Jello Biafra legte mit seiner Band Dead Kennedys den Grundstein für die amerikanische Punkszene und beeinflusste Generationen von Musikern. Mit seiner neuen Band The Guantanamo School of Medicine ist er nicht minder angriffslustig. Ein Gespräch über langweilige Bands, die Tea Party und einen entzauberten Präsidenten
marx21.de: Jello, du bist seit mehr als 30 Jahren einer der wohl aktivsten politischen Musiker. Bevor wir über dein neues Album sprechen, würden wir gerne wissen, warum deine neue Band The Guantanamo School of Medicine heißt.
Jello Biafra: Der Name soll daran erinnern, dass das Gefangenenlager in der Guantánamo Bay noch immer existiert, obwohl Barack Obama versprach, es zu schließen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass er als Staatsoberhaupt versagte. Was ich wirklich erschreckend finde, ist, dass die Regierung keinerlei Anstrengungen unternimmt, die Kriegsverbrecher der Bush-Administration der Justiz zuzuführen.
Das Problem ist, dass diese Leute bei den kommenden Präsidentschaftswahlen entweder in einem oder in fünf Jahren wieder an die Macht gelangen könnten. Und wenn sie nicht jetzt für die begangenen Kriegsverbrechen und andere Missetaten zur Rechenschaft gezogen werden, wird dann alles noch schlimmer. Denn dann wissen sie, dass sie mit allem durchkommen.
Aus diesem Grund heißt unser neues Album »Enhanced Methods of Questioning« (»Verbesserte Befragungsmethoden«). Das ist die von der Bush-Regierung verwendete Bezeichnung für verschiedene Arten der Folter, wie das Waterboarding.
Seit Mai ist euer neues Album erhältlich. Kannst du uns mehr über die Musik erzählen?
Das Herz und die Seele meiner Musik ist Punkrock. Aber Musik ist dazu da, den Horizont zu erweitern. Deswegen verarbeite ich alle möglichen musikalischen Stilrichtungen wie Rock oder Surfmusik. Als Punk vor mehr als 30 Jahren entstand, war er als etwas vollkommen Neuartiges gedacht, um das Korsett der langweilig gewordenen 70er-Jahre-Rockmusik abzulegen.
Heute wird genau diese Musik »oldschool« genannt und hemmungslos kopiert, anstatt wieder etwas Neues zu entwickeln. Daher klingen manche Punkbands von heute einfach ziemlich langweilig. Ich bin stolz darauf, dass sich keine zwei Alben von mir gleich anhören. Bei mir wird es immer Überraschungen geben. Ich habe so viele Einflüsse und bevor es Punk gab, war ich ein richtiger Hardcore-Hippie. An Punkrock begeisterten mich die Energie und die Rebellion in der Musik. Als diese Musikrichtung immer mehr Anhänger fand und richtig abging, begriff ich, dass ich nicht zu spät geboren war, sondern genau zur richtigen Zeit.
Du wurdest 1958 geboren, bist also heute 53 Jahre alt und giltst als einer der Veteranen des Punkrock. Wie kamst du zu dieser Bewegung?
In den 1960ern war ich noch nicht an Punk interessiert. Mein Ding waren später die härteren Garage Bands: Also die frühen Rolling Stones oder später Steppenwolf. Es ist erstaunlich, wie sehr manche Bands heute teilweise in Vergessenheit geraten sind, vor allem in Anbetracht der Tatsache, wie enorm einflussreich sie damals waren. Ich weiß, dass sie auch in Deutschland sehr groß waren. Als Teenager entdeckte ich dann The Stooges, MC5 und den Detroit Sound. Ich stand eigentlich immer auf das Krasseste. Und so um 1977 herum wurde das dann plötzlich Punk genannt. Doch die Punk-Attitüde, die wilde Energie, hat ihre Wurzeln bei den Beatpoeten (Beatniks), dem Rock ’n‘ Roll von Little Richard, bei Oscar Wilde oder bei der antifaschistischen Widerstandsgruppe Weiße Rose. Es ist die gleiche Art von rebellischem Geist.
Aber ich habe Punk niemals als »Bewegung« gesehen. Er ist eine Kultur, eine große, rebellische Kultur, die wir alle lieben, die uns inspiriert. Aber »Bewegungen« sind politisch, sie haben ein Ziel vor Augen oder hoffentlich wenigstens eine Vorstellung davon, wie eine mögliche Veränderung aussehen sollte. Aber wenn Punk eine Bewegung wäre, was wäre dann sein Ziel? Ich glaube auch nicht, dass die Hippies in den 1960ern eine wirkliche Bewegung waren. Auch das war eine Kultur, die jedoch viel Kraft und Energie in den Kampf für Menschenrechte brachte, in die Anti-Kriegs-Bewegung, den Kampf gegen Rassismus, für das Recht auf Abtreibung und schließlich auch in den Umweltschutz. Das alles sind Bewegungen. Punk ist eine Kultur.
