Soll Ethikunterricht ordentliches Schulfach werden? Dürfen Pfarrer, Pastoren, Rabbiner und Imame Unterricht geben? Sollte der Staat weiter theologische Lehrstühle finanzieren? marx21 antwortet auf die Fragen unsers Lesers Florian Osuch
Die ist berühmt geworden durch die Frage, die bis heute ihren Namen trägt: Margarete, kurz Gretchen, datet seit kurzem den Wissenschaftler Heinrich Faust und will es schließlich wissen: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.«
Diese Frage ist seit dem Erscheinen von Johann Wolfgang von Goethes Werk »Faust« nie zu den Akten gelegt worden, wie gegenwärtig die heftigen Diskussionen über den Islam zeigen. Auch in der Programmdebatte der LINKEN spielt die Gretchenfrage eine Rolle. Christine Buchholz hatte in einer der vergangenen Ausgaben (»Vorwärts zu den Wurzeln«, Heft 15) Vorschläge zum Umgang der Partei mit Religion gemacht. Für unseren Leser Florian Osuch war das Anlass, nachzuhaken. Er schrieb uns: »Das Thema Religion und DIE LINKE könnte zur Überraschung vieler zu einem strittigen Thema der Programmdebatte werden. Die Geister scheiden sich zwischen grundlegender Ablehnung jedweder Religion, Desinteresse oder dem Versuch, fortschrittliche Kräfte innerhalb religiöser Vereinigungen anzusprechen und für Projekte der LINKEN im Diesseits zu gewinnen, wie etwa gegen Krieg, Sozialkürzung oder Neonaziaufmärsche.
Es geht zum einen um das grundsätzliche Verhältnis einer demokratisch-sozialistischen Partei zu Religion. Zum anderen ist zu erörtern, wie DIE LINKE zu aktuellen Religionsfragen steht, die teilweise sehr kontrovers diskutierten werden.
Zum grundlegenden Verhältnis schlägt Christine Buchholz vor, dass sich DIE LINKE nicht antireligiös, also in direkter Gegnerschaft zur Religion, sondern als nichtreligiös begreifen sollte. Diese Nichtreligiosität könnte so aufgefasst werden, dass sie keinen Bezug zu Religiosität hat: weder positiv noch negativ. Einerseits richtig: DIE LINKE ist eine nichtkonfessionsgebundene Partei. Andererseits falsch: Denn eine Partei, die sich in der Tradition der Aufklärung und einer materialistischen Philosophie sieht, sollte sich durchaus religionskritisch verorten und dies auch in ihrem Programm festhalten. In konkreten Fragen sollte DIE LINKE deutlich Position beziehen. Daher ist die Forderung von Christine Buchholz zu begrüßen, im Programm unsere Ideen auszuführen.«
Florian Osuch hat hier eine ganze Reihe konkreter Fragen aufgeworfen. Folgend versuchen wir, sie zu beantworten:
S
oll DIE LINKE sich eine materialistische Philosophie und damit eine Religionskritik ins Programm schreiben?
Der Materialismus geht davon aus, dass auch Gedanken und Ideen Erscheinungsformen der Materie sind beziehungsweise auf solche zurückgeführt werden können.
Er erklärt dem Menschen die ihn umgebende Welt und die in ihr ablaufenden Prozesse ohne geistige Elemente wie beispielsweise Gott. Diese Position würde auch marx21 unterschreiben. Nun ist es aber so, dass es durchaus linke, aufgeklärte Menschen gibt, die keine materialistische, sondern eine religiösen Weltanschauung haben. Das Bekenntnis zum Materialismus sollte deshalb nicht als Mitgliedsbedingung im Grundsatzprogramm der LINKEN festgeschrieben werden. Das schließt eine Kritik an bestimmten religiösen Ideen in den Publikationen und Veranstaltungen der Partei keineswegs aus. Religion sollte Privatsache sein.Ein abstraktes Bekenntnis gegen alle religiösen Ideen im Programm würde zudem den vielfältigen und widersprüchlichen Erscheinungsformen von Religion nicht gerecht.
