Europaweit demonstrierten 300.000 Menschen gegen die Krise des Kapitalismus und für ein soziales Europa. Gleichzeitig wächst in den Betrieben der Widerstand. Ein Bericht mit Fotos von Yaak Pabst
Es ist die bisher größte Demonstration in Deutschland seit Ausbruch der Wirtschaftskrise. 100.000 Menschen haben am Samstag in Berlin unter dem Motto »Die Krise bekämpfen, Sozialpakt für Europa. Die Verursacher müssen zahlen« protestiert. Zu der Demonstration hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) aufgerufen. Zeitgleich demonstrierten mehrere Zehntausend Gewerkschafter in Brüssel, Madrid und Prag. Insgesamt protestierten nach Angaben des DGB europaweit 330.000 Menschen.
Kapitalismus = Krise
In Berlin versammelten sich die meisten Menschen. Die roten und rot-weißen Fahnen der Gewerkschaften Verdi, IG-Metall, NGG und IG-BAU sowie der Partei DIE LINKE dominierten das Straßenbild. Aber auch selbstgebastelte Schilder waren zu sehen. »Es reicht! Generalstreik jetzt!« hieß es auf einem Transparent des Betriebsrats der Druckerei der Süddeutschen Zeitung. Auf einem anderen Transparent stand in riesen Buchstaben »Zorn« geschrieben. »Kapitalismus = Krise« auf einem anderen. Zahlreiche Belegschaften die sich im Kampf befinden, wie bei Continental und Karstadt, waren da. Ebenso die zur Zeit streikenden Beschäftigten von Kindertagesstätten. Auf der Demonstration waren auch Delegationen von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus Polen, Spanien und Italien. Sie riefen: »Hoch die internationale Solidarität«.
Jugend in Bewegung
Auffällig waren die lautstarken Jugendblöcke sowohl von der Verdi- als auch der IG-Metalljugend. Die ver.di Jugend trug symbolisch den Kapitalismus zu Grabe. Mehrere hundert Junggewerkschafter führten die kapitalismuskritische Formation der ver.di Jugend an, gefolgt von Aktionen mit der Botschaft »Wir sind sozial unruhig« und der Forderung nach einer »nächsten Gesellschaft«. Ihre Standpunkte verdeutlichte die Gewerkschaftsjugend zusätzlich mit tausenden von Streuzetteln, auf denen aus dem »Kapital« von Karl Marx zitiert wurde: »Keine Art Bankgesetz kann die Krise beseitigen« stand dort zu lesen. Der Block der IGM-Jugend war in schwarz-gelb gekleidet – »Operation Übernahme« nennen sie ihre Kampagne. Die Jugendlichen fordern, dass jeder der eine Ausbildung hat auch einen Arbeitsplatz bekommt. Denn viele Konzerne verweigern den Jugendlichen nach der Ausbildung die Übernahme in den Betrieb. Auf der Auftaktkundgebung am Breitscheidplatz brachte ein Sprecher der Gewerkschaftsjugend, die Stimmung vieler auf den Punkt: »Das Problem heißt nicht Neoliberalismus, sondern Kapitalismus«. Das sieht auch ver.di Bundesjugendsekretär Ringo Bischoff so. »Die heutigen europaweite Demonstrationen gegen die Krise zeigen deutlich, dass die Menschen nach einer Alternative zum Kapitalismus suchen. Die Jugend ist momentan enorm in Bewegung – wir haben schon seit Jahrzehnten nicht mehr eine so hohe Bereitschaft junger Menschen erlebt, aktiv zu werden«.Für viele Demonstrationsteilnehmer war dieser Protest nur der Auftakt. Zum einen wird es im Juni bundesweite Streiks von Schülern und Studierenden geben. Die TAZ zitiert einen Demonstrationsteilnehmer: Er glaubt, dass die Regierung bis zu den Bundestagswahlen alles daran setzen werde, die Krise zu deckeln. Spannend werde es nach dem 27. September werden, sagt er. Dann würden die Verteilungskämpfe beginnen und es auch mit der Kurzarbeit vorbei sein. »Wir müssen uns auf einen heißen Herbst bereit machen«.
Die soziale Unruhe wächst
Doch schon jetzt befinden sich zahlreiche Belegschaften im Abwehrkampf gegen Entlassungen und Betriebsschließungen. Am 11. Mai demonstrierten 1000 Beschäftige von Coca Cola Werken aus ganz Deutschland gegen die drohende Einstellung der Produktion in Kaiserslautern und Münster. Am 13. Mai rief die IG Metall im Südwesten Deutschlands zu 18 Kundgebungen während der Arbeitszeit – 22.000 Beschäftigten folgten dem Streikaufruf. In Wiesbaden kam es zu mehrtägigen Streiks gegen die Entlassung von 400 Beschäftigten beim Autozuliefererbetrieb Federal Mogul. Demonstrationen und Warnstreiks fanden in Schweinfurt (Schäffler), in Wiesloch (Heidelberger Druck), bei Thyssen in Duisburg, HDW in Kiel, bei EDS in Rüsselsheim, bei Porsche und Opel statt.
»Eine Region steht auf«
Eine der härtesten Auseinandersetzungen findet zur Zeit bei Mahle (Kolbenhersteller) in Alzenau (Unterfranken) statt. Nach den bisherigen Plänen des Kolbenspezialisten Mahle soll das Werk im Landkreis Aschaffenburg mit mehr als 420 Mitarbeitern noch in diesem Sommer geschlossen werden. Dagegen protestieren die Beschäftigten seit Wochen. Unter dem Motto »Eine Region steht auf« fanden wöchentliche Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern statt. 300 Beschäftigte fuhren in einem Autocorso nach Colmar und demonstrieren dort gemeinsam mit französischen Kollegen von Mahle, die ebenfalls betroffen sind. Zuletzt trat die Belegschaft vorübergehen in Streik und unternahm eine Kantinenbesetzung – die Produktion ruhte. Das Management des Autozulieferers hat den Beschäftigten mit Kündigungen gedroht, wenn sie weiter gegen die drohende Schließung protestieren. Bei den Aktionen handele sich um einen »wilden Streik«, der nicht angemeldet worden sei, sagte eine Mahle-Sprecherin. Der IG Metall-Bezirksleiter Neugebauer spricht sich gegen eine Betriebsbesetzung aus, die Diskussion darüber ist jedoch noch nicht beendet. Unterdessen hat die Geschäftleitung von Mahle unter dem Druck der Proteste verkündet auf die Schließung des Werkes verzichten zu wollen. Die Kampfbereitschaft der Belegschaft und der Bevölkerung bei den bisherigen Aktionen zeigt, dass die Kraft da ist, um nicht nur die Schließung abzuwenden, sondern auch alle Arbeitsplätze zu erhalten.