{nomultithumb}Die niederländische SP befindet sich derzeit auf einem historischen Höhenflug. Noch ist allerdings unklar, wohin der sie führen wird. Von Jeroen van der Starre
In den vergangenen Monaten hat die niederländische Sozialistische Partei (SP) in den Umfragen bemerkenswert zugelegt. Nach einigen Prognosen könnte sie bei den kommenden Wahlen rund 20 Prozent der Stimmen erhalten und somit zur stärksten Partei im Parlament aufsteigen. Die Rechte hat bereits mit heftigen Angriffen auf die Sozialisten reagiert und deren »unrealistische« Politik gegeißelt.
Die SP hat daraufhin versucht, die Bevölkerung von ihrem »Realismus« und ihrer Bereitschaft zur Übernahme von »Verantwortung« zu überzeugen, anstatt die gescheiterte Sparpolitik der Rechten anzugreifen. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Führung ihren langen Marsch in die politische Mitte mit erhöhtem Tempo fortsetzen wird. Und das gerade in dem Moment, da ein Teil der Wählerschaft deutlich nach links rückt.
Rechte Minderheitsregierung
Die Gründe für den Erfolg der niederländischen Linkspartei sind leicht auszumachen. In den vergangenen zwei Jahren wurde das Land von Mark Rutte regiert, der eine Minderheitsregierung aus Christdemokraten (CDA) und seiner konsequent neoliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) anführt, unterstützt von Geert Wilders‘ Freiheitspartei (PVV). Seitdem lautete die Parole: Sparen.
In weniger als zwei Jahren hat die Koalition eine weitere »Mission« nach Afghanistan entsandt, zugleich aber Milliarden im öffentlichen Gesundheitsbereich gekürzt und die besondere Förderung für Kinder mit geistiger Behinderung gestrichen. Zudem hat sie fast alle Subventionszahlungen für Kultur eingestellt, die für sie nicht mehr als ein »linkes Hobby« ist. Zudem erhöhte die Regierung das Renteneintrittsalter mit Unterstützung der Sozialdemokraten (PvdA) und der Grünen auf 67 Jahre.
Neues Sparpaket
Als im letzten Winter festgestellt wurde, dass zur Einhaltung der europäischen Haushaltsvorschriften weitere Sparmaßnahmen notwendig würden, musste in der Koalition neu verhandelt werden. Nach sieben Wochen zerfiel die Regierung, weil Wilders, der wegen seiner Unterstützung für die Sparkoalition zunehmend Anhänger verlor, nicht mehr mitmachen wollte. Für wenige Tage atmete das Land auf. Doch dann trat die liberale Opposition aus Grünen, Liberaldemokraten und einer kleinen christlich-fundamentalistischen Partei an Wilders‘ Stelle und rettete die Regierung, indem sie ein neues Sparpaket zusammenstellte.
Damit das Haushaltsdefizit drei Prozent nicht überschreitet, wurde vereinbart, das Renteneintrittsalter schneller zu erhöhen und die Mehrwertsteuer sowie die Beteiligung an den Gesundheitskosten anzuheben. Zudem schränkte die Koalition den Kündigungsschutz erheblich ein und schaffte den sozialen Wohnungsbau ab. Sie kritisierte die Linke dafür, dass sie dem nicht zustimmen wollte und sich weigerte, »Verantwortung zu übernehmen«. Die Einschnitte waren zudem begleitet von neuen neoliberalen »Reformen« zur weiteren Flexibilisierung der Arbeit und des Wohnungssektors.
Linke Stimmung
Weite Teile der Bevölkerung waren gegen diese Maßnahmen. Die SP wurde für ihre konsequente Gegnerschaft zu der neoliberalen Politik und für die Betonung sozialer Alternativen belohnt. Ganz anders die Sozialdemokraten: Nach Verabschiedung des Sparpakets beschwerten sie sich darüber, dass sie an den Verhandlungen nicht teilnehmen durften. Das ist einer der Gründe dafür, dass sie nicht von der linken Stimmung in der Gesellschaft profitieren.
Inzwischen gibt es eine scharfe Polarisierung: Bei den bevorstehenden Wahlen deutet alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der VVD und der SP hin, also zwischen harten Neoliberalen und ihren schärfsten Gegnern. Die SP wird zu Recht als einzige glaubwürdige Alternative zum Neoliberalismus angesehen, da alle anderen Parteien für den freien Markt eintreten.
