{nomultithumb}Sie geben sich verfassungstreu und familienfreundlich. Doch das Massaker in Norwegen zeigt die Gefahr, die von Rechtspopulisten und ihren Anhängern ausgeht. Von Marwa Al-Radwany. Vorabveröffentlichung aus marx21, Heft 22, September/Oktober 2011
»Er kam aus dem Nichts« titelte die Bild am Sonntag. Gemeint war der Norweger Anders Behring Breivik, der am 22. Juli ein Regierungsgebäude in Oslo in die Luft sprengte und anschließend ein Massaker auf der Insel Utøya anrichtete. Insgesamt 77 Menschen kamen dabei ums Leben, größtenteils waren es Teilnehmer eines Ferienlagers der Jungsozialisten.
Breivik hat ein krudes Selbst- und Weltbild: Er inszeniert sich selbst als Tempelritter und christlichen Kämpfer gegen die angebliche Invasion des Islams in Europa wie einst die Kreuzritter. Neben Muslimen sind seine Feindbilder zuallererst »Kulturmarxisten«, außerdem Homosexuelle und Feministinnen. Den Multikulturalismus hält der 32-Jährige für eine »anti-europäische Hassideologie, die das Ziel hat, europäische Kultur und Europas Identität zu zerstören und im Übrigen auch die Christenheit.«
Stichworte aus der Politik
Breivik mag auf den ersten Blick ein verrückter Einzeltäter sein. Doch aus dem Nichts sind seine Ansichten keineswegs gekommen. Vielmehr hatte er prominente Stichwortgeber. Christian Tybring-Gjedde, Vorsitzender des Landesverbands Oslo der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, kritisierte bereits im vergangenen Jahr, dass die regierenden Sozialdemokraten aus der Hauptstadt Oslo »ein multikulturelles Disneyland« gemacht hätten: »Welches Ziel verfolgt die Arbeiterpartei, wenn sie der norwegischen Kultur den Dolch in den Rücken stößt?«, fragte er.
Auch konservative Regierungspolitiker aus anderen europäischen Ländern beschwören regelmäßig die angebliche Gefahr des Multikulturalismus herauf – etwa der britische Premier David Cameron, der die Ansicht vertrat, der »staatlich verordnete Multikulturalismus« fördere extremistische Ideologien und trage direkt zum »hausgemachten islamischen Terrorismus« bei, oder Bundeskanzlerin Angela Merkel, die der Jungen Union in einer Rede zurief: »Multikulti (…) ist gescheitert, absolut gescheitert!«
Die Rolle der Medien
Wenn Breivik nun erklärt, er habe mit seinen Attentaten die Sozialdemokraten treffen wollen, weil sie für den Multikulturalismus in Norwegen verantwortlich seien, dann hat er letztendlich nur die von Medien und Politikern stets wiederholte Botschaft auf grausame Weise als Handlungsaufforderung interpretiert. Ähnliche Beispiele sind aus der deutschen Geschichte bekannt. So hetzten Anfang des Jahres 1968 rechte Medien, allen voran die Bild-Zeitung, monatelang gegen die Studentenbewegung und gegen Rudi Dutschke, einen ihrer prominentesten Aktivisten.
»Man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen« oder »Stoppt den roten Rudi jetzt«, konnte man in den Zeitungen lesen. Für den jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann war das Grund genug, Dutschke aus nächster Nähe zweimal in den Kopf zu schießen. Auch als im Jahr 1992 Neonazis in Rostock-Lichtenhagen ein von Migranten bewohntes Haus anzündeten und zahlreiche Anwohner Beifall klatschend daneben standen, geschah das nicht zufällig. Zuvor hatte es in den Medien eine wochenlange Debatte über das Asylrecht mit Schlagzeilen wie »Das Boot ist voll« (Spiegel) gegeben.
Die Rechtspopulisten
Auch Breiviks Hass auf Muslime ist das Resultat eines entsprechenden gesellschaftlichen Klimas. Denn das Thema Islam stand noch nie so stark im Mittelpunkt wie heute. Wenn Spiegel, Stern und Focus immer wieder hetzerische Aufmacher über »den« Islam veröffentlichen und mit Thilo Sarrazin ein (mittlerweile ehemaliges) Vorstandsmitglied der Bundesbank ohne Weiteres gegen Muslime hetzen kann, dann ist es nicht allzu verwunderlich, dass sich manch einer zum Handeln aufgerufen fühlt, der ständig propagierten Gefahr und Bedrohung aktiv entgegenzutreten.
