Über die Insolvenz von Manroland und die Aussichten des bevorstehenden Arbeitskampfes sprach die Redaktion der Zeitung Express im Dezember mit Rainer Herth, Vorsitzender der Vertrauenskörperleitung der IG Metall und Betriebsrat des Druckmaschinenherstellers. marx21 dokumentiert das Interview.
Im Jahr 2006 ist die Allianz bei manroland eingestiegen, mittlerweile gehören ihr 75 Prozent der Aktien und 60 Prozent der Stimmanteile bei manroland – allerdings hält sie auch Mehrheiten beim ›Konkurrenten‹ Heidelberger Druckmaschinen. Angesichts der immer wieder behaupteten Überkapazitäten in der Branche (vgl. FAZ, 5. Dezember 2011) liegt der Schluss nahe: War dies der bewusste Einstieg in eine Flurbereinigungsmaßnahme? Welches Interesse hätte die Allianz daran? Und welches Interesse hatten die Druckmaschinenhersteller, sich übernehmen zu lassen? Oder anders: Warum haben sie ihre Hoffnungen sehenden Auges auf einen Investor gerichtet, der zugleich Anteile an einem Konkurrenten hält?
Dazu muss man wissen, dass das »Engagement« der Allianz sich immer in Grenzen gehalten hat. Mit ihrer eigens für solche Geschäfte gegründeten Tochter, der Finanzierungsgesellschaft Allianz Capital Partners (ACP), hatte sie die Fabrik gekauft und ihre Kosten zu etwa zwei Dritteln über Kredite finanziert. Diese Kredite wurden schon in den ersten beiden Jahren zurück gezahlt, also dem Unternehmen entzogen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Allianz für ihre Anteile also weniger als 200 Millionen Euro bezahlt – ein echtes Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass Tausende Arbeiter ihr Leben lang dafür geschuftet haben. Es war klar, dass sich das »Engagement« der Allianz in Form ihrer Tochtergesellschaft ACP auf drei bis fünf Jahre begrenzt. Kaufen, Kosten optimieren und dann mit Gewinn an die Börse bringen, das war der angekündigte Plan. Dann kam die Weltwirtschaftskrise als Überproduktionskrise und hat ihr das Geschäft verhagelt.
Allein deshalb musste die Allianz 2010 noch mal 200 Millionen ausgeben, um weitere Anteile von der MAN zu kaufen. Sie musste Geld zuschießen, anstatt zu verdienen. Verzockt, würden viele sagen. Ich sage: Das Kapital versteht seinen eigenen Kapitalismus nicht – und die Zeche zahlen die Arbeiter. Danach war schon Schluss mit dem Einsatz der Allianz. Das hat sie jetzt einem Konsortium von 15 Banken überlassen und manroland damit zu hohen Zinszahlungen gezwungen. Letztendlich haben die Banken dann auch »den Hahn« zugedreht. In Offenbach machen wir seit Oktober 2008 fast durchgehend Kurzarbeit, haben die Krise also mit als Erste gespürt, noch bevor sie zur Finanzkrise erklärt wurde. Dabei wird der Produktivitätsfortschritt unserer Arbeit – wie immer im Kapitalismus – zu unserem größten Problem. Die Druckmaschinen sind immer leistungsfähiger, größer, schneller und ausgereifter. Eine Maschine ersetzt heute drei alte, die Haltbarkeit hat sich immens erhöht. Statt Befriedigung unserer Bedürfnisse und zusätzlicher freier Zeit, also Arbeitszeitverkürzung, führt unsere Arbeit in den Händen des Kapitals nur zu überzähligen Maschinenbauern und auch Druckern und damit zu Erwerbslosigkeit. Das, was ein Fortschritt sein könnte, wird im Kapitalismus zu unserem Feind. Hinzu kommt die Weltwirtschaftskrise und, als besonderes Problem der Rollendrucksparte, der Ersatz der Zeitung durch elektronische Medien. Für uns als Arbeiter in der Herstellung der Bogendruckmaschinen ist es auch ein Problem, dass Bildung im Kapitalismus offenbar ein verzichtbares Gut ist. Die größten Zuwächse im Bogen-Druck liegen im Verpackungsdruck – also der Herstellung von hochwertigem Müll. Die Verpackungen von z.B. Parfüm oder bestimmten Lebensmitteln werden heute mit feinster Technik und hohem Einsatz hergestellt – und wandern dann in die Tonne. Der Buchdruck dagegen – und hier meine ich nicht den Müll, den von und zu Guttenberg oder Sarrazin absondern, sondern z.B. Schulbücher, die ihren Namen verdienen – nimmt ab. So bekommen etwa die Kinder in Griechenland statt Büchern eine CD und drucken sich selbst aus, was sie brauchen. Aber auch hier in Hessen z.B. sind die Schulbücher meistens älter als die Kinder.