Man denke nur, welch unterschiedliche Positionen beispielsweise die Protestantin Margot Käßmann und der abgedankte katholische Bischof Walter Mixa vertreten. In einer mehrheitlich christlich geprägten Gesellschaft müssen sich Linke jedoch gegen den Dominanzanspruch von Christen stellen (man denke an die Debatte über die »abendländisch-christliche Leitkultur«, der sich alle anderen unterwerfen und anpassen sollen) und sich für gleiche Rechte unterdrückter Religionen wie dem Islam einsetzen. Die Haltung der LINKEN zu den Religionsgemeinschaften sollte auf zwei Prinzipien beruhen: der vollständigen Trennung von Staat und Kirche und der vollständigen Religionsfreiheit gegenüber staatlicher Bevormundung.
Soll Ethikunterricht ordentliches Pflichtfach werden?
Wir sollten in der Tradition der Aufklärung für eine vollständige Trennung von Staat und Kirche eintreten. Das bedeutet auch, dass religiöser Bekenntnisunterricht an den staatlichen Schulen nicht gelehrt werden sollte. Die Unterweisung in einer Religion sollte vielmehr von den religiösen Einrichtungen selbst vorgenommen werden.
Allerdings ist beispielsweise in Hessen der Religionsunterricht in der Verfassung festgeschrieben. Dementsprechend bedürfte es einer Zweidrittelmehrheit im Landtag, um das zu ändern. Solange sich keine solche Mehrheit für die Abschaffung des Religionsunterrichts und die Einführung des Ethikunterrichts als allgemeines Pflichtfach abzeichnet, muss DIE LINKE für die Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften eintreten, also auch für die Einführung eines muslimischen Religionsunterrichts. Auch das gehört zur Tradition der Aufklärung: gegen Unterdrückung und Diskriminierung von religiösen Minderheiten und für vollständige Religionsfreiheit einzutreten.
Sollten Pfarrer, Pastoren, Rabbiner und Imame das Recht haben, Ethikunterricht zu geben?
Ja, solange sie sich an die Lehrpläne halten. Das heißt, sie dürften keine der Religionen als die »einzig »richtige« vorschreiben, sondern müssten sich auf die sachlich korrekte Vermittlung von Wissen über die verschiedenen Glaubensgemeinschaften beschränken.
Sollen auch theologische Lehrstühle an den Universitäten gestrichen werden?
Ja, denn wenn es keinen religionsgebundenen Unterricht an den Schulen gibt, besteht auch kein Bedarf mehr an staatlich geprüften Religionslehrern. Die Ausbildung von Pfarrern und anderen religiösen Predigern sollte ausschließlich Sache der (privaten) Religionsgemeinschaften sein. Lediglich die Ausbildung zum Ethiklehrer sollte an einer staatlichen Hochschule stattfinden.
Soll der Staat Einfluss auf den christlichen, muslimischen, jüdischen oder sonstigen Religions- oder Weltanschauungsunterricht nehmen? Darf er das überhaupt?
Zurzeit darf der Staat es nicht nur, sondern nimmt in der Tat in Absprache mit den christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften Einfluss auf den Weltanschauungsunterricht. Bei den muslimischen Gemeinschaften fehlt angeblich der Ansprechpartner. An sich wäre es richtig, wenn die Religionsgemeinschaften ihre Unterweisung in religiösen Ideen völlig autonom durchführten. Solange sie aber an staatlichen Schulen ihren Glauben verkünden dürfen, sollte der Staat (Kultusministerien, Schulbehörden) auch Einfluss nehmen dürfen. Er sollte darauf hinwirken, dass die Lehrpläne nicht nur Kenntnisse von der eigenen Religion vermitteln, sondern darüber hinaus Respekt vor und Kenntnisse von anderen Religionen und atheistischen Denkrichtungen.