Die Wahlerfolge der Linken in Niedersachsen und Hessen haben das politische Klima in Deutschland ein Stück nach links verschoben. Was macht die Linke aus diesem Erfolg? marx21 dokumentiert eine Wahlanalyse von Janine Wissler, Hermann Schaus und Volkhard Mosler.
1. Politisches Klima hat sich verändert
Die Wahlerfolge der Linken in Niedersachsen und Hessen haben das politische Klima in Deutschland ein Stück nach links verschoben. Das hessische Wahlresultat war auch eine Absage an Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Roland Koch hat eine schwere Niederlage erlitten, die CDU-Rechte ist dadurch in die Krise geraten. Die Nazis haben nicht nennenswert dazulegen können, trotz sozialer Krise. Der Wahlerfolg der Linken und einer sich links gebenden SPD in Hessen gibt all jenen Mut, die sich der Agenda-Politik widersetzen wollen. Andrea Ypsilanti ist es gelungen, einen Teil des Protestes gegen ihre eigene Partei in der Großen Koalition hinter sich zu sammeln. Das verdankt sie einem Wahlkampf, der streckenweise schwer von dem der Linken zu unterscheiden war und ihrem (ungerechtfertigtem) Ruf, immer schon eine Gegnerin der Hartz-Gesetze Schröders gewesen zu sein. Der linke Wahlkampf der SPD hat uns geschwächt, unseren Einzug in den Landtag aber nicht verhindern können. Mit der Fraktion der Linken in den Landtagen von Hessen und Niedersachsen haben die sozialen Bewegungen ein Sprachrohr im Parlament.
2. Erfolg realistisch einschätzen
Unser Wahlergebnis ist ein großer Erfolg für die Linke in Deutschland. Aber noch haben wir nichts verändert. Unser Einzug in die Landtage von Hannover und Wiesbaden führt noch nicht zu einer Veränderung der Politik. Daher sollten wir „triumphalistische" Einschätzungen vermeiden. Wir verstehen darunter die Tendenz, unseren Wahlerfolg zu überschätzen in seinen Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse allgemein und auf die Sozialdemokratie im Besonderen. Triumphalistisch sind solche Sätze wie: „Das Soziale hat wieder Gewicht" oder „Die Linke verändert das Land" aus diversen Wahlauswertungen und Stellungnahmen. Die große Mehrheit, nämlich 75 Prozent der Bevölkerung, sagt, dass die Linkspartei „zwar keine Probleme löst, nenne aber die Dinge beim Namen." (dimap Deutschland-Trend)
Dem entspricht andererseits die immer noch ansteigende Tendenz zur Wahlenthaltung. In Niedersachsen ist die „Nichtwähler-Partei" mit 43 Prozent stärker als die CDU, in Hessen ist sie mit knapp 36 Prozent fast so stark wie SPD oder CDU. Die guten Wahlresultate der Linken, ihr Einzug in die Landtage von Hessen und Niedersachsen machen Mut und verbessern die Chancen für erfolgreiche außerparlamentarische Abwehrkämpfe, aber sie verändern noch nicht das Land. Oder – um es mit Oskar Lafontaine auszudrücken: „Allein die Tatsache, Koch stürzen zu können, ist noch keine Revolution." Vor allem hat sich noch nichts an dem Prozess der schleichenden Verarmung großer Teile der Bevölkerung geändert. Im Gegenteil: die Ereignisse um Nokia und der WestLB sind ein Schock – nicht nur für die direkt Betroffenen. Auch nach der Bundestagswahl 2005 gab es für kurze Zeit nach dem Einzug der Linken in den Bundestag solche Überschätzungen des Wahlerfolgs, bzw. seiner Auswirkung auf die Politik. Es gab Hoffnungen, dass die SPD durch bloße Präsenz der Linken im Bundestag ihre Agenda-Politik nicht fortsetzen oder wesentlich abschwächen würde. Die Rolle der SPD in der großen Koalition war nicht „Bremse gegen Sozialabbau", sondern teilweise sogar Beschleunigerin (z.B. bei der Mehrwertsteuer, bei Rente 67). Ihre Rolle in der großen Koalition ist gerade nicht, die Arbeitnehmer vor größerem Übel zu schützen. Ihre Rolle besteht darin, die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen an die kurze Leine zu legen und so den Widerstandswillen der Betroffenen zu lähmen. Das gilt bis heute, auch wenn die SPD mit Rücksicht auf Landtagswahlen zur Sozialrethorik zurückkehrt. Wir sollten die Sozialrethorik und die Wahlparolen der SPD nicht mit ihrer realen Politik verwechseln. Realismus und Nüchternheit ist auch jetzt angesichts des Wahlerfolges in Hessen (und Niedersachsen) angesagt: Eine Fraktion mit 6 Abgeordneten ist ein hoffnungsvoller Anfang, sie gibt der Linken eine öffentlich wahrnehmbar Stimme, nicht mehr und nicht weniger. So wie der Einzug der Linken im Bundestag nicht den weiteren Sozialabbau und die Kriegseinsätze der großen Koalition verhindern konnte, so wäre es eine trügerische Hoffnung zu glauben, dass der bloße Einzug der Linken in den hessischen Landtag schon zu einem Politikwechsel im Sinne der Arbeitnehmer, Arbeitslosen, Rentner und Studenten führen würde.
