Die Freude der Herrschenden über die Sieg der Konservativen in Griechenland könnte bald vorbei sein: Die Linke ist stark wie nie. Lucia Schnell und Leandros Fischer analysieren den Wahlausgang
Die Euro-Gruppe und die Börsen haben erleichtert auf den Wahlsieg der griechischen Konservativen Nea Dimokratia (ND) reagiert. Sie sind froh, dass die Linke nicht gewonnen hat. Aber sie wissen auch: Die Griechen haben den Kürzungskurs der EU nicht bestätigt. Und, was von enormer Bedeutung ist: Samaras muss vom ersten Tag an mit einer selbstbewussten linken Opposition rechnen, die die Sparauflagen komplett ablehnt.
Selbst der siegreiche Kandidat der ND Antonis Samaras versprach im Wahlkampf seinen Anhängern, das Spardiktat nachzuverhandeln – wohl wissend, dass Brüssel mehrmals eine Neuverhandlung des Spardiktats ausgeschlossen hat. Ob der konservative Block sich also als Sieger fühlen darf, ist fraglich, zumal Nea Dimokratia eine Volkspartei ist, die an Wahlergebnisse von 40 Prozent gewöhnt ist.
Dass Samaras angesichts einer ursprünglich schlechten Wahlprognose doch gewinnen konnte, hat mit einer nationalen und internationalen Medienkampagne der Angst und Diffamierung gegen Syriza zu tun, die offensichtlich für einige Wähler am Ende entscheidend war.
Auf dem Land und bei Rentnern
Die ND konnte in ländlichen Regionen und unter Rentnerinnen und Rentnern überzeugen. Ihren Wahlsieg verdankt sie auch der massiven Erpressung der Europäischen Union. So sagte der Präsident der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker einen Tag vor der Wahl: »Über die Substanz des Sparprogrammes für Griechenland kann nicht verhandelt werden.«
Wenn die radikale Linke gewinne, seien »die Folgen für die Währungsunion nicht absehbar«. Samaras konnte das gegen Syriza wenden: »Wenn wir mit unseren (EU)-Kollegen brechen, werden sie uns zwingen, den Euro zu verlassen.«
Alexis Tsipras, der Kandidat von Syriza, erklärte zwar, dass die EU einen Rauswurf Griechenlands aus eigenen Interessen nicht wagen könne und deshalb zu Verhandlungen bereit sein müsse. Doch viele Griechen, die weniger mit der Macht der Straße und der Generalstreiks in Berührung gekommen waren, trauten sich nicht, ein Risiko einzugehen und Syriza zu wählen und wählten diesmal lieber die Konservativen. Laut Umfragen traf ein Drittel der Wählerinnen und Wähler ihre Entscheidung einen Tag vor der Wahl.
Syriza stark wie nie
Wahrscheinlich hat ND jedoch einen Pyrrhussieg errungen. Denn das linke Bündnis Syriza hat zwar den angestrebten Wahlsieg verpasst, ist aber mit knapp 27 Prozent der Stimmen so stark wie nie zuvor. Syriza ist in allen städtischen Regionen und in der Altersgruppe zwischen 18 und 47 Jahren Wahlsieger.
Laut Umfragen im Staatsfernsehen dominierte Syriza weiterhin bei wichtigen Gruppen wie Arbeitern, Angestellten und Hochschulabsolventen. Schließlich weitete Syriza im Vergleich zur Wahl vor einem Monat ihren Vorsprung gegenüber ND bei Menschen, die nur einige Jahre vor der Rente stehen, von 10 auf 13 Prozent aus.
Das sind enorme Leistungen für eine Partei, die 2009 nur 4,6 Prozent des Stimmenanteils erreichte. Sie symbolisieren eine historische Verschiebung und Radikalisierung nach links innerhalb der griechischen Arbeiterklasse. »Die Linksradikalen haben noch viel besser abgeschnitten als am 6. Mai«, schreibt die FAZ sorgenvoll.
Jetzt Opposition formieren
Zusammengerechnet erreichen die Parteien links der Sozialdemokratie 38 Prozent. Denn die beiden anderen linken Parteien, »Demokratische Linke« und Kommunisten, kommen auf 6,2 beziehungsweise 4,5 Prozent. Syriza ist jetzt nicht mehr die gleiche Partei wie vor einem Monat. Wenn sie ihre knapp 27 Prozent erhalten will, dann muss sie einen Weg finden, ihre starke parlamentarische Präsenz mit einer ausgeweiteten Präsenz innerhalb der sozialen Bewegungen zu unterfüttern.
Es gibt dafür hoffnungsvolle Zeichen: Ein Redakteur der parteinahen Zeitung »Avgi« verkündete nach der Wahl, Syriza vertrete die »produktiven Kräfte der griechischen Gesellschaft«, die sich nach der Wahl in eine bewegungsorientierte Opposition zum Spardiktat formieren würden.
Alte Linke abgestürzt
Die griechische Sozialdemokratie Pasok, die in den letzten drei Jahren die Verarmungsprogramme durchsetzte, stürzte von knapp 44 Prozent im Oktober 2009 auf 12 Prozent ab. Sie stellte sich auch bei dieser Wahl auf die Seite des Spardiktats der Troika und verlor viele ihrer Stammwählerinnen und -wähler, insbesondere Beschäftigte im öffentlichen Dienst, an Syriza.