Vor allem hat die zunehmende Islamfeindlichkeit ein vermeintlich neues Phänomen auf der politischen Bildfläche erscheinen lassen: die sogenannten Rechtspopulisten. Breivik selbst war Mitglied einer solchen Formation: Zehn Jahre lang engagierte er sich in der Fortschrittspartei und leitete eine Zeit lang den Ortsverband Oslo-West. Später wandte er sich von ihr ab, weil ihm die Parteifreunde nicht radikal genug erschienen. Seitdem arbeitete er daran, einen norwegischen Ableger der islamfeindlichen English Defence League aufzubauen.
Neue rechte Parteien
In den letzten Jahren schossen europaweit Parteien neueren rechten Typs nur so aus dem Boden: Etwa Geert Wilders Ein-Mann-Projekt Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden, der belgische Vlaams Belang (Flämische Interessen), die Pro-Bewegungen in Deutschland oder die Wahren Finnen, die mit über 19 Prozent mittlerweile drittstärkste Partei im Parlament sind und innerhalb von nur vier Jahren ihren Stimmanteil um ganze 15 Prozentpunkte erhöhen konnten.
Während die klassischen Naziparteien, die Nachfolgeparteien der europäischen Faschisten, in der Krise sind – die British National Party BNP, der Front National in Frankreich oder die NPD konnten bei den letzten Parlamentswahlen die Fünfprozenthürde nicht knacken – verzeichnen »modernisierte« Rechte, die Bürgerbeteiligung, direkte Demokratie und Islamfeindschaft statt biologischen Rassismus betonen, erhöhten Zulauf. Ihre vermeintliche Islamkritik findet bis nach links Befürworter und erweckt so nicht den Verdacht, rassistisch zu sein.
Die Berliner Landesbehörde des Verfassungsschutzes lehnt es beispielsweise ab, die rechtspopulistischen Parteien Pro Berlin und Die Freiheit zu beobachten, denn »nach unserer Extremismusdefinition« fielen sie nicht in das Kriterium der Verfassungsfeindlichkeit – und schließlich gab es 2006 ein Urteil über die Republikaner, das klarstellte, dass Fremdenfeindlichkeit allein kein Beobachtungskriterium darstelle: Sie falle unter die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit.
Anstrich einer Bürgerinitiative
In 12 von 27 Mitgliedsstaaten der EU haben rechte Parteien bei Parlamentswahlen mehr als fünf Prozent der Stimmen erreicht (siehe Infografik). Unter ihnen gibt es eher neorechtskonservative Parteien wie Die Freiheit in Deutschland oder die Wahren Finnen, die auch konservative Themen wie die Bewahrung traditioneller Werte für sich reklamieren: Letztere treten beispielsweise für ein Verbot der Homoehe und von außerehelichem Sex ein. Dann gibt es Parteien, die sich selbst als »rechtspopulistisch« bezeichnen, wie etwa die Pro-Parteien in Deutschland. Solche Rechtsparteien modernen Typs versuchen, sich den Anstrich einer Bürgerinitiative zu geben und fallen durch Aktivitäten wie Mahnwachen gegen die Errichtung von Moscheen oder Antiislamisierungskongresse auf.
DAS NEUE HEFT: AB 19. OKTOBER
Titelseite, Inhaltverzeichnis ansehen (Kostenloser Flash Player muss installiert sein)
Für größere Ansicht bitte mit der Maus auf die Titelseite klicken. Großansicht kann mit der Taste "Esc" (links oben auf deiner Computertastatur) wieder verlassen werden.
marx21 erscheint fünfmal im Jahr.
Hier die aktuelle Ausgabe als Einzelheft bestellen (3,50 plus Porto) oder marx21 abonnieren (4 Euro pro Heft, frei Haus) bzw. das Jahresabo-Angebot (20 Euro plus Buchprämie, frei Haus) nutzen.
Wer bisher noch keine marx21-Ausgabe bestellt hat, kann einmalig ein kostenloses Probeheft ordern (in der Drop-Down-Liste »Art des Abonnements« die Option »Ich will eine Ausgabe von marx21 kostenlos testen« auswählen. Felder zu Kontoangaben einfach leer lassen.)
