausmaß dieses Finanzlochs, aber wahrscheinlich beläuft es sich auf mehr als 300 Milliarden Euro. Die Bankenkrise ist nur der Ausdruck einer tiefen Systemkrise des Kapitalismus. Aber Spanien ist ein Extremfall der Finanzkrise.
Als die Krise 2007 ausbrach, wurden in Spanien eine Million Immobilien gebaut – mehr als in Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammen. Die Banken haben Millionenprofite erzielt, indem sie den Bauunternehmen Kredite gegeben haben, um mehr Häuser und Wohnungen zu bauen und den Familien Geld geliehen haben, um diese zu kaufen. Gleichzeitig haben sich die spanischen Banken bei den europäischen und nordamerikanischen Finanzinstituten Geld geliehen, um diesen ganzen Schuldenkreislauf zu finanzieren. Zwischen den Jahren 2000 und 2007 stiegen diese Schulden der Banken von 78 auf 430 Milliarden Euro.
Solange die Immobilienpreise stiegen, lief alles gut. Aber als mit dem Ausbruch der Krise im Jahr 2007 die Preise fielen, blieben die spanischen Banken auf einem Haufen wertloser Hypotheken und Häusern sitzen, die sich nicht verkaufen ließen. Viele von diesen Häusern werden nun von der Bewegung gegen die Kürzungspolitik besetzt.
Jetzt fordern die französischen und deutschen Banken ihr geliehenes Geld von den spanischen Banken zurück, aber diese können nicht bezahlen. Und es ist absehbar, was die Strategie sein wird: die privaten Schulden der Banken zu Staatsschulden zu machen. Sie wollen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter für das bezahlen, was die Banken im Kasino verzockt haben.
Die Immobilienkrise hat die spanische Wirtschaft in die Krise gestürzt: Wir haben fast 30 Prozent Arbeitslosigkeit, 52 Prozent der Jugendlichen haben keine Arbeit. 11 Millionen Menschen sind arm. 400.000 Familien haben ihre Wohnungen verloren und ebenso wie in Griechenland steigt die Selbstmordrate aus finanziellen Gründen unaufhörlich.
Was ist die Lösung der herrschenden Klasse? Kürzen, kürzen und nochmals kürzen. Die Kürzungspolitik begann mit der Regierung der Sozialdemokratie, als Rodríguez Zapatero Präsident war. Mit der konservativen Regierung von Mariano Rajoy ist der Sozialabbau jetzt in eine neue Phase getreten: Die Arbeitsmarktreform macht Entlassungen billiger, der Bildungshaushalt wurde um 22 Prozent gekürzt, die Studiengebühren sind um 66 Prozent gestiegen, die Krankenhäuser sind angewiesen, keine illegalen Migranten mehr zu behandeln – etwas, das es früher nicht gab und dem sich viele Arbeiter im Gesundheitswesen verweigern.
Auch der Widerstand gegen die Kürzungspolitik hat vor der Regierungsübernahme der Konservativen begonnen. Die Bewegung ist vor einem Jahr entstanden, am 15. Mai 2011, als Antwort auf die fehlenden Berufs- und Zukunftschancen der Jugend, und in Ablehnung der gesamten politischen Klasse. Ihr zentraler Slogan war: »Niemand repräsentiert uns.«
Die Bewegung lehnte auch die großen Gewerkschaften ab, die, obwohl sie einen Generalstreik im September 2010 organisiert hatten, einer Rentenreform zustimmten, die der Kürzungslogik folgte. Die Bewegung entstand außerhalb des Bereichs der Parteien und Gewerkschaften der traditionellen Linken. Als linke Aktivisten mussten wir in der Bewegung viel lernen. Das Misstrauen gegen jede Art von politischer Organisation, auch von kämpferischen und Basis-Organisationen war sehr groß. Trotzdem haben wir uns weiter an der Bewegung beteiligt.