Diese gewann aber auch von der traditionell starken Kommunistischen Partei KKE, die ihr Wahlergebnis halbierte, weil sie Syriza in den gleichen Topf mit ND und PASOK warf. Damit diskreditierte sie sich bei vielen ihrer Anhänger, Arbeitern und Jugendlichen. Die Generalsekretärin der Partei Aleka Papariga ging sogar so weit, den Sieg von Syriza als ein Resultat der »Verwässerung« von Syrizas Positionen zu interpretieren.
Diese Analyse stellt praktisch das Offensichtliche – die Massenbewegung eines Großteils der griechischen Bevölkerung nach links – auf den Kopf. Das Bündnis Syriza kann hoffentlich die traditionell stark in den Bewegungen verankerten Aktivistinnen und Aktivisten der KKE für sich gewinnen.
Gefahr von rechts
Die Nazi-Partei »Goldene Morgenröte« konnte sich bei knapp 7 Prozent halten. Das ist ohne Zweifel eine besorgniserregende Entwicklung, denn diese ist eine harte faschistische Partei aus mörderischen Schlägertrupps, die die Verzweiflung vieler Kleinunternehmer, Handwerker und Arbeitsloser über die Krise für ihre nationalistische und rassistische Argumentation nutzt. Dabei geht die Partei einen Weg der Ausgrenzung von Einwanderern aus der griechischen Gesellschaft, der bereits jahrzehntelang von den regierenden Pasok- und ND-Regierungen geebnet wurde.
Die Nazis der »Goldenen Morgenröte« greifen Migrantinnen und Migranten an, oftmals mit tödlichen Folgen. Gleichzeitig stellen sie sich als Freunde von Rentnern und streikenden Arbeitern dar, und geben sich damit einen sozialen Anstrich. Der Erfolg der Nazis zeigt die Polarisierung der griechischen Gesellschaft durch die Krise. Doch es gibt Widerstand: Nach einem Messerangriff gegen ägyptische Fischer in der Hafenstadt von Perama in der Woche vor der Wahl marschierten einheimische und eingewanderte Stadtbewohner zusammen gegen die »Goldene Morgenröte«.
Widerstand gegen Nazis
Viele ähnliche Märsche fanden in ganz Griechenland nach dem schockierenden Prügelangriff eines Nazis gegen eine Abgeordnete der KKE während einer Talkshow-Sendung statt. Eine Umfrage am Tag der Wahl zeigte sogar, dass nur die Hälfte der Nazi-Wählerinnen und -Wähler eine Verbindung zur Partei spüren (bei ND beispielsweise waren es 69 Prozent). Dies zeigt, dass die Nazis geschlagen werden können.
Die Nazis selber haben anscheinend gemerkt, dass mit öffentlichen Bekenntnissen zu Hitler nicht viele Stimmen zu gewinnen sind. So konzentrierte sich der Nazi-Führer Michaloliakos nach der gestrigen Wahl auf soziale Anliegen und vermied den militaristischen Ton seiner Rede nach der Wahl vor einem Monat.
Trotzdem – oder gerade deswegen – ist die von den Nazis ausgehende Gefahr durchaus real. Wenn die Linke den gesellschaftlichen Widerstand gegen die Verarmungsprogramme nicht in Streikbewegungen und Besetzungen übersetzt, könnten die Nazis weiter Zulauf erhalten und zu einer großen Gefahr für die griechische Demokratie und Gesellschaft werden.
Syriza bleibt mobilisierungsfähig
Um den linken Widerstand zu stärken, ist es gut, dass Syriza als stärkste Oppositionskraft, die in der Arbeiterbewegung verwurzelt ist, es abgelehnt hat, mit den Kürzungsparteien in die Regierung zu gehen. Syriza hat den Vorschlag der Pasok, mit in die Regierung zu gehen, zu Recht abgelehnt. Damit bleibt Syriza mobilisierungsfähig gegen den Sozialkahlschlag und muss keine Kompromisse mit der EU eingehen.
Von der Widerstandskraft der Arbeiterbewegung wird die Zukunft der Mehrheit der Bevölkerung in Griechenland abhängen. In den letzten zwei Jahren haben sie bereits 17 Generalstreiks organisiert. Wenn sie es schaffen, der neuen Regierung Paroli zu bieten und das Spardiktat zu Fall zu bringen, ist das ein Signal für ganz Europa.
Merkel zwischen den Stühlen
Die EU signalisiert nun einerseits der neuen griechischen Regierung die Bereitschaft, die Kürzungsprogramme etwas zu verlangsamen, um die Regierung zu stabilisieren und die Linke nicht noch stärker zu machen. Andererseits will die EU auch keinen Präzedenzfall schaffen. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fürchtet »eine Sonderbehandlung« für Griechenland: »Dann würden auch Spanien und Italien auf bevorzugte Behandlung pochen«.
Am Wochenende demonstrierten bereits 200.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Rom gegen die Kürzungspläne des nicht gewählten Mario Monti. In Spanien gab es bereits zwei Generalstreiks, Hochschulen befinden sich im Streik gegen Bildungskürzungen.
Nein zum Fiskalpakt
In Deutschland wollen CDU, FDP, Grüne und SPD am 29. Juni den Fiskalpakt beschließen, der soziale Errungenschaft und demokratische Rechte in ganz Europa bedroht. Machen sich Grüne und SPD zu Handlangern der Regierung, könnten sie irgendwann da landen, wo sich die griechische Sozialdemokratie heute befindet.
Auch deshalb ist der Fiskalpakt bei SPD und Grünen umstritten. Die Aufgabe der Linken ist, Solidarität mit dem kommenden Widerstand in Griechenland und anderen Ländern aufzubauen und den Widerstand in Deutschland auszuweiten.
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