Faical Salhi organisiert Solidarität mit der tunesischen Bewegung in Berlin. marx21 sprach mit ihm über den Charakter der Übergangsregierung, die politische Landschaft in Tunesien und die Hoffnung auf Befreiung.
marx21: Gestern haben die Vertreter der Gewerkschaft die tunesische Übergangsregierung verlassen. Warum?
Faical Salhi: Die Menschen wollen, dass nicht nur Ben Ali, sondern auch die Regierungspartei RCD entmachtet wird. Sie demonstrieren vor dem Hauptquartier der Partei und ihre Parolen richten sich gegen das RCD. Das ist der Grund für die Entscheidung der Gewerkschaft.
Alle, die ebenso blutige Hände haben wie Ben Ali, sitzen immer noch in der Partei und in der Regierung. Sie versprechen zwar Untersuchungskommissionen, die angeblich aufklären sollen, wer gefoltert hat und wer korrupt ist, aber das ist lächerlich.
Das ist, als hätten die Tunesier den Dieb zwar verjagt, aber seiner Bande sollen sie nun den Revolver und zwei Monate Zeit lassen und ihnen vertrauen, dass sie nichts anfassen. Deswegen geht das Volk weiter auf die Straße.
Mit welchem Ziel?
Die Menschen erwarten von einer Übergangsregierung, dass sie freie Wahlen vorbereitet, an der alle Parteien teilnehmen können. Dafür müssen die Verfassung geändert und Rechte wie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Koalitionsfreiheit garantiert werden. Das trauen die Menschen der jetzigen Übergangsregierung nicht zu.
Welche sozialen Forderungen erheben die Menschen?
Ben Ali hatte am Tag vor seiner Flucht noch 300.000 neue Jobs für Akademiker versprochen. Das hat ihm natürlich niemand geglaubt. Aber die Menschen erwarten jetzt, dass die Ressourcen des Landes gerecht verteilt werden. Daran werden die zukünftigen Regierungen gemessen werden.
Welche politischen Parteien gibt es außer der Regierungspartei?
Es gibt acht größere Parteien in Tunesien. Fünf davon sind verboten. Eine ist das RCD und die beiden anderen sind nichts anderes als deren verlängerten Arme.
Nur ein Beispiel: Bei den letzten so genannten Wahlen trat der Vorsitzende einer dieser Parteien im Fernsehen auf und empfahl dem Volk, den Präsidenten zu wählen, obwohl er selbst kandidierte.
Zur illegalen Opposition gehören die Kommunistische Arbeiterpartei, die islamische Partei der Wiedergeburt, der liberale Kongress für die Republik, die Demokratische Arbeiterpartei und die Panarabisten.
Können diese Parteien jetzt frei arbeiten?
Die fünf Parteien sind immer noch illegal und es gibt auch noch keine Amnestie für die politischen Gefangenen. Die Übergangsregierung ruft alle Exilanten auf, jetzt zurückzukommen, aber darauf fallen wir nicht noch einmal herein.
Das hatten wir schon einmal, 1990. Ben Ali ließ danach so viele Menschen verhaften, dass Tunesien Anfang der 90er Jahre 45.000 politische Gefangene hatte. Das lassen wir nicht noch einmal zu. Wir wollen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Kurz nach Ben Alis Flucht tobten Gerüchte über einen Putsch des Militärs. Für wie groß hältst Du die Gefahr?
Das Volk ist zu stark für einen Putsch. Oft sind Soldaten mit den Menschen gemeinsam auf der Straße gegen die Milizen der Regierungspartei. Der Chef der Armee hatte vor Ben Alis Flucht den Befehl verweigert, auf Demonstranten zu schießen und wurde deswegen entlassen. Jetzt ist er wieder zurück.
Was erwarten die Tunesier von den Menschen in Deutschland?
Solange Ben Ali regierte, waren die offiziellen Türen hier für uns verschlossen. Weil der Diktator angeblich einen Iran am Mittelmeer verhindert hat, haben die europäischen Regierungen über unsere Unterdrückung geschwiegen.
Deswegen sagen die Menschen jetzt: Entweder ihr lasst uns in Ruhe oder ihr schlagt euch auf die Seite des Volkes. Politische und wirtschaftliche Interessen dürfen einen wahren Wandel nicht verhindern. Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wen sie wählen dürfen und wen nicht.
Tunesien ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Demokratisierung funktioniert. Tonnen von Bomben auf Menschen zu werfen wie im Irak oder in Afghanistan bringt keine Demokratie. Es reicht, wenn das Volk sich wehrt.
(Die Fragen stellte Jan Maas)
Zur Person:
Faical Salhi stammt aus Tunesien und lebt seit 20 Jahren in Deutschland.
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