3. Polarisierung zwischen „linker" SPD und rechter CDU-Kampagne
Das Wahlergebnis in Hessen ist angesichts der schwierigen Dynamik des Wahlkampfs vor allem in der Schlussphase gut, aber wir konnten unser Wählerpotential bei weitem nicht ausschöpfen. Die Polarisierung ist zwar durch unsere Existenz angestoßen worden, schadete uns aber. Niedersachsen hatte es mit einer Schlafmütze Jüttner und einem Kuschelkandidat Wulff einfacher als die Linke in Hessen mit einem politischen Ferkel wie Koch und einer glaubhaft wirkenden SPD-Linken wie Ypsilanti. Umso wichtiger wäre es gewesen, gerade in der Schlussphase nicht nur „Koch muss weg – das geht nur mit uns!" zu sagen (so richtig das war!), sondern auch die Glaubhaftigkeit von SPD und Andrea Ypsilanti in Frage zu stellen. So konnte der Eindruck entstehen, Ypsilanti sei „eine von uns". Diesen Eindruck hat Ypsilanti selbst kräftig genährt, indem sie überall behauptete, die Linke habe ihr Programm bei der SPD abgeschrieben. Dem hatten wir eigentlich nichts entgegenzusetzen außer der Behauptung, es sei in Wirklichkeit umgekehrt. Auch Roland Koch hat durch seine „Anti-Linksblock"-Kampagne der letzten beiden Wochen vor der Wahl diesen Eindruck verstärkt.
Demgegenüber gilt festzuhalten:
- Andrea Ypsilantis Mindestlohnkampagne hat im Gegensatz zu unserer keinen Betrag genannt, zwischen 3 und 8 Euro ist alles möglich.
- Andrea Yspilanti hat mit einem Programm für alternative Energiequellen den Eindruck erweckt, als träte sie für Klimaschutz ein. Ihre Zustimmung zum weiteren Ausbau der Flughäfen in Kassel-Calden und in Frankfurt und ihr Ja zur Bahnprivatisierung zeigen aber, dass auch hier eine Glaubwürdigkeitslücke besteht.
- Andrea Ypsilanti hat zusammen mit Hermann Scheer auf dem Hamburger Parteitag einen Antrag zur Teilprivatisierung („Volksaktienmodell") der Bahn AG durchgesetzt. Ihre Forderungen nach einem effizienten und kostengünstigen Nahverkehrssystem sind damit ebenso unvereinbar wie mit der Kürzung der Bundeszuschüsse für den öffentlichen Nahverkehr durch ihre Partei.
- Andrea Ypsilanti hat die Agenda 2010 und Harz IV mit unterstützt durch ihre persönliche Zustimmung auf dem Bundesparteitag der SPD 2004. Damals ist nahezu der gesamte linke Flügel der SPD angesichts eines Erpressungsmanövers von Kanzler Schröder eingeknickt (Rücktrittsdrohung für den Fall von Abstimmungsniederlage). Sie hat Kritik an der Agenda geäußert und Korrekturen gefordert, aber die Beseitigung der Arbeitslosenhilfe verteidigt sie bis heute als Fortschritt.
- Im Wahlprogramm der hessischen SPD findet sich keine Absage an weitere Privatisierung von Betrieben der öffentlichen Daseinsfürsorge. Im Gegenteil: die SPD hat in Vorfeld der Landtagswahl der Privatisierung von Kreiskrankenhäusern zugestimmt.
Der Wahlkampf von Andrea Ypsilanti war von vornherein darauf aufgebaut, die hessische SPD als „anders", als „links" usw. darzustellen. SPD-Prominente aus Berlin haben keine Rolle gespielt. Die Wähler konnten so den Eindruck gewinnen, als wolle Andrea Ypsilanti im Kern dasselbe wie die Linke. Dieser Eindruck war so stark und wirksam, dass in der Schlussphase des Wahlkamps etwa zwei Prozent unser Wähler von uns zur SPD „zurückgewandert" sind.