»In Offenbach würden Maschinen gebaut, die wettbewerbsfähig seien«, wird Armin Schild, Bezirksleiter der IG Metall, in der FR zitiert. Der Betrieb dürfe deshalb »nicht ohne Not aufs Spiel gesetzt werden«. Die Allianz habe Fehlentscheidungen des Vorstands jahrelang mitgetragen und dürfe sich »nun nicht aus der Verantwortung stehlen« (FR, 2. Dezember 2011). Worauf gründet sich seine Hoffnung, die Allianz in die Verantwortung einbeziehen zu können? Und wie schätzt Du die Möglichkeiten einer ›Blame-und Shame‹-Kampagne gegen den Versicherungsriesen ein?
Die Allianz ins Licht zu zerren ist unsere einzige Chance. Das muss entsprechend radikal und permanent geschehen, dann kann es Erfolg haben. Die Allianz hat allein 2010 mehr als acht Milliarden Euro Gewinn gemacht. Ein kleiner Teil davon würde genügen, um entweder das Unternehmen fortzuführen oder, wenn’s schief geht, uns Abfindungen zu zahlen, die uns ein paar Jahre »Hartz IV« ersparen. Dabei verlangen wir nichts Unmögliches. Die Forderung nach Fortführung von manroland heißt ja nichts anderes, als uns weiter auszubeuten, also genau das, was der Lebenszweck des Kapitals ist. Die Forderung nach Abfindungen ist auch völlig normal. Abfindungen von 300 000 Euro nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit würde ein Arbeits-Gericht – also der Staat – durchaus verfügen. Dann sollten wir das schon lange hinkriegen. Darum muss der Kampf geführt werden – um die Kohle. Solche Abfindungen werden gerade eben ohne Aufregung im Nachfolgebetrieb von Höchst bezahlt. Wo also ist das Problem?
In der FR läuft derzeit eine Online-Umfrage: »Soll der Staat den insolventen Druckmaschinen-Hersteller manroland finanziell unterstützen?« Auch Stephan Körzell vom DGB Hessen argumentiert, dass der Standort Offenbach ›systemrelevant‹ sei, nämlich für die Region, und deshalb die gleiche staatliche Unterstützung in Form von Rettungsschirmen wie die Banken verdiene. Was hältst Du davon?
»Wir« sind nicht Opel und »wir« sind auch nicht manroland. Wir sind Arbeiter und können nicht für die sogenannten Rettungsschirme sein, weil klar ist, dass wir dafür bezahlen müssen. Hunderte von Milliarden hat das Volk schon heute zu bezahlen für Maßnahmen, mit denen letztlich die Banken gerettet wurden. Gerade
eben wurden Milliarden Euro an die europäischen Banken – und vorne weg an die deutschen – überwiesen und damit gleichzeitig die Völker Griechenlands, Portugals, Irlands usw. ins Elend gestürzt. Diese Rettungsschirme, die nur den Banken dienen, müssen wir bekämpfen und verhindern, statt sie zu fordern. Das ist ja auch die Haltung der Gewerkschaften – allerdings ohne dass sie dafür kämpfen, sie betteln und bitten nur. Die richtige Haltung wäre die, wie sie auch die fortschrittlichen Arbeiter in Griechenland, Spanien, Portugal einnehmen: Befreiung von der Herrschaft der Banken. Keine Zins-Zahlung mehr an die Banken, Streichung aller Schulden. Wir müssten genau das tun, was manroland und die Allianz tun: Insolvenz anmelden und uns von den Schulden befreien. Also den deutschen Staatsbankrott fordern. Wir wollen das Geld der Allianz und der MAN. Das ist aus uns herausgepresst worden, jetzt sollen sie zahlen. Das geht natürlich auch nur mit Kampf. Von alleine werden sie uns keinen Cent überlassen. Das wäre aber die Aufgabe der Gewerkschaften, diesen Kampf zu organisieren.