Du hast dich immer für politische Bewegungen eingesetzt und engagiert. Auf deiner Homepage (www.alternativetentacles.com, Anm. d. Red.) kann man jetzt einen offenen Brief an Barack Obama lesen. Er klingt verbittert.
Nennt mich verrückt, aber ich war so kühn zu hoffen, dass Obama vielleicht wirklich etwas verändern könnte. Obwohl ich nicht für ihn gestimmt habe, weil ich denke, dass er sich im Senat viel zu sehr für die Belange der Konzerne und des schmutzigen Bush-Regimes einsetzt.
Die USA sind heute ein echter Einparteienstaat, maskiert als Zweiparteiensystem. Du kannst wählen wen du willst, das System arbeitet wie ein Münzautomat: Du wirfst eine Münze in den Soda-Automaten, drückst den Knopf und es kommt auf jeden Fall Soda heraus. Du steckst deine Münze in die Politikmaschine und heraus kommen noch mehr Gesetze, die den Reichen und den Konzernen mehr Geld einbringen. Momentan stehen die Republikaner für Gier, Korruption, Umweltverschmutzung und Krieg. Die Demokraten stehen für das Gleiche, nur geben sie vor, dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Das ist der einzige Unterschied. Wir wählen den Präsidenten anhand seiner Fernsehauftritte. Wir wählen das hübschere Gesicht.
Um zu erkennen, was in Amerika los ist, muss man nur betrachten, welcher Zensur die Medien unterliegen. Ich war schockiert, wie groß die Unterschiede beispielsweise nach dem 11. September 2001 waren. Kurz nachdem die Flughäfen wieder geöffnet waren, begann unsere Europatournee in Wien. Zu meiner Überraschung konnte ich feststellen, wie viel besser die Medieninformationen in Europa im Vergleich zu denen in den USA waren. Die Menschen wussten viel mehr über das Thema und es gab verschiedene Ansichten dazu – anders als im Rupert-Murdoch-Land. Ich dachte nur: »Holy shit! Amerikanische Medien orientieren sich viel enger an der Sowjetunion und der ›Prawda‹, als ich das je für möglich gehalten hätte.«
Jetzt, zehn Jahre später, ist alles noch viel schlimmer. Vor allem die Fernsehnachrichten gleichen einer Cartoonshow. Sie suchen sich eine einzige Geschichte heraus und berichten ausschließlich darüber. Ansonsten reißen sie Witze über Sarah Palin, anstatt über Themen zu berichten, die für die Menschen wichtig wären. Dadurch wird nicht nur die Öffentlichkeit abgelenkt, es wird dafür auch wertvolle Sendezeit verschwendet. Selbst die Moderatoren der großen TV-Stationen, die sich für eher fortschrittlich halten, tun in der Realität genauso viel für Palin und die Tea Party wie Murdoch selbst.
In den deutschen Medien wird nahezu gar nicht über die ökologischen und politischen Konsequenzen aus der schrecklichen Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko berichtet, die im vergangenen Jahr die Welt bewegte. Wie sieht das bei euch aus?
Nicht so, wie es zu erwarten wäre. Als das Öl in den Golf von Mexiko strömte, war es – abgesehen von Charlie Sheens Drogenproblemen – das einzige Thema sowohl im Fernsehen als auch in den Zeitungen. Doch irgendwann wurde es langweilig und die Medien wechselten das Thema. Die Reporter von CNN und allen anderen Sendern packten ihre Sachen und zogen zum nächsten Schauplatz.
Seitdem ist fast nichts geschehen. Niemand von BP wurde irgendwie zur Rechenschaft gezogen. Der Tenor in den Medien lautet: »Keine Sorge, das Öl war von anderer Konsistenz als damals in Alaska, das Wasser war wärmer, daher hat sich das Öl aufgelöst und alles ist wieder in Ordnung.« In dem seltenen Fall, dass wirklich einmal ein Fischer mit ökologischem Sachverstand zu Wort kommt, hört man dann eine ganz andere Geschichte. Die ganze Gegend ist total verseucht und wird das auch für sehr lange Zeit bleiben.