Schließlich gibt es die klassisch neofaschistischen Naziparteien, die sich aber in jüngster Zeit den Rechtspopulisten annähern, indem sie ihre Programmatik moderater gestalten: Etwa die flämisch-separatistische Partei Vlaams Belang, die Ende 2004 aus dem offen rassistischen Vlaams Blok (Flämischer Block) hervorging, dessen Parteiprogramm lediglich modernisiert und »abgemildert« wurde. Gleiches gilt für die österreichische FPÖ oder den französischen Front National, der seit 2006/07 eine Modernisierung und »Normalisierung« durch die neue Vorsitzende Marine Le Pen erfährt, um sie auch in der Mittelschicht wählbar zu machen. So wurde beispielsweise die Zielgruppe der rassistischen Hetze ausgetauscht: Anstelle der Immigrés poltert man jetzt gegen Muslime und als Begründung muss die Säkularität herhalten.
Radikal auf der Straße
Zusätzlich zu den im Parlament vertretenen Parteien gibt es Gruppierungen und Organisationen wie die English Defence League oder die »Bürgerbewegung Pax Europa«, die mehr oder weniger radikal vor allem auf der Straße aktiv sind mit Demonstrationen vor Moscheen, islamischen Bekleidungsgeschäften oder Halal-Restaurants.
Was die rechtspopulistischen Parteien kennzeichnet, ist die proklamierte Abkehr vom Faschismus und die Betonung der Verfassungstreue. So erklärte zum Beispiel Marc Doll von der Freiheit in einer Wahlkampfrede: »Faschismus bedeutet, politische Positionen mit Gewalt durchzusetzen. (…) Wir dagegen sind weder rechts noch sind wir Rassisten. Wir sind aufrechte Demokraten aus der Mitte der Gesellschaft«. Und der Gründer der Lokalpartei Pro Köln machte in einem Interview mit der Jungen Freiheit deutlich: »Tatsache ist, dass wir im Vergleich zur NPD von heute auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – bei uns will niemand die Bundesrepublik abwickeln! (…) Pro Köln würde ich als freiheitlich und rechtspopulistisch definieren.«
Angeblich bedrohte Kultur
Erklärte Rechtspopulisten verpassen sich den Habitus einer anti-elitären Protestpartei und nehmen für sich in Anspruch, der »Stimme des Volkes« eine Plattform zu verleihen. Dafür greifen sie zu Volksentscheiden und Bürgerbefragungen als Mittel der »direkten Demokratie«. Anstelle der rassisch definierten »Volksgemeinschaft« thematisieren sie lieber die Kultur, die abendländische Tradition oder die Aufklärung, die angeblich vom erklärten Feindbild Islam bedroht seien.
Zudem spielt der Antisemitismus keine Rolle in ihrer politischen Ideologie, stattdessen verstehen sich viele der neurechten oder rechtspopulistischen Parteien in Europa als proisraelisch und verbünden sich mit den dortigen Rechtskonservativen und Rassisten: Gesandte der FPÖ, der Schwedendemokraten, der Freiheit und des Vlaams Belang unterzeichneten am 7. Dezember 2010 auf Einladung des ehemaligen Knesset-Abgeordneten Eliezer Cohen die »Jerusalemer Erklärung« gegen die »weltweite totalitäre Bedrohung«: den »fundamentalistischen Islam«.
Gegen »den« Islam
Allen diesen Gruppierungen gemein ist der aggressive Kulturrassismus gegen »den« Islam und »die« Muslime: Geert Wilders vergleicht den Koran mit Hitlers »Mein Kampf« und oben zitierter Christian Tybring-Gjedde forderte zur Bekämpfung des Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen in Norwegen einen landesweiten Aktionstag an Schulen, an dem über den Holocaust und die Geschichte der Juden gelehrt werden solle. Muslimische Jugendliche sollten an diesem Tag einen Davidstern tragen.
