Im Juli 2009 wurde die Ägypterin Marwa el-Shirbini vor einem Gericht in Dresden von einem antiislamischen Fanatiker ermordet. Der zu Hilfe eilende Ehemann Marwa el-Shirbinis wurde vor Gericht von einem Polizeibeamten angeschossen und schwer verletzt. Unterlag der Polizeibeamte selbst rassistischen Klischees oder islamophoben Denkmustern? Dr. Sabine Schiffer, Leiterin des Institut für Medienverantwortung, wurde wegen »übler Nachrede« angezeigt, weil sie solche Fragen in der Diskussion um den Mord stellte. Ende März wurde sie von allen Vorwürfen freigesprochen. Francis Byrne befragte sie zum Thema Islamophobie.
Francis Byrne: Frau Dr. Schiffer, wie haben sie die gegen sie erhobenen Vorwürfe empfunden War nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Wissenschaft bedroht?
Dr. Sabine Schiffer: Ja, diese Bedrohung habe ich empfunden und so wie ich auch ein Aktionsbündnis, das sich kurz nach der Zustellung des Strafbefehls gegen mich gegründet hatte und online eine enorme Resonanz hervorrief. Offensichtlich haben viele Menschen es so empfunden und verstanden, dass hier grundsätzlich die rassismuskritische Forschung in Frage steht, die natürlich unangenehme Themen ansprechen muss.
Ich habe mich ja – übrigens wie einige Journalistenkollegen auch – in mehreren Interviews und auch einer konkreten Pressemitteilung zu dem Polizistenfehlschuss auf Elwy Okaz geäußert und bin nach wie vor der Meinung, dass dieser von einer unabhängigen Stelle untersucht werden muss. Wie ich in meiner Erklärung vor Gericht verlas, steht es meiner Einschätzung nach außerdem noch an, alle Unterlassungen und Fahrlässigkeiten in Dresden zu untersuchen, vielleicht außerhalb des Dresdner Langerichts.
Bei all den Ankündigungen des Mörders drängt sich meiner Meinung nach die Frage auf, ob ein Muslim, der sich ähnlich geäußert hätte wie Herr Wiens, auch ohne Durchsuchung und mit Rucksack in den Gerichtssaal spaziert wäre?
Ist ein Aspekt der Anti-Islam Kampagne der westlichen Länder die Rechtfertigung der Angriffskriege gegen Afghanistan und Irak?
Zumindest scheint es mir so, dass von Regierungsseite antiislamische Stimmungen hingenommen werden – so ist Islamfeindlichkeit kein Thema im Koalitionsvertrag und auch bei der Einberufung einer neuen so genannten Islamkonferenz wurde an das Thema nicht gedacht. Das hat mehrere »Vorteile«, wenn ich es mal so provokant bezeichnen darf.
Erstens scheint die Anti-Einwanderungspolitik gerechtfertigt zu sein durch ein höheres Sicherheitsbedürfnis – so beschreibt Liz Fekete vom Institute of Race Relations u.a. die Quasi-Abschaffung des Asylrechts für ganz Europa. Ängste und Frustrationen aus der Wirtschaftskrise lassen sich ebenso auf die markierte Gruppe der Muslime abwälzen.
Dann gibt es den Widerstand der Mehrheit der Deutschen gegen die Kriege im Ausland. Langfristig wird es auch in einer parlamentarischen Demokratie mit wenig direkter Mitbestimmung schwierig, ständig gegen das Volk zu entscheiden – da ist es nützlich und für viele verwirrend, wenn man mit dem Verweis auf »die muslimsche Frau«, die man bei einem Truppenabzug im Stich lassen würde, für die Verlängerung von Mandaten zu werben.
Notfalls engagiert man noch die ein oder andere eigens gegründete NGO, um entsprechende Stimmung zu machen und auch kritischen Journalisten zu signalisieren, dass die Menschen vor Ort für den Krieg seien. Das hat auf dem Balkan schon funktioniert und könnte langsam mal durchschaut werden – leider entpuppen sich immer mehr Menschenrechtsorganisationen als verdeckte Propagandainstitutionen und mit diesem Missbrauch werden wir für die Universalität der Menschenrechte nicht werben können.
Soll ein Sündenbock ausgeguckt werden, der es den Herrschenden gestattet, in der Krise von Sozialabbau abzulenken?
Da braucht es wohl nicht mehr viel. Durch die jahrelange fokussierte Minderheit in der Minderheit werden viele Menschen glauben, das sei das Problem. Das hätten Wirtschaftsverantwortliche wohl gern. Denn so können sie von systemischen Fehlern ablenken und noch länger so weiter machen, wie bisher.
Nun, viele beschäftigen sich mit der Systemkrise, aber ich habe noch keine neuen Konzepte gefunden – da wäre Handlungsbedarf und der würde uns allen gut tun. Zur Zeit können wir beobachten, dass gerade auf die erfolgreichen Muslime und anders markierte losgegangen wird – sie bedrohen die Privilegien der so genannten Mehrheitsgesellschaft und vielfach sind Kopftuchverbote und ähnliches Reaktionen darauf und haben nicht mit Gleichberechtigung oder anderen vorgeschobenen »Werten« zu tun.
Wie wird das Feindbild Islam geschaffen und wie stark sind die Medien beteiligt?
Unsere Medien haben hier einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet – es ist ihr »Verdienst«, bestimmte Phänomene aus der so genannten islamischen Welt so vergrößert zu haben, dass man außer diesen kaum noch etwas wahrzunehmen in der Lage ist. Neben einem großen Missverständnis, sehe ich unsere Medien auch teilweise als Opfer von Denkfabriken und PR-Aktivititäten. Immer schneller ist man dabei, einen Missstand »dem Islam« zuzuschreiben, sozusagen als omnipräsentes Erklärungsmuster – ganz so, als würde man angesichts der aktuellen Missbrauchsdebatte in den Kirchen von »Pädophilieproblemen innerhalb des Christentums« sprechen. Dabei ist über die Jahre ein kohärentes Bild entstanden: Der Muslims ist angeblich gewaltbereit, rückständig, frauenunterdrückend und wenn er das nicht ist, lügt er.
So ist keine Verständigung mehr möglich. »Der Muslim an sich« ist als »unverbesserlich« definiert – das ist zwar antiaufklärerisch, aber das fällt den lautesten Schreiern kaum auf.
Wie schätzen sie das Minarettverbot der Schweiz ein?
Die Ermutigung der rechten nativistischen Parteien scheint mir eine Folge der erwarteten Konsensfähigkeit mit dem Mainstream zu sein. Es ist eine gute Beobachtung, dass ein gewisses antiislamisches Ressentiment als angeblich »vernünftig« und fast unwidersprochen gilt. Gerade die ausbleibenden (bzw. aufs Ausland beschränkten Reaktionen) unserer Regierungsverantwortlichen anlässlich des antiislamisch motivierten Mordes an Marwa El-Sherbini ist ein nicht zu unterschätzendes Signal – leider das falsche.
Zur Person:
Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen. Zusammen mit Constantin Wagner schrieb sie das Buch »Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich«, das 2009 im HWK-Verlag erschienen ist.