4. Regierung
Inzwischen mehren sich die Stimmen in den herrschenden Kreisen, dass es in dem sich abzeichnenden Fünfparteiensystem für Schwarz-Gelb auf der einen, wie für Rot-Grün auf der anderen Seite auf absehbare Zeit keine Mehrheit mehr geben werde und dass es daher an der Zeit sei, die Linke zu zähmen („Umarmen ist besser als ausgrenzen", Kommentar der Financial Times Deutschland).
DIE LINKE hat in ihrem Wahlkampf immer unterschieden zwischen einem bloßen Regierungswechsel und einem Politikwechsel. Das macht natürlich nur Sinn, wenn sie diesen Unterschied auch konkret macht, das heißt klare Bedingungen nennt, die für eine Wahl von Andrea Ypsilanti als Ministerpräsidentin gewährt sein müssen. Ohne eine Rücknahme der Studiengebühren und ohne die Rückkehr Hessens in den Tarifverbund der Länder werden wir sie nicht zur Ministerpräsidentin wählen. Da FDP und CDU für die Beibehaltung der Studiengebühren und Tarifbruch eintreten, wäre dies wohl auch verbunden mit der Bildung einer rot-grünen Minderheitenregierung. Für einen Politikwechsel reichen allerdings die von der SPD gemachten Wahlversprechungen nicht aus. Sie sind in der Regel vage genug (z.B. Mindestlohn), dass sie sich ohne großen Gesichtsverlust herauswinden könnte. DIE LINKE. Hessen hat Mindestbedingungen verabschiedet, die für einen Politikwechsel stehen sollten, dazu gehört u.a. ein öffentliches Beschäftigungsprogramm, die Rückkehr Hessens in die Tarifgemeinschaft der Länder, die Abschaffung der Studiengebühren, kein weiterer Ausbau der hessischen Flughäfen sowie Bundesratsinitiativen zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, der Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Abschaffung von Hartz IV und Rente mit 67. Diese Forderungen werden wir nicht opfern, um einer Regierung beizutreten. Ohne diese Forderungen gibt es keinen Politikwechsel.
Wir wollen keine Regierungsbeteiligung oder Tolerierung einer Regierung, die den Sozialabbau weiter betreibt. Wir wollen nicht linkes Feigenblatt einer Regierung sein, die Privatisierungen vorantreibt und Kürzungen betreibt. Eine linke Parlamentsfraktion muss sich daran messen, ob sie der Mobilisierung außerparlamentarischer Kämpfe, des Klassenkampfs von unten gegen den Klassenkampf von oben, nutzt. Wenn sich der parlamentarischen Linksruck nicht niederschlägt in einem Aufschwung außerparlamentarische Kämpfe, dann ist DIE LINKE als Regierungspartei unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen dabei eher ein Hindernis.
5. Kräfteverhältnisse verändern
Richtig ist, was Oskar Lafontaine auf der Betriebsrätekonferenz in Frankfurt sagte: „Was wir in Deutschland lernen müssen, ist das Instrument des politischen Streiks einzusetzen. Andere europäische Länder, wie beispielsweise Frankreich, sind uns da um Einiges voraus. Nur mit dieser Art des Kampfes können wir mehr Gerechtigkeit im Land erreichen. Ich sehe keinen anderen Weg mehr. Denn freiwillig wird die Regierung keinen Mindestlohn einführen. Und freiwillig wird die Bundesregierung auch die Rente mit 67 nicht zurücknehmen." Lafontaine bestätigt damit auch die Erfahrungen der Geschichte des Sozialstaates und der Sozialreformen in Deutschland. Wirkliche Sozialreformen, die den Namen verdienten, gab es nie ohne große gesellschaftliche Bewegungen und Kämpfe, ohne eine nachhaltige Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der Arbeitnehmer. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den wir aber schon jetzt mit dem Aufbau der Kampagnen und Aktivitäten zu Mindestlohn, Truppenrückzug, Privatisierung etc. beschreiten können. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, eine linke Partei könne nur in der Regierung mitgestalten.
Zu den Autoren:
Janine Wissler ist Abgeordnete von Die Linke im Hessischen Landtag und Mitglied des Bundesvorstand von Die Linke.
Hermann Schaus Abgeordneter von DIE LINKE im Hessischen Landtag und Mitglied des Landesvorstand Die Linke.Hessen
Volkhard Mosler ist Mitglied im Kreisvorstand Die Linke.Frankfurt/Main
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