Die schlechten Ergebnisse der LINKEN bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie bei den Kommunalwahlen in Hessen haben eine heftige Debatte in der Partei ausgelöst. marx21 dokumentiert eine Rede des Sprechers des Kreisverbands Frankfurt am Main der LINKEN Volkhard Mosler
1. Der Stimmenverlust der LINKEN (minus 1000 Stimmen oder etwa 9 Prozent) bei der jüngsten Frankfurter Kommunalwahl ist ein herber Rückschlag für die Frankfurter LINKE. Wir müssen uns fragen: Was sind die Ursachen? Nur so können wir auch zu Lösungen für die Überwindung der Stagnationskrise kommen. Ich spreche von einer Stagnationskrise, da noch im Februar, also vor der Atomkatastrophe in Japan, die Partei in Hamburg und in Sachsen-Anhalt in etwa gleiche Resultate erzielte wie bei den vorangegangenen Landtagswahlen. Ich wage die These, dass die Frankfurter LINKE ohne den Atomgau von Japan wieder zwischen 6 und 7 Prozent geholt, also bei unserem alten Ergebnis von 2006 gelegen hätte.
2. Das ist ein schwacher Trost, denn dazwischen liegt eine Weltwirtschaftskrise, dazwischen liegen fünf weitere Jahre Sozialabbau und relative Verarmung, die Ausdehnung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und gestiegene Zukunftsängste bei der Jugend. Bei der Bundestagswahl 2009 profitierte die Partei davon. Optimismus machte sich breit, dass dies so weitergehen könnte. Umso enttäuschender ist die Lage knapp zwei Jahre danach.
3. Tatsächlich ist es der LINKEN nicht ausreichend gelungen, dem Vertrauensvorschuss von 2009 politisch gerecht zu werden. Unser Versprechen war: »Die LINKE wirkt!« und »Je stärker die LINKE, desto sozialer wird Deutschland«. Tatsächlich ist trotz einer stärkeren LINKEN der Umverteilungsprozess von unten nach oben weitergegangen. Unsere Parole: »Hartz IV muss weg« steht im Kontrast zur Tatsache, dass mit dem sogenannten Sparpaket von Schwarz/Gelb die Hartz-Gesetze noch einmal verschärft wurden. (Wegfall des Übergangsgelds für zwei Jahre, das bedeutet einen noch schnelleren Abstieg in die Armut bei Arbeitslosigkeit). Ja, es ist uns noch nicht einmal gelungen, zusammen mit den Gewerkschaften und Arbeitslosenverbänden eine nennenswerte Abwehrschlacht zu liefern.
4. Das Ausbleiben eines groß angekündigten »heißen Herbstes« im letzten Jahr hat die Hoffnung, die viele Menschen aus den Schichten der prekär Beschäftigten und Arbeitslosen (immerhin 20 bis 30 Prozent) hatten, wenn nicht zerstört, so doch geschwächt. Das, was ich den »proletarischen Fatalismus« nenne, ist dadurch gestärkt worden. Darunter verstehe ich eine geistige Grundhaltung, dass man durch eigenes Handeln nichts verändern kann. Dieser Haltung liegt die reale Alltagserfahrung der großen Mehrheit zugrunde, die ihr Leben lang Befehlsempfänger, Untergeordnete sind. Das berührt direkt unser schlechtes Wahlergebnis. Uns ist es nicht oder nur in geringen Maße gelungen, zum Sprachrohr jener schweigenden Mehrheit zu werden, die nicht zur Wahl gegangen sind. Denn auch dieses Mal ist die Mehrheit der Frankfurter nicht wählen gegangen, und die »Partei der Nichtwähler/innen« ist nun einmal überwiegend »proletarisch«. (Die Wahlbeteiligung lag am niedrigsten im Gallus (30.3 Prozent), also in einem Stadtteil mit dem zweitbesten Ergebnis für die LINKE (9,3 Prozent). Die Wahlbeteiligung war mit 56,5 Prozent überdurchschnittlich in CDU-Hochburgen wie Hahrheim. Dort wo die Wahlbeteiligung signifikant anstieg, waren fast ausschließlich die GRÜNEN die Gewinner. So kommt das Statistische Landesamt in seiner Wahlanalyse zu dem Schluss, dass die (geringe) Zunahme der Wahlbeteiligung um 2,0 Prozent (20.000 Stimmen) vor allem in jenen Stadtteilen zustande kam, »in denen die GRÜNEN überdurchschnittlich gute Ergebnisse wie im Nordend und im Gutleutviertel realisiert haben.«
5. Aus der Tatsache, dass ein Großteil der »Arbeiterklasse« (zu der ich auch die Arbeitslosen zähle), nicht wählen geht, zu schließen, dass das Thema »soziale Gerechtigkeit« »zurzeit niemanden interessiert« (Jörg Schindler, Frankfurter Rundschau) und »vor lauter Kriegen und Katastrophen gerade keinen vom Hocker reißt«, zeugt nicht gerade von analytischer Kraft. Das Argument findet auch in den Reihen unser Partei Anhänger. Aus unserer Stagnationskrise den Schluss zu ziehen, wir müssten ablassen von unser Gründungsagenda und uns »breiter« aufstellen, uns gar verstärkt »bürgerlichen Kreisen« zuzuwenden, wäre jedoch ein schwerer Irrtum.
6. Der Aufstieg der GRÜNEN beginnt nicht mit der Atomkatastrophe in Fukushima. Bereits im September 2010 lagen die Umfragewerte der GRÜNEN bei 20 Prozent. Die Bundesgeschäftsführerin der GRÜNEN Steffi Lemke sagte damals: »Ich glaube, dass immer mehr Menschen spüren, dass eine andere Politik nötig ist.« Reichtum müsse anders verteilt werden und wir müssten anders mit unser Umwelt umgehen. Sie geißelte die »Verruchtheit des Finanzmarktkapitalismus« und die »Suche nach wirklichen Alternativen« seit »wichtiger geworden.« Der entscheidende Satz war jedoch: »Uns wird zugemutet dafür einen Beitrag zu leisten«. Mit anderen Worten: DIE LINKE hat 2010 ihre Rolle als Hoffnungsträgerin für eine antikapitalistische Gesellschaftsveränderung ein gutes Stück an die GRÜNEN verloren.
7. Den GRÜNEN ist ein Kunststück gelungen. Sie haben sich politisch nach rechts zu den Konservativen geöffnet (Saarland), zugleich sich aber auf Bundesebene scharf gegen Schwarz/Gelb abgesetzt und es verstanden, sich zum politischen Sprachrohr der großen Protestbewegungen (Castor-Transporte, Stuttgart 21) aufzuschwingen. (Dies mit kräftiger Unterstützung der Medien.) Bei weitgehender Abwesenheit sozialer Kämpfe und einer relativ schwachen Präsenz der Bundespartei in der Antiatombewegung entstand eine Stimmung des »bürgerlichen Antikapitalismus«. Kernpunkt dieser Stimmung ist, dass die bürgerlichen Zwischenschichten (neuer Mittelstand) Träger des gