Tausende Kita-Bschäftigte kämpfen zur Zeit für bessere Arbeitsbedingungen. Cigdem Koc ist Sozialarbeiterin in Frankfurt am Main und selbst aktiv im Streik. Sie berichtet für marx21.
Seit mehreren Wochen kämpfen wir Erzieherinnen und Erzieher unter dem Motto »Bildung ist mehr Wert« gegen unbewegliche Arbeitgeber und für unserer Rechte. 89,9 Prozent der ver.di- und 93 Prozent der GEW-Mitglieder unter den Beschäftigten der Erziehungs- und Sozialberufe haben für Streik gestimmt. Unsere zentralen Forderungen sind ein Gesundheitstarifvertrag und eine sachgerechte Eingruppiereung der Mitarbeiter. 220.000 Beschäftigte bundesweit werden von den Gewerkschaften bei den Verhandlungen vertreten, an den diversen Streiktagen haben insgesamt mehrere Zehntausende teilgenommen. Die Arbeitgeber versuchten den Streik zu sabotieren und zettelten eine Verbotsdebatte über Streiks im Sozialendienst an. Doch durch unseren wütenden und kampfbereiten Protest und nicht zuletzt durch die Solidarität des Gesamtelternbeirates, könnten wir die Angriffe der Arbeitgeber vorerst abgewehren. »Wir lassen uns nicht verbieten!«, war die prompte Antwort von uns Streikenden.
Unerträgliche Arbeitsbedingungen
Durch die Personaleinsparungen und die willkürliche Eingruppierungspraxis der Arbeitgeber sind die Arbeitsbedingungen für uns in den letzten Jahren unerträglich geworden. Die Personaleinsparungen führen dazu, dass an das bestehende Personal immer mehr Anforderungen in größeren Kindergruppen gestellt werden. Das bedeutet auf die Dauer unerträglichen Stress für uns – aber eben auch für die Kinder und damit indirekt für deren Eltern. In Kitas werden Lärmwerte von bis zu 117 Dezibel gemessen – als würde in 100 Meter Entfernung ein Flugzeug starten. 80 Prozent der Beschäftigten im Sozialbereich können sich nicht vorstellen, gesund das Rentenalter zu erreichen. Deswegen ist der Gesundheitsschutz für uns so wichtig. Zum anderen stört uns die willkürliche Eingruppierungspraxis der Arbeitgeber: In den Ausschreibungen der Stadt Frankfurt beispielsweise werden zwar pädagogische Fachkräfte bevorzugt gesucht, aber seit nun mehr als acht Jahren als »Erzieher« eingestuft. Sie gelten damit als Berufseinsteiger, egal ob sie Lehramt, Sozialarbeit oder Sozialpädagogik studiert haben. Auch nachträglich werden ihre Bemühungen, sich ihre Qualifikationen anerkennen zu lassen, von den Arbeitgebern als »Gier« und »Arroganz« abgetan. Gegen diesen Versuch der Spaltung haben wir Kolleginnen und Kollegen bisher aber immer standgehalten. Doch bei dieser Auseinandersetzung geht es auch ums Geld. Wenn allerdings die Arbeitgeber davon reden, dass das Ziel des derzeitigen Streiks eine Lohnerhöhung sei, dann ist das glatt gelogen. Denn uns geht es erstmal darum, die Verluste, die durch den Ausstieg aus dem alten Tarifvertrag entstanden sind, zumindest teilweise durch eine höhere Eingruppierung wettzumachen. Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Erzieherin, die im November 2005 eingestellt wurde, in der Zwischenzeit geheiratet und ein Kind bekommen hat, verdient mit dem neuen Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) heute 65,88 Euro weniger als nach dem alten aus dem Jahr 2004. Eine Kollegin, die nach fünf oder mehr Jahren in den Beruf zurückkehrt oder die Stelle wechselt, verdient Hunderte von Euro weniger als früher. Alter und Berufserfahrung werden im TVÖD nicht mehr berücksichtigt.
