Ver.di hat für den öffentlichen Dienst auch dank starker Warnstreiks einen guten Tarifabschluss erzielt. Mit einem Erzwingungsstreik hätte die Gewerkschaft herausfinden können, ob noch mehr möglich war, meint Hans Krause.
Viele Beschäftigte hatten es nicht zu hoffen gewagt: Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes am 1. April brachte vor allem den Kollegen mit niedrigem Gehalt deutlich mehr Geld, weil erstmals eine sogenannte „soziale Komponente“ erreicht wurde: Ver.di setzte durch, dass die Gehälter dieses Jahr um 3 Prozent erhöht werden, mindestens jedoch um 90 Euro pro Monat. Für Kollegen, die 1800 Euro brutto verdienen, bedeutet das eine Lohnerhöhung um 5 Prozent.
Dass dieser Erfolg erreicht wurde, lag zum Einen an den Steuereinnahmen des Staates, die derzeit deutlich höher sind als vor zehn Jahren und den Druck, im öffentlichen Dienst zu kürzen, ein wenig gesenkt haben. Vor allem aber haben sich an den Warnstreiks so viele Beschäftigte beteiligt, dass ein Erzwingungsstreik für Bundesregierung und Bürgermeister eine echte Bedrohung wurde. „90 Euro Mindestbetrag ist großartig, gerade für die Kollegen aus den unteren Entgeltgruppen“, so Karola Fuchs, Betriebsratsvorsitzende vom Klinikum Idar-Oberstein.
Steuereinnahmen sind gesunken
Doch sollte man damit zufrieden sein? Ein Blick auf die Entwicklung der Gehälter von Beschäftigten auf der einen und der Gewinne von Unternehmen auf der anderen Seite legt das Gegenteil nahe: Während die Gewinne aus Unternehmenstätigkeit und Zinsen dieses Jahr inflationsbereinigt voraussichtlich 41 Prozent höher sind als 2000, liegen die Nettolöhne der Beschäftigten heute nur 2 Prozent höher als vor 14 Jahren. Schlimmer noch: Ausgerechnet die Menschen mit den niedrigsten Einkommen, verdienen heute deutlich weniger Geld als damals.
Dass der Arbeitgeber „Stadt“ oft pleite ist und jede Lohnerhöhung seiner Angestellten ablehnt, liegt daher nicht an zu hohen Gehältern, sondern an den gesunkenen Steuereinnahmen. Laut einer Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zahlen Unternehmen seit der „Steuerreform“ 2008 durchschnittlich nur 21 Prozent Steuern auf ihre Gewinne. Für Menschen beträgt der Spitzensteuersatz hingegen 45 Prozent.
Vertrag läuft zwei Jahre
Deswegen wäre ein besserer Tarifabschluss im öffentlichen Dienst richtig und wichtig gewesen. Zumal die Verhandlungsführer von ver.di das gute Ergebnis für 2014 mit einem schlechten für 2015 erkauft haben: Nächstes Jahr steigen die Gehälter nur um 2,4 Prozent ohne soziale Komponente. Für einen Beschäftigten, der 1800 Euro pro Monat verdient, ist das eine Erhöhung von etwa 43 Euro brutto beziehungsweise etwa 22 Euro netto mehr auf dem Konto.
Die Ver.di-Führung stellt seit Langem bei Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst Forderungen für ein Jahr auf und schließt danach einen Vertrag über zwei Jahre ab. Wobei die Lohnerhöhung im zweiten Jahr fast immer deutlich schlechter ist. Damit erlaubt die Gewerkschaftsführung den Arbeitgebern mindestens jedes zweite Jahr einen niedrigen Tarifabschluss, den sie zudem ohne jeden Warnstreik „geschenkt“ bekommen. Auch der jetzige Vertrag läuft bis März 2016 und verhindert Streiks im nächsten Jahr, wohin gegen der ver.di-Vorstand den Abschluss oft so darstellt, als seien alle Forderungen weitgehend durchgesetzt worden.
Doch wäre ein Erzwingungsstreik möglich gewesen? Die Beteiligung an den Warnstreiks spricht dafür. 300.000 Beschäftigte haben gestreikt, deutlich mehr als bei der letzten Tarifrunde mit 215.000.
verd.i mobilisiert erfolgreich
An Streiktagen blieben in Nordrhein-Westfalen (NRW) 95 Prozent der staatlichen Kitas geschlossen. Etwa ebenso viele Bahnen und Busse fuhren nicht. Gerade in NRW, dem größten Bundesland mit einem Drittel der ver.di-Mitglieder im öffentlichen Dienst, hat die Gewerkschaft die Warnstreiks sehr erfolgreich mobilisiert. Ein mehrwöchiger Vollstreik wäre hier möglich gewesen. Zumal laut Umfragen in ganz Deutschland die meisten Menschen die Streiks unterstützten.
Trotzdem hat der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in der „Großen Tarifkommission“ der Gewerkschaft behauptet, dass auch mit einem Erzwingungsstreik kein besseres Ergebnis möglich gewesen wäre. Aber wie kann Bsirske das wissen?
Mit Streiks aufbauen
Wie viele Beschäftigte sich beteiligen, ob Regierung und Medien gegen die Streiks hetzen und wie die Menschen darauf reagieren, all das hätte ver.di nur herausfinden können, wenn sie den Erzwingungsstreik begonnen hätte. „Vorprogrammiert“ war eine Niederlage auf keinen Fall.
Auch dass ver.di im öffentlichen Dienst beispielsweise in Ostdeutschland wenig Mitglieder hat, ist kein Grund, nicht zu streiken. Im Gegenteil: Streiks sind immer die Zeit, in der am meisten Beschäftigte in Gewerkschaften eintreten und in der die Kampfkraft auch langfristig aufgebaut werden kann.
Strategien entwickeln
Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst war ein Erfolg, der mit großen Warnstreiks erreicht wurde. Sollten in den nächsten Jahren das Wirtschaftswachstum und damit die Steuereinnahmen wieder sinken, könnte das aber zu wenig sein.
Wir müssen uns jetzt in ver.di dafür einsetzen, dass sich die Gewerkschaft auf Erzwingungsstreiks vorbereitet und dafür Streikstrategien entwickelt. Damit wir in der nächsten Tarifrunde die passende Antwort geben können, falls die staatlichen Arbeitgeber nicht mehr so nachgiebig sein werden.
Foto: Andreas Lehner