Was die Medien überhaupt nicht erzählen: Klammheimlich erlaubt Obama schon wieder die Erschließung neuer Ölquellen im Golf. Es wird einfach nichts zur Verhinderung eines erneuten Unglücks dieser Art unternommen. Es gibt einige unscheinbare Bemühungen, den Ölverbrauch der Bevölkerung zu senken, aber im Endeffekt erhalten die Ölunternehmen sogar noch Geld vom Staat, das dieser vom Bildungs- und Sozialwesen abzieht. Es wird schlimmer und schlimmer und Obama sieht dabei nur zu.
Die Ölkatastrophe hält also an. Vor kurzem war ich in New Orleans. Die Menschen dort sind sehr unglücklich, viele Wohngebiete wurden nach dem Hurrikan Katrina nicht wieder aufgebaut. Das Krankenhaus in der Innenstadt steht noch genauso verwüstet da, mit eingeschlagenen Scheiben und verbarrikadierten Türen. Anstatt die dringend benötigte Klinik wiederzueröffnen, wurde eine neue teure in einem wohlhabenden Stadtteil gebaut. Die haben kein Problem mit einem auf Höchstprofit orientierten Gesundheitssystem.
Deshalb ist es wichtig, wählen zu gehen, obwohl die landesweiten Wahlen nichts sind als ein Puppentheater. Es lässt sich aber immer noch entscheiden, wer Bürgermeister wird, wer im Stadtrat sitzt, wer über die regionalen Belange der Bevölkerung entscheidet.
Ein relativ neues Phänomen ist die Tea-Party-Bewegung. Wie schätzt du sie ein?
Die Tea Party ist, obwohl das Gegenteil behauptet wird, keine Graswurzelbewegung. Sie wurde initiiert von rechtsgerichteten Stiftungen und Personen wie den berüchtigten Koch Brothers. David und Charles Koch stecken seit 40 Jahren Unmengen Geld in rechts orientierte Studiengruppen und Organisationen. Sie initiieren gefakte »Graswurzelgruppen«.
Viele der Personen, die auf die Lügen der Tea Party hereinfielen, sind im Grunde Menschen wie du und ich, sie könnten eigentlich auf unserer Seite stehen. Sie haben Angst um ihre Jobs, um ihre Wohnung, sie fürchten um die Ausbildung ihrer Kinder. Diese ganze verlogene Kampagne wird also organisiert von Reichen für die Ärmeren, damit diese sich weiter ängstigen, die Bedrohung aber nicht bei den Reichen suchen, sondern bei Migranten, Menschen mit anderer Hautfarbe oder sozial noch schlechter gestellten. Damit entwickelt sich die Tea Party ähnlich wie die französische Front National oder die extrem rechten Parteien, die gerade bei euch in Deutschland versuchen einen Fuß in die Tür zu bekommen. Die gleiche Taktik, die gleiche ausländerfeindliche Rhetorik. Und sie wollen alle Steuern abschaffen, bis auf die natürlich, durch die sie finanziert werden.
Ist es nicht verrückt, dass Menschen, die sich ängstigen, ihren Job an einen Mexikaner zu verlieren, absolut dafür sind, dass Millionäre Steuererleichterungen bekommen? Ich sage immer über die Tea Party: »Na ja, irgendjemand muss ja für die Dummen da sein!« Aber natürlich sind nicht alle Anhänger der Tea Party dumm, vielmehr sind sie verängstigt und deshalb leider leicht von organisierten Rassisten und migrantenfeindlichen Gruppierungen zu manipulieren, die ihre finanzielle Unterstützung von rechtsradikalen Milliardären erhalten.
Der Grund für die Rockstar-Behandlung, die die Medien der Tea Party und den rechtsgerichteten Politikern zukommen lassen, ist einer organisierten Bewegung vorzubeugen, die ihnen tatsächlich schaden könnte.
Wenn die Tea Party mal 50 Leute zu einer Veranstaltung zieht, wird das sofort in allen Nachrichten erwähnt. Wenn in Wisconsin über eine Million Menschen gegen den Gouverneur protestieren, der die Gewerkschaft der Staatsangestellten verbieten, das öffentliche Schulsystem abschaffen und das gesamte Stromnetz in private Hände (die Koch Brothers übrigens) geben will, findet das so gut wie keine Erwähnung in den Nachrichten. Auch über die Arbeitskämpfe in Michigan und Ohio wird kaum berichtet. Man hat den Eindruck, es geschähe gar nicht.