Vom Marriot nach Köln
Viele von uns haben genug vom Kuschelkurs. Unsere Aktionen sind kämpferisch. Sie stoßen auf breites Verständnis in der Bevölkerung und vor allem bei den Eltern. Leider werden die Streikaktionen aber gelegentlich durch mangelnde Koordinierung der beiden beteiligten Gewerkschaften, ver.di und GEW, erschwert. Ein Beispiel aus der Praxis: Als wir am 9. Juni zu unserer »kleinen Spazierfahrt« zum Verhandlungsort im Luxushotel Marriot am Frankfurter Hauptbahnhof aufbrachen, standen wir 20 GEW-Mitglieder allein da, weil ver.di die Beteiligung kurzfristig zurückzog. Wir waren enttäuscht aber dachten uns jetzt erst Recht und versuchten trotzdem in das Hotel zu gelangen. Dort wurden wir sogleich noch am Eingang gebührend von zwei Türvorstehern in Empfang genommen. Sie wiesen uns zurück: »Sie dürfen so nicht das Hotelgelände betreten«, hieß es. »So können wir Sie auf keinen Fall reinlassen.« Sie mussten uns mit unserer harmlosen Ausrüstung aber dennoch reinlassen. Der GEW – Vorstand hatte vorausschauend einen gesonderten Seminarraum eigens für uns reserviert. So haben wir mit unseren 20 Leuten den Hotelbetrieb auf einigen Etagen ins Staunen versetzt. Denn auch die uns zugewiesene Begleitung konnte nicht verhindern, dass wir uns eher wie losgerissene Kinder einer Ausflugsgruppe benahmen als ordentliche Hotelgäste. Nach Erhalt einiger Infos vom GEW-Vorstand bewegten wir uns in die Nähe des Verhandlungsraums im 2. Stock, wo uns die eingeladenen Presseleute (HR3, N24, RTL) mit Kaffee und einem Süßigkeiten fast sehensüchtig erwarteten. Nach ein paar Interviews und schönen Aufnahmen begaben wir uns mit gutgefüllten »Mischtüten« und einem gewachsenen Selbstbewusstsein für unser Tun zurück zum Ausgangsort, dem GEW-Haus – diesmal allerdings demonstrativ zu Fuß und nicht wie auf dem Hinweg mit S- und U-Bahn. Dort beteiligten wir uns trotz Regens mit 400 Streikenden und sich solidarisierenden Eltern an der Kundgebung zum »Tag der sozialen Arbeit«. Es waren Vertreter aus 200 hessischen Einrichtungen da. Gemeinsam hörten wir uns die Beiträge vom hessischen Gesamtelternbeirat und anderen an. Der Tenor war, dass wir mehr Ausdauer und Vernetzung brauchen. Als die Fortsetzung des Streiks und die anstehende Großdemo in Köln am 15. Juni angekündigt wurden, gab es tosenden Applaus.
Gemeinsam streiken – 30.000 in Köln
Die Großdemonstration in Köln war ein Erfolg. Wir waren mehr als 30.000 Erzieherinnen und Erzieher die protestierten. Ich selbst war in Köln zusammen mit sechs Kolleginnen meiner Kita. Die Stimmung war kämpferisch. Viele hatten Unmut über die Verschleppung der Verhandlungen der Arbeitgeber. Aber wir können es als Erfolg unseres Kampfes werten, dass als Gastredner, neben Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, SPD-Chef Franz Müntefering, Grünen-Chefin Renate Künast und ver.di-Chef Frank Bsirske auch der Vorsitzende der LINKEN Gregor Gysi dort zu uns sprachen. Das zeigt mir: Die Politik kann uns nicht einfach ignorieren – der Druck ist enrom, gerade vor den Wahlen. Das jetzt auch die Studierenden und Schüler auf die Straße gehen und für ihre Interessen streiken, ermutigt uns. Der Bildungsstreik am 17. Juni eröffnet die Chance für einen gemeinsamen Streik in allen Bildungseinrichtungen. Jetzt gilt es den Druck auf die Arbeitgeber noch mehr zu erhöhen. Ich hoffe, dass alle Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen und alle die sich mit unserem Streik solidarisieren, unsere Proteste nach Kräften weiter unterstützen. Jeder kann etwas machen: Mitdemonstrieren, Unterschriften sammeln, Solidaritätserklärungen verabschieden oder Rednerinnen und Redner für Veranstaltungen anfordern. Das sind konkrete Schritte, die uns den Rücken stärken.