Der Rechtsextremismusexperte Alexander Häusler beschreibt diese Entwicklung: »Durch die Gleichsetzung von Religions-, Zuwanderungs- und Politikfragen wird der Rassismus kulturreligiös umformt, um das eigentliche Feindbild Einwanderungsgesellschaft propagandistisch wirksamer zu unterfüttern. Diese Form des Rechtspopulismus einigt die heterogene Achse der Rechtsaußenparteien in Europa, die vom klassischen Neofaschismus bis hinein in die konservative Rechte reicht.«
Verflochten mit Nazis
Ist es also wirklich sinnvoll, eine Trennlinie zwischen »Rechtspopulisten« und Nazis zu ziehen? Ich halte es nicht für sinnvoll, sondern sogar für gefährlich. Denn nimmt man einmal die Parteiprogramme und das politische Personal der Rechtspopulisten genauer unter die Lupe, so stellt man schnell fest, dass die Betonung des demokratischen Gestus wohl ein taktischer Zug ist und vor allem die Abgrenzung von Nazis ein pures Lippenbekenntnis bleibt. Gerade bei den Pro-Parteien gibt es zahlreiche personelle Verflechtungen mit ehemaligen NPD- und DVU-Kadern: Der Parteivorsitzende von Pro Deutschland, Manfred Rouhs, war früher bereits Kandidat der NPD; der deutsch-schwedische Multimillionär Patrick Brinkmann, zeitweilig Vorsitzender von Pro BERLIN, war vorher für die DVU und für die NPD aktiv, der ehemalige NPD-Spitzenfunktionär Andreas Molau ist Beisitzer im Landesvorstand von Pro NRW.
Zuweilen offenbart sich hinter der Maske der Demokraten die hässliche Fratze rassistischer Fanatiker: Etwa als zwei Wahlkampfhelfer von Pro Deutschland Mitte August in Berlin einen Mann aus dem Libanon mit einem Hammer bewaffnet Totschlag androhten, weil dieser die Wahlplakate mit islamfeindlichen Slogans kritisierte. Selbst die anrückende Polizei wurde von den Plakatierern dieser demokratischen Partei mit Pfefferspray angegriffen.
Eigenständige Massenbewegung
Verräterisch ist auch die Organisationsstruktur der rechtspopulistischen Parteien: Oftmals handelt es sich um eher lose organisierte Bewegungen mit Massenbasis, die sich meist um eine charismatische Führungspersönlichkeit gruppieren. In den Niederlanden ist Geert Wilders beispielsweise das einzige Mitglied seiner »Partei für die Freiheit« und Pro NRW musste für die Kandidatenaufstellung im Kommunalwahlkampf auf freiwillige Gäste der Wahlversammlungen zurückgreifen, die »für die Dauer der Versammlung« Mitglied wurden. Somit stehen rechtspopulistische Parteien im Gegensatz zur klassischen Mitgliederpartei. Besonders die Bezeichnung »Bewegung« (Bürgerbewegung Pro Deutschland, Bürgerbewegung Pax Europa) deutet darauf hin, dass es den Rechtspopulisten – anders als klassischen konservativen Parteien – weniger um die Etablierung ihrer Programmatik im Parlament geht, sondern um den geplanten Aufbau einer Massenorganisation auf der Straße.
An dieser Stelle gibt es also fließende Übergänge zu faschistischen Organisationen. Die NPD in Deutschland, aber auch die Jobbik in Ungarn haben neben ihrer Präsenz im Parlament paramilitärische Organisationen auf der Straße, die Linke oder Migrantinnen und Migranten terrorisieren, wie die Freien Kameradschaften oder analog die Straßenmiliz Magyar Gárda. Der Faschismus ist eine eigenständige Massenbewegung der Mittelschicht, die gegen Linke und die organisierte Arbeiterschaft sowie gegen ethnische Minderheiten gerichtet ist.
Die Rolle der Krise
Von einer Massenbewegung können wir glücklicherweise in Deutschland derzeit nicht sprechen. Die Gefahr ist aber nicht gebannt: Erinnern wir uns an den rasanten Aufstieg der Faschisten in Deutschland nach der Weltwirtschaftskrise 1929. Auch damals konnte eine kleine Splittergruppe, Hitlers NSDAP, die es bei den Parlamentswahlen 1928 auf lediglich 2,8 Prozent der Wählerstimmen brachte, die soziale Not in der Krise für ihre radikalen Versprechungen nutzen. Nur vier Jahre später zog sie mit 37,3 Prozent als größte Fraktion in den Reichstag ein. Ihre Zielgruppen waren Arbeitslose – und der Mittelstand. Gerade dort kam die Hetze gegen Großkapital und organisierte Arbeiterschaft gut an. Denn die obere und untere Mittelschicht, Selbstständige und Kleinunternehmer fühlen sich gleichermaßen vom sozialen Abstieg durch Krise und Globalisierung, wie auch vom Erstarken einer globalen Widerstandsbewegung der Beschäftigten, bedroht.