Eine andere Form des Widerstands, die niemals in den Medien auftaucht, ist nach einer Pfändung das eigene Haus zu besetzen, bevor die Bank es sich zurückstehlen kann. Howard Stern berichtet, das hätte schon in den 1930er Jahren, während der letzten großen Depression, gut funktioniert. Aber wann immer sich Menschen erfolgreich wehren, findet es in unserem Nachrichtensystem keine Erwähnung.
Was man aber meiner Meinung nach nur tun müsste, um die Schulden abzubauen und die Neuverschuldung zu stoppen, ist die Steuern für die Reichen zu erhöhen. In den USA jammern alle über die schreckliche Schuldenlast und Obama verkündet, dass man dafür eben das Budget zusammenstreichen muss. Müssen wir aber eigentlich überhaupt nicht. In den 1950er Jahren betrug der Spitzensteuersatz 91 Prozent! Der erste Präsident, der diesen Satz drastisch senkte, und zwar auf 76 Prozent, war ausgerechnet John F. Kennedy. Unter Ronald Reagans Regime wurde er weiter auf 50 Prozent gesenkt – genau zu jener Zeit, als der Präsident ankündigte aus Kostengründen die Sozialhilfe abzuschaffen. Schließlich, unter George W. Bush, wurde die Spitzensteuer auf 39 bis 35 Prozent gesenkt. Rauf mit diesen Steuern und das Problem wäre gelöst! Eine weitere Methode zum Schuldenabbau wäre, das Militärbudget zu beschneiden oder am besten gleich auf Null zu kürzen.
Hat der desaströse Krieg in Afghanistan direkte Auswirkungen auf das amerikanische Wahlverhalten? Gibt es eine neue Friedensbewegung?
Leider ist sie nicht mehr so gut organisiert und lange nicht so stark wie zu Bushs Zeiten. Es ist immer das Gleiche. Die Menschen denken sich: »Okay, Obama ist Präsident, da ist alles gut und ich muss nicht mehr das System bekämpfen.« Und sie unternehmen nichts. Sie bleiben auf ihren Hintern sitzen und die Tea Party bekommt die ganze Aufmerksamkeit der Medien.
All die Menschen, die Obama einst in die Wahllokale lockte, die so von ihm begeistert waren und für ihn stimmten, werden sich wieder verkriechen und aus Enttäuschung nie wieder wählen. Die Rechtsextremen und die Christlich-Konservativen jedoch bleiben bei der Stange, gehen fleißig wählen und ermöglichen immer neue Wege, die Armen zu schröpfen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Tea Party momentan so erfolgreich ist. Die Menschen wieder aufzuwecken, sie für Politik zu interessieren und zur Teilnahme an den Regionalwahlen zu bewegen, darin sehe ich meine Aufgabe.
Und wenn die Menschen denken, es wäre aussichtslos, gegen die Konzernherrschaft zu kämpfen, gegen Krieg und gegen die Zerstörung der letzten noch bestehenden Überbleibsel des Sozialstaats, muss ihnen aufgezeigt werden, dass es immer noch im Kleinen verschiedene Alternativen des Kampfes gibt, zum Beispiel Produkte dieser Konzerne zu meiden oder nach Möglichkeit nicht bei ihnen zu arbeiten. Nicht zu vergessen all die Wege bis hin zur Sabotage, die uns durch das digitale Zeitalter ermöglicht werden.
Ich bekomme viele Briefe, in denen es sinngemäß heißt: »Jello, ich bin jung und will die Welt verändern, ich werde eine Organisation gegen die Zensur gründen oder gegen den Krieg.« Ich antworte immer: »Nein, tu das nicht! Gründe nicht selbst eine Organisation, sondern schließ dich einer größeren, schon bestehenden an. Auch wenn du nicht immer mit all ihren Ansichten übereinstimmst, findest du hier eine Basis und viele Leute, die dir helfen können.«
(Die Fragen stellten Julia Dobberstein und Stephanie Hanisch.)
Zur Person:
Jello Biafra ist ein US-amerikanischer Hardcore- und Punkrockmusiker. Von 1978 bis 1986 war er Sänger der Dead Kennedys, später arbeitete er als Solokünstler. Ende der 1970er Jahre gründete er das Underground-Plattenlabel Alternative Tentacles. Biafra ist aktives Mitglied der Green Party in den USA.
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- Die Geschichte hinter dem Song: The Specials – »Ghost Town«: The Specials gelten als Erfinder des 2-Tone Sound – sie mixten jamaikanischen Ska und Rocksteady mit der Energie und der Attitüde des Punk. Mit dem Song »Ghost Town« vertonte die Band im Jahr 1981 den wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens und kreierte damit den Soundtrack zur Revolte gegen die Thatcher-Regierung.