Seit Wochen protestieren Studierende in Österreich. Warum das so ist und wie die Regierung den Protesten begegnet, wollte marx21 von Judith Litschauer aus Wien wissen.
marx21: Judith, du studierst an der Wirtschafts-Universität in Wien und bist selber auf der Straße aktiv. Kannst du uns mehr über die Hintergründe der Proteste erzählen?
Judith Litschauer: Die Proteste richten sich in erster Linie gegen die geplante Kürzung der Familienbeihilfe für Studierende. Die Streichung der Familienbeihilfe ab dem 24. Lebensjahr betrifft rund 43.000 Studierende, die bis zu 2.700 Euro im Jahr verlieren. Das ist ein Angriff auf unsere Existenzgrundlage. Durch diese Kürzungen wird der »freie Hochschulzugang« über die Hintertür versperrt. Weil die Bezugsdauer der Beihilfe vom 26. auf das 24. Lebensjahr herabgesetzt wird, werden sich viele Studierende das Masterstudium, das man in der Regel mit 24 beginnt, nicht mehr leisten können. Wir sagen: Bildung für alle und nicht nur für Reiche.
Wir wissen, dass es um mehr geht: Die Regierung hat im Budget für 2011 bei jungen Menschen, Familien, Arbeitslosen, Pflegebedürftigen und Behinderten den Rotstift angesetzt. Das »Sparpaket« trifft also vor allem Menschen die keine starke Interessenvertretung haben. Es ist die alte »Teile und Herrsche« Strategie. Das sich jetzt gerade die Studierenden wehren hat einen Grund: Sie sind die einzige Gruppe, der vom »Sparpaket« Betroffenen, die sowohl durch die Österreichische HochschülerInnenschaft »organisiert« sind, als auch noch durch die Proteste des Vorjahres »in Bewegung« sind. Am Abend des 24.10., einen Tag nachdem das Ausmaß der Kürzungen bekannt wurde, demonstrierten in kürzester Zeit Tausende spontan gegen das Sparpaket und vier Tage später gingen Zehntausende in Wien und weitere Tausende in anderen Städten in ganz Österreich auf die Straßen.
Wie reagiert die Regierung auf die Proteste?
Die Regierung ruderte zurück. Nach dem Sturm der Entrüstung, wurden Details des Sparpakets von Bundeskanzler Werner Faymann und Finanzminister Josef Pröll relativiert, »zur Diskussion« gestellt und Nachbesserungen versprochen. Es gab bereits Zugeständnisse und »unerwartete Härten« sollen bis zur Absegnung im Parlament entschärft werden. Wir konnten förmlich spüren, wie die Regierung weiche Knie bekam. Die heftigen Proteste der Studierenden haben dies erreicht, als andere Interessensvertreter schon längst resigniert haben.
Welche Rolle spielen die Gewerkschaften bei den Protesten?
Die Spitze des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) wiegt sich intern in Selbstzufriedenheit, denn sie haben beim Sparbudget mitverhandelt. Wir rechnen damit, dass von der Spitze leider nur »Solidaritätsbotschaften« kommen werden. Aber es gibt kleine Anzeichen für Änderung an der Basis: Einzelgewerkschaften aus dem ÖGB und Gewerkschaftsjugend beteiligen sich am Bündnis für die nächste Großdemonstration am 27.11. Wenn die Studierenden hartnäckig bleiben und einen Teilerfolg einfahren können, indem sie Änderungen bei der Kürzung der Familienbeihilfe erkämpfen, dann kann sich auch die Rolle der Gewerkschaft bei den Protesten ändern. Wenn sich mit einem Erfolg das Bewusstsein durchsetzt, dass man sich Verbesserungen erkämpfen kann, kann dies weitere Kämpfe nach sich ziehen. Genau davor hat die Regierung Angst.
Wie geht es weiter?
Am 27.11. wird es die nächste Großdemonstration gegen die geplanten Kürzungen bei der Familienbeihilfe in Wien geben. Sie wird von einem breiten Bündnis , von Studierendenvertretung und Elternvereinen über Einzelgewerkschaften und Attac bis hin zu katholischen Verbänden, organisiert. Bis dahin werden kleinere Protestaktionen in ganz Österreich stattfinden. Wir müssen die Gelegenheit beim Schopf packen, die Proteste ausweiten und soviel Druck auf die Regierung erzeugen, dass diese aggressiven Attacken zurück genommen werden. Im Sparbudget ist momentan vorgesehen, dass die Reichen nur zu einem Fünftel zur Konsolidierung beitragen. Die Zerschlagung des Sozialstaats und die brutalen Kürzungen würden den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung weiter verschlechtern und so die Ungleichheit zwischen Arm und Reich weiter verschärfen. Diese »Logik« muss durchbrochen werden. Die Proteste sind ein erster Schritt in diese Richtung.