Monatelang hat die Bewegung Plätze in mehr als 70 Städten besetzt. Wir haben Versammlung von 3000 bis 4000 Menschen erlebt. Zehntausende haben direkte Demokratie erfahren. Die ideologische Wirkung der Bewegung auf die gesamte spanische Gesellschaft war elektrisierend. Als Aktivist einer Basisgewerkschaft erlebe ich, wie sich nach der Bewegung der Empörten viel mehr junge Menschen gewerkschaftlich organisieren.
Die Bewegung des 15. Mai beeinflusste sehr bald die Arbeitskämpfe. Das zeigte sich besonders beim Streik der Lehrerinnen und Lehrer gegen die Kürzungen in Madrid. Trotz des Misstrauens der Bewegung gegen die beiden großen Gewerkschaften CCOO und UGT, führte die Beteiligung der Bewegungsaktivisten dazu, dass der letzte Generalstreik im März viel kämpferischer als der letzte und ein Erfolg wurde: 10,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter legten im ganzen Land die Arbeit nieder.
Nach dem Sommer 2011 ist die Führung des Kampfes auf die Arbeiterbewegung übergegangen und heute befinden wir uns in einer Phase, in der die Studierendenbewegung die Initiative ergreift. Am 22. Mai gab es den ersten Generalstreik der Geschichte im gesamten Bildungswesen, von den Kindergärten bis zu den Unis. Er war ein voller Erfolg. Derzeit befinden sich die Bergbaugebiete Spaniens, die 1934 eine soziale Revolution organisierten, in einem unbefristeten Generalstreik und wahrscheinlich wird es einen neuen Generalstreik im ganzen Land in den nächsten Monaten geben.
Die Herausforderung der radikalen Linken, die viel schwächer und zersplitterter ist als in Griechenland, wird sein, diese Kämpfe zu vereinen und einen gemeinsamen Forderungskatalog voranzutreiben.
Wenn Spanien abstürzt, können die Folgen für die EU sehr heftig sein. Die spanische Wirtschaft ist viermal so groß wie die griechische und ihre »Rettung« wird viel mehr Geld benötigen. Mit Sicherheit wird Spanien seinen Schulden nicht gewachsen sein, deshalb werden die Länder, die nicht zur Peripherie Europas gehören, besonders Frankreich und Deutschland, sehr bald die Folgen zu spüren bekommen. Von der Stabilität Deutschlands hängt in großem Maße die Stabilität des neoliberalen Projekts der Europäischen Union ab. Deshalb sollte die Linke in Deutschland sich auf das vorbereiten, was kommen wird.
Heute stehen die griechischen Arbeiterinnen und Arbeiter in der ersten Reihe des sozialen Widerstandes. Bald werden die spanischen Arbeiterinnen und Arbeiter in die erste Reihe aufrücken. Ihr, die Arbeiter und Studierenden aus Deutschland, stellt unsere letzte Verteidigungslinie dar, die letzte Möglichkeit, die herrschende Klasse in Europa zu besiegen im Kampf für ein anderes Europa.
Es ist unentbehrlich, dass wir anfangen, die Verbindungen zwischen sozialen Bewegungen und Gewerkschaften aufzubauen. Es ist an der Zeit, sich zu organisieren, zu organisieren und nochmals zu organisieren. Es ist an der Zeit, internationale Solidarität zu entwickeln und eine Bewegung auf europäische Ebene zu schaffen, die in der Lage ist, die Kürzungspolitik zu besiegen.
Zur Person / Zum Text:
Miguel Sanz de Alcantara ist Mitglied der antikapitalistischen Organisation »En Lucha« und der Gewerkschaft der andalusischen Arbeiter SAT, Sevilla. Der obige Artikel ist ein Podiumsbeitrag, den Miguel auf dem »MARX IS MUSS«- Kongress am 7. Juni 2012 in Berlin gehalten hat.