»Systemrelevant« ist der Standort Offenbach in der Tat für die Arbeiter und die Bürger in Offenbach. Zu den 1900 Erwerbslosen bei manroland werden Hunderte kommen, die bei den Zulieferern, im Handel, in der Stadt mit über die Wupper gehen. Das wird Offenbach spüren. Deshalb muss unser Kampf ausgeweitet und müssen die Beschäftigten anderer Betriebe angesprochen werden, die Familien, die ganze Stadt.
Gewerkschaft und Betriebsrat wollen, nachdem der »Massekredit« nun ein wenig Luft verschafft hat, ein Konzept zur Fortführung des Offenbacher Werks vorlegen. Dies würde eine Abspaltung des Offenbacher Werks aus dem Konzernverbund beinhalten. Dafür können sich auch Insolvenzverwalter Werner Schneider und Wirtschaftsminister Posch von der FDP erwärmen (FR, 2. Dezember 2011). Die »Kollegengruppe« bei manroland Offenbach scheint dagegen eine andere Strategie zu verfolgen (vgl. Kollegengruppe informiert, Nr. 6, Dezember 2011). Mit Verweis auf die jahrelangen Verzichtsleistungen, die in der Hoffnung auf einen Erhalt der Arbeitsplätze geleistet worden seien, und die sich nun als Makulatur erwiesen, wird dort vor der Illusion einer Fortführung des Werks gewarnt und die auch von Dir schon erwähnte Option möglichst hoher Abfindungen ins Spiel gebracht. Wie ist diesbezüglich die Stimmung in der Belegschaft? Wie schätzt Du diese beiden Alternativen ein?
Es nutzt nichts, mit falschen Hoffnungen für eine Niederlage anzutreten, bei der Hunderte von Arbeitsplätzen verloren gehen. Das war die Politik der IG Metall in den vergangenen Jahren: Verzicht für die vorübergehende Sicherung von Arbeitsplätzen. Seit fast zehn Jahren wird bei allen drei Druckmaschinenherstellern das »Pforzheimer Abkommen« angewandt und voll ausgeschöpft. Dieses Niederkonkurrieren auf dem Rücken der Arbeiter ist im schlechtesten Sinne des Wortes beispielhaft. Tausende wurden dabei entlassen und Tarife unterboten. Ein weiteres Ergebnis sehen wir jetzt: Demoralisierte Belegschaften, die das Kämpfen verlernt haben, die ihre Kolleginnen und Kollegen als Konkurrenten sehen, statt als Verbündete. Das ist die Schuld der Gewerkschaft. Da ist es kein Wunder, wenn in der größten Katastrophe dann Luftballons als Kampfmittel herhalten müssen, wie bei der Demo am 8. Dezember. Ein Teil der Belegschaft, ein Teil der Arbeiter hat diesen Weg immer bekämpft. Jetzt werden wieder Hoffnungen geschürt, obwohl jedem klar sein muss, das alle Arbeitsplätze von uns hochgradig gefährdet sind und massenhaftes Elend für uns vorgesehen ist, wenn wir uns nicht einmischen. Ein paar hundert Millionen, jetzt von der Allianz und der MAN auf ein Sonderkonto der Belegschaft eingezahlt, sind das Mindeste, was wir verlangen müssen. Dafür müssen wir den Konzernen auf die Pelle rücken, so wie es die Kollegengruppe zusammen mit anderen Aktivisten der Belegschaft am 14. Dezember getan hat. Wenn der Betrieb weiter geführt wird, dann mit dem Geld von Allianz und MAN. Wenn nicht, oder wenn es Entlassungen gibt, dann wird es für unsere Abfindungen verwendet. Wenn der Insolvenzverwalter uns seine Lösung präsentiert – und die liegt bei jeder Variante nur zwischen Massenentlassungen und der vollständigen Liquidierung – muss der Betrieb besetzt werden, um zu retten, was eigentlich sowieso uns gehört, oder im Falle eines Verkaufs unsere Abfindungen daraus zu bezahlen. Nur so kommen die Arbeiter wenigstens mit Kohle aus der Sache raus.
Im Moment scheint unklar, wohin sich die Belegschaft orientiert. Gibt es Möglichkeiten, den bevorstehenden Arbeitskampf bei manroland zu unterstützen?