Da lässt es aufhorchen, wenn etwa Die Freiheit einen eigenen Programmpunkt in ihrem Wahlprogramm namens »Stärkung des Mittelstandes« aufführt oder die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei SVP, die mit dem rassistischen Volksbegehren zum Minarettverbot europaweit von sich reden machte, in ihrem Logo die Tagline »Die Partei des Mittelstandes« trägt.
Eine Erneuerungsstrategie
Die neofaschistische NPD agiert gegenwärtig im Berliner Wahlkampf mit sehr eindeutigen Anspielungen: etwa einen Wahlplakat mit dem Slogan »GAS geben« (über einem Bild ihres Bundesvorsitzenden Udo Voigt auf seinem Motorrad) und Infobroschüren mit einem Kreuzworträtsel, in denen als Lösungsworte Namen deutscher Faschisten wie Adolf (Hitler) oder (Rudolf) Hess gesucht wurden. Das ist ein klares Signal an die braunen Kameraden, an welchen Vorbildern sich die Partei orientiert – trotz parlamentarischer Fassade. Nicht ganz so deutlich agieren die Rechtspopulisten – aber auch bei ihnen findet man solche Andeutungen und Signalworte: Der erste Entwurf des Grundsatzprogramms der Freiheit enthielt nationalsozialistisch vorbelastete Begriffe wie »Volksgemeinschaft« oder rechtsextreme Kampfbegriffe wie »Schuld-Kult« sowie einen homosexuellenfeindlichen Passus, die später getilgt wurden.
So könnte man sagen, dass der Rechtspopulismus eine Erneuerungsstrategie von Nazis darstellt, die Schnittmengen mit der bürgerlichen Mitte suchen und Globalisierungsverlierer ideologisch für sich zu gewinnen trachten. Nachdem der Typus der klassischen Partei in den letzten Jahren in die Krise gekommen ist und die reinen Straßenkampfbewegungen der Neonazis wie die Freien Kameradschaften mit ihren Massenaufmärschen in den letzten fünf Jahren empfindliche Niederlagen einstecken mussten – hier seien die erfolgreichen Blockaden von Dresden, Berlin und Leipzig genannt – orientiert man sich nun mittels der Verpackung »Bürgerbewegung« und dem Vehikel der Islamfeindlichkeit an der bürgerlichen Mittelschicht. Diese Strategie ist so neu aber nicht: Die NPD hat seit ihrer Gründung im Jahr 1964 verschiedene Phasen durchlaufen, in denen die Orientierung auf Kommunal- und Regionalparlamente von Phasen offener Radikalisierung und Orientierung auf außerparlamentarische Aktivitäten abgelöst wurde. Das beim Bundesparteitag 1996 beschlossene »Drei-Säulen-Konzept« der NPD sieht neben dem »Kampf um die Köpfe« sowohl den »Kampf um die Straße« als auch den »Kampf um die Parlamente« vor.
Rechtspopulisten bilden den Brückenkopf zur Mitte der Gesellschaft und versuchen, autoritäre Ungleichheitsideologien zu etablieren. Politisch zwischen Konservativismus und Faschismus stehend, können sie sich sowohl in die eine als auch die andere Richtung entwickeln. Dafür, dass Anders Breivik sich von der norwegischen Fortschrittspartei abwandte und sich für die English Defence League begeisterte, gab es einen einfachen Grund: Letztere betreibt keine Parlamentspolitik, sondern nimmt »die Sache in die Hand« und ist in Verbindung mit der Hooligan- und Skinheadszene auf der Straße aktiv, indem sie Aufmärsche gegen Moscheen und Halal-Restaurants organisiert und ganze Stadtteile unsicher macht. »Die Sache in die Hand« genommen hat schließlich auch Breivik. Das Ergebnis sollte uns eine Warnung sein.
Zur Autorin:
Marwa Al-Radwany ist Mitglied der LINKEN und Mitinitiatorin des Netzwerks gegen antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit (NARI).
Mehr auf marx21.de:
- Eine lange Kontinuität des Hasses: Die gegenwärtige Islamfeindlichkeit hat tiefe Wurzeln. Wie weit sie zurückgehen, erklärt Achim Bühl im Gespräch mit marx21.