Kompromissbereitschaft signalisieren
Doch ihre Politik ist nicht ohne Widersprüche. Das Programm der SP zielt darauf ab, den Gesundheitsbereich »marktfrei« zu machen, die Steuern auf höhere Einkommen und auf Eigentum anzuheben, in Bildung zu investieren und den Zugang zum öffentlichen Verkehrswesen zu verbessern. Sie tritt für einen starken öffentlichen Sektor und gegen die neoliberale Sparpolitik ein. Aber in der Parteiführung herrscht die Überzeugung, über die Beteiligung an einer Regierung sei wirklicher politischer Wandel möglich.
Deshalb bemühen sich die Sozialisten darum, die anderen Parteien von ihrer Regierungs- und Kompromissbereitschaft zu überzeugen. In den vergangenen fünf Jahren hat die SP einige ihrer grundsätzlicheren Forderungen fallengelassen: Sie tritt nicht mehr gegen die NATO und die Monarchie auf und erklärte, die Erhöhung des Renteneintrittsalters sei verhandelbar. So hat sie Kompromisse angeboten, ehe überhaupt Verhandlungen in Aussicht standen. Der Parteivorsitzende Emile Roemer, der in den Jahren 2002 bis 2006 an einer lokalen Regierung mit der VVD beteiligt war, hat sich zudem bereit erklärt, eine Koalition mit jeder Partei außer mit der rechtspopulistischen PVV einzugehen.
Offene Wunde der SP
Die ausdrückliche Bereitschaft, sich dem übrigen politischen Spektrum anzupassen, ist sowohl Folge der übergeordneten Logik des reinen Parlamentarismus als auch der traumatischen Erfahrungen mit Koalitionsverhandlungen in der Vergangenheit. Bei der Wahl im Jahr 2006 konnte die SP die Zahl ihrer Abgeordneten von neun auf 25 Sitze erhöhen. Ihr waren die Antikriegsstimmung des Jahres 2003 und die großen Gewerkschaftsdemonstrationen im Herbst 2004 zugute gekommen. Nach den Wahlen nahm die Partei Gespräche über eine Regierungsbeteiligung auf, wurde jedoch von den Sozialdemokraten und Christdemokraten aus der Koalition rausgehalten.
Die Enttäuschung über die Nichteinbindung in die Regierung und ein Abflauen der sozialen Proteste führten zu einem scharfen Einbruch bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 2010, als die SP nur noch vier Prozent der Stimmen erhielt. Und auch wenn die Verluste bei den folgenden Parlamentswahlen geringer ausfielen – die SP rutschte auf 15 Sitze ab – stellt für die Parteiführung der gescheiterte Versuch, Regierungsverantwortung zu übernehmen, eine offene Wunde dar. Dass die jetzigen Umfrageergebnisse in der Partei neue Hoffnungen auf Regierungsbeteiligung und sogar Übernahme des Ministerpräsidentenamts geweckt haben, ist daher keine Überraschung.
Koalition unwahrscheinlich
Aber der Abstand zwischen der SP und dem übrigen politischen Spektrum ist weiterhin sehr groß. Das Haushaltsdefizit und die sich verschlechternde Wirtschaftslage haben die Vertreter der freien Marktwirtschaft unter den Parteien weiter nach rechts gedrückt. Die Grünen, die in den 1990er Jahren aus der alten Kommunistischen Partei und anderen radikal-linken Gruppen hervorgegangen waren, sind das beste Beispiel dafür. Die Partei steht jetzt fest rechts von der Sozialdemokratie, nachdem sie den abschüssigen Grund des »Realismus« und »Sozialliberalismus« betreten hatte.
Das macht den Eintritt der SP in eine Koalition noch unwahrscheinlicher als im Jahr 2006. Die Parteiführung ist sich der großen politischen Unterschiede zu den anderen Parteien bewusst und scheut deshalb keine Mühen, ihren »Realismus« und ihre Zuverlässigkeit zu betonen. Die Frage lautet nicht mehr, wie an die Stelle des kapitalistischen Modells etwas Besseres treten kann, sondern wie sich die kapitalistische Wirtschaft retten lässt. Hierbei hat die Wirtschaftskrise die Wende der SP von sozialistischen zu neokeynesianischen Positionen befördert. Diese Wendung heißt auch, dass der Prüfstein linker Politik nicht mehr soziale Gerechtigkeit ist, sondern die Wirtschaft.