Das Motto der Kollegengruppe ist »Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren«. Dieses Motto von Bertolt Brecht ist jetzt in aller Munde. Aber Luftballons steigen lassen ist kein Kampf; eine Kirchen-Andacht mit Gebeten, wie in Augsburg veranstaltet, ist kein Kampf. Der größte Teil der Belegschaft in Offenbach wird jetzt bis Ende des Jahres nach Hause geschickt – auch zu Hause wird nicht gekämpft. Der Betriebsrat und die IG Metall arbeiten derzeit mit Hochdruck an einem Fortführungskonzept. Das kommt Jahre zu spät, und diese vergangenen Jahre haben IG Metall, Teile der Betriebsräte und der Belegschaft ein Sparpaket nach dem anderen mitgemacht, anstatt zu kämpfen. Das heißt doch nichts anderes, als dass man dem Kapital über Jahre hinweg mit Lohnverzicht und Massenentlassungen dabei geholfen hat, den Betrieb genau dahin zu bringen, wo er jetzt ist. Die Verzichtsrunden sind die Voraussetzungen gewesen, um einen Unterbietungswettbewerb in Gang zu halten gegen die Kolleginnen und Kollegen bei KBA und Heidelberger. Deren Herren haben das Gleiche gemacht, auch wieder mit Unterstützung der IG Metall und »ihrer« Betriebsräte. Das Kapital war also noch weniger gezwungen, Produktivität und Innovation zu »erzeugen« oder seine Fehlentscheidungen zu korrigieren, sondern konnte so auf unserem Rücken die Konkurrenz verschärfen.
Diese Politik der Gewerkschaften braucht kein Mensch. Und jetzt geht es gerade so weiter. Das Fortführungskonzept wird Hunderte von Entlassungen vorsehen, deren Abfindungen durch die Insolvenz auf Almosen begrenzt werden. Wer dann die Fortführung will, muss sich gegen die stellen, die entlassen werden und dafür eintreten, die Abfindungen klein zu halten – weil der Betrieb wichtiger ist und das Geld nötiger braucht. Wenn dieser Zeitpunkt kommt, also Ende Januar, wenn das Insolvenzgeld für unsere Löhne nicht mehr gezahlt wird, dann wird die Belegschaft erneut gespalten und noch ein bisschen kampfunfähiger gemacht. Darauf arbeitet aber die Mehrheit – bewusst oder unbewusst – hin, anstatt jetzt den Kampf vorzubereiten. Ohne Streik gibt es keinen Kampf. Die bisherigen Aktionen während der Arbeitszeit sind auf die Unterstützung des Insolvenzverwalters angewiesen, der der Belegschaft dafür frei gibt. Das kann er nur, weil ein Großteil sowieso keine Arbeit hat. Aber wir können unseren Erfolg doch nicht davon abhängig machen. Genauso kann es nicht die Aufgabe des Betriebsrates sein, die Entlassungen vorzubereiten, die Hälfte der Belegschaft zu opfern und dann in Tränen auszubrechen, wenn es soweit ist. Deshalb sind die Parolen: »Wir sind manroland«, »Rettet den Standort« oder »manroland muss leben« so falsch und verräterisch. Wir kämpfen nicht für einen Standort ohne Arbeiter, eine Fabrikhalle ohne unsere Arbeitsplätze. Wir kämpfen nicht für einen Haufen Steine und Maschinen. Deshalb noch einmal: Unser Kampf geht gegen die Allianz und MAN. Wir fordern die Millionen, die uns zustehen, die über Jahrzehnte aus unserer Arbeit gepresst wurden. Entweder für Arbeitsplätze oder für Abfindungen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Insofern wäre eine mögliche Unterstützung der Belegschaft ›von außen‹ eine Solidarität, die heißt: Wir stehen zu Euch, wenn Ihr kämpft, wir unterstützen Euren Kampf, aber wenn Ihr selbst nicht kämpft, könnt Ihr nichts gewinnen. Die Situation wird sich Anfang des kommenden Jahres zuspitzen: Wir werden entweder untergehen oder endlich die Frage nach dem Eigentum stellen. Wollen wir uns mit Arbeitslosengeld und Hartz IV abspeisen lassen, oder nehmen wir unser Eigentum in Besitz und schlagen das Beste für uns heraus? Dazu müssen sich die Arbeiter zusammenschließen und beginnen, ihre Sache in die eigenen Hände zu nehmen, so wie es die Kollegengruppe getan hat.
Zum Text: Zuerst erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/11. express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express