Der Hamburger Senat hat in den letzten Wochen versucht, die stärker werdende linke Bewegung zu schwächen – ohne Erfolg, wie die Demonstration am 18. Januar gezeigt hat.
Trotz der bereits erfolgten Aufhebung des Gefahrengebiets haben am 18. Januar mindestens 5000 Menschen friedlich gegen Gefahrengebiete, für ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge und für den Erhalt der »Roten Flora« demonstriert. Das ist insofern besonders bemerkenswert, als die Hamburger Polizei und der Senat im Vorfeld versucht hatten, die linke Bewegung in der Hansestadt zu schwächen.
Im Verlauf des Jahres 2013 hatten drei Bewegungen zueinander gefunden: der Kampf um den Erhalt der „Roten Flora“, die Solidarität mit Flüchtlingen und die Kampagne „Recht auf Stadt“, die sich für bezahlbaren Wohnraum und eine soziale Stadt einsetzt. Bisheriger Höhepunkt dieser gemeinsamen Bewegung war eine Demonstration am 21. Dezember 2013 mit 10.000 Teilnehmern gewesen – die größte dieser Art seit den »Bambule«-Protesten im Jahr 2003 gegen den damaligen rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill. .
Gezielte Eskalation der Polizei
Mit dem offensichtlichen Ziel, die Bewegung zu spalten, haben Hamburger Polizei und Senat daraufhin gehandelt. Bei der Großdemonstration gab es massive Auseinandersetzungen. Wie sich inzwischen abzeichnet, ging die Gewalt von der Polizei aus, die an dem Tag offensichtlich die Vorgabe hatte zu eskalieren . Die Eskalation gelang zunächst: Viele Demonstranten waren wütend über das Stoppen der Demo direkt beim Start, und es flogen Böller, Steine und Flaschen auf die Polizisten. Allerdings hatte es bereits am Vorabend der Demonstration einen Angriff auf die Davidwache, eine Polizeiwache in St. Pauli, gegeben, der auch als Begründung für die Polizeigewalt diente.
Befeuert durch Hamburger Medien versuchte der Senat, eine Debatte über linke Gewalt auszulösen. Stellvertretend für die Haltung der regierenden SPD steht der Satz des Innensenators Michael Neumann, in Hamburg gebe es „kein konkretes politisches Problem“, das einzige Problem sei linke Gewalt. Legitimiert durch einen angeblichen weiteren Angriff auf die Davidwache am 28. Dezember wurde Anfang Januar ein sogenanntes Gefahrengebiet eingerichtet. In einem vier Stadtteile umfassenden Gebiet galt de facto der Ausnahmezustand, Anwohner standen unter Generalverdacht, durften jederzeit „verdachtsunabhängig“ von der Polizei angehalten und durchsucht werden.
SPD in der Defensive
Die versuchte Einschüchterung schlug fehl. Von der Einrichtung des Gefahrengebiets am 4. Januar bis zu seiner Aufhebung am 13. Januar fanden täglich mehrere Demonstrationen dagegen statt. In sozialen Netzwerken verhöhnten Aktivisten diese Politik, wobei vor allem Klobürsten einen großen symbolischen Wert bekamen, nachdem einem im Gefahrengebiet von der Polizei durchsuchten Aktivisten eine solche als vermeintliche Waffe abgenommen worden war – live vor einer Kamera der Tagesschau.
Als dann auch noch herauskam, dass die Polizei-Darstellung des zweiten Vorfalls an der Davidwache wenig mit der Wahrheit zu tun hatte, und nach einigen unsensiblen Aussagen von Bürgermeister Scholz, Innensenator Neumann und den Medien, kippte die Stimmung in der Stadt. Der Senat schwenkte überraschend schnell auf einen defensiven Kurs, hob das Gefahrengebiet auf und versprach den Erhalt der „Roten Flora“. Eine große Rolle spielte mit Sicherheit auch die Mobilisierung zu der Demonstration am 18. Januar.
Mieten, Armut und Rassismus
Die Bewegung richtet sich nämlich gegen reale Missstände. Die oben zitierte Behauptung des SPD-Innensenators, es gäbe keine politischen Probleme in Hamburg, ist mehr als absurd in einer Stadt, die Flüchtlingen kein Bleiberecht erteilt und ihnen das Winternotprogramm sperrt, in der in vielen Stadtteilen die Hälfte der Kinder in Armut lebt, und in der kaum noch Wohnungen für weniger als 12 Euro pro Quadratmeter zu mieten sind.
Auch das Thema Gefahrengebiete trägt zur Mobilisierung bei. Grundlage ist ein 2005 von einer CDU-Alleinregierung beschlossenes Gesetz, das es der Polizei erlaubt, ohne politischen Beschluss für eingegrenzte Gebiete grundlegende Bürgerrechte außer Kraft zu setzen. DIE LINKE fordert die Streichung dieses Gesetzes .
SPD-Senat gescheitert
Die Demonstration am 18. Januar kam völlig ohne Gewalt aus: „Mit einzelnen Ausnahmen (auf dem Dach der Roten Flora zündeten Vermummte bengalische Fackeln, vereinzelt flogen Böller durch die Luft) blieb diesmal alles ruhig“, schreibt selbst die Hamburger Morgenpost, die sich in den letzten Wochen vor allem dadurch ausgezeichnet hatte, Polizei-Berichte kritiklos abzudrucken. Das zeigt zum einen, dass der Senat mit seiner Politik, die Bewegung über die Gewalt-Frage zu spalten, auf ganzer Linie gescheitert ist.
Zum anderen weist es aber auch die Perspektive der Bewegung auf. Unser Ziel sollte eine breite gesellschaftliche Bewegung sein; das ist zwar ein großes Ziel, aber es ist realistisch, denn vor allem bezahlbarer Wohnraum und eine soziale Stadt sind Forderungen, die für die große Mehrheit der Hamburger wünschenswert sind. Und auch die Solidarität mit Flüchtlingen geht weit über den Teilnehmerkreis der letzten Demonstrationen hinaus.
DIE LINKE kann die Bewegung ausweiten
Für dieses Ziel einer breiten Bewegung müssen wir uns klarmachen, dass Protestformen kein Zweck an sich sind, sondern vor allem dem Zweck dienen sollten, viele Menschen zum Mitmachen zu motivieren. Das schließt kreativen Protest nicht aus, im Gegenteil. Aber es gibt keine Abkürzung über die möglichst radikale Konfrontation mit der Staatsmacht.
Zugleich haben sich die Hamburger Aktivisten, beispielsweise in der Pressekonferenz der „Roten Flora“, äußerst souverän verhalten und sind nicht über das hingehaltene Stöckchen gesprungen, sich von jeder denkbaren Gewalt zu distanzieren. Denn so viel ist klar: Den Versuch, Bewegungen über diese Frage zu spalten, wird es immer wieder geben. Und da nicht selten Polizisten in Zivil als Provokateure die ersten Steinewerfer sind – legendär ist eine Szene von den »Bambule«-Protesten, als provozierende Zivilpolizisten von aggressiven Uniformierten mit Schlagstöcken verprügelt wurden – , ließe sich ansonsten theoretisch jede Bewegung problemlos ausbremsen.
DIE LINKE spielt bereits eine gute Rolle in der Bewegung. Vor allem die Bürgerschaftsfraktion und der Bezirksverband Altona begleiten die Proteste mit einer sehr guten Öffentlichkeitsarbeit. Der Lohn ist eine stetig wachsende Zustimmung in der Bevölkerung: Für die Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2015 wird zurzeit ein Ergebnis von 9 Prozent – eine deutliche Steigerung zu den 6,4% der letzten Wahl – vorhergesagt. Bei der notwendigen Ausweitung der Bewegung in andere Milieus und Stadtteile – bisher ist sie vor allem auf die eher linken Stadtteile St. Pauli, Altona und Schanze begrenzt – könnte die Partei eine wichtige Rolle spielen.
Von Christoph Timann, Hamburg
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