Schweigen zur Bankenmacht
Exemplarisch hierfür ist auch die Haltung der SP zur EU. Die Partei gibt sich nach wie vor »euroskeptisch«, aber stellt sich nicht mehr grundsätzlich gegen die EU. Der Europaabgeordnete Dennis de Jong betont sogar die konstruktive Haltung seiner Fraktion im Gegensatz zu Wilders‘ Freiheitspartei. Während Wilders seit kurzem das »Europa der Banken« angreift, schweigt Roemer zur Bankenmacht und kritisiert stattdessen die EU, weil sie in die nationalstaatliche Souveränität der Niederlande eingreife. Substantielle Kritik am europäischen Projekt ist zwar noch vorhanden, aber hier zeigt sich schon der Unwille, eine klassenkämpferische Perspektive zu vertreten. Lieber passt man sich den Stimmungen an als sie zu prägen.
Aus demselben Grund nimmt die SP auch eine widersprüchliche Haltung zur islamfeindlichen und rassistischen Politik von Wilders ein. Zwar kritisiert sie dessen Angriffe auf Muslime. Aber von Zeit zu Zeit hat sie auch betont, als erste »das Problem« des Multikulturalismus »erkannt« zu haben. Dabei bezieht sie sich auf einen Text aus den 1980er Jahren, in dem sie dafür eintrat, Arbeitsmigranten auf mehr Wohnorte zu verteilen, um den Einfluss ihrer »rückständigen« Ideologien abzufedern.
Das problematische Verhältnis der SP zu nationalistischen Stimmungen ist das Ergebnis eines Zusammentreffens der Eigendynamik parlamentarischer Orientierung mit sehr viel älteren Aspekten der Parteipolitik. Obwohl die SP offiziell mit ihrem kommunistischen Erbe gebrochen hat, haben sich einige ihrer alten Positionen – insbesondere der maoistische Imperativ, »dem Volke zu dienen« – mit denen des neuen Projekts vermischt, sozialen Wandels durch das Parlament zu erzielen.
Kritische Unterstützung
Trotz all ihrer Schwächen hat die SP es geschafft, eine konsequente Kritik am Neoliberalismus in die niederländische Politik einzuführen und den Menschen zu zeigen, dass es Alternativen zu der zynischen Unterwürfigkeit vor Marktkräften gibt. Dafür verdient die Partei die kritische Unterstützung der radikalen Linken.
Jedoch besteht die Gefahr, dass die Stärken der SP im Zuge einer Regierungsbeteiligung in den Hintergrund rücken. Wie die Entwicklungen überall in Europa zeigen, ist Regierungskontrolle keine Garantie für echten Wandel. Europäische Politik wird immer mehr von den Interessen der großen Konzerne und der Finanzmärkte diktiert. Wenn Regierungen sich nicht bereitwillig beugen, werden sie wie die irische erpresst und eingeschüchtert, oder die Demokratie wird ausgehebelt wie in Griechenland.
Kraft von unten mobilisieren
Das heißt, dass zur Umsetzung linker Alternativen zur Sparpolitik mehr nötig ist als nur Wahlerfolge. Der Druck von oben erfordert eine Kraft von unten, die nur aus den sozialen Bewegungen und der Gewerkschaftsbewegung kommen kann. Unglücklicherweise hat die Konzentration der SP auf die kommenden Wahlen ihre Bereitschaft gemindert, diese Bewegungen zu stärken, obwohl viele ihrer Mitglieder und Anhänger aktive Gewerkschafter sind.
Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass sich das in Zukunft ändert. Etwa zeitgleich mit den Wahlen im September wird ein neues Spar- und Flexibilisierungspaket verabschiedet werden, gegen das sich vermutlich Widerstand formieren wird. Mit einem Wahlerfolg der Linken und einem neuen Kampf gegen die Sparmaßnahmen besteht die Möglichkeit, die politischen Kräfteverhältnisse in den Niederlanden erheblich zu verändern. Die gegenseitige Befruchtung von Widerstand und linken politischen Forderungen könnte der Anfang für die Entstehung einer echten neuen Linken sein.
Zur Person:
Jeroen van der Starre studiert Philosophie in Rotterdam und ist Mitglied der Gruppe Internationale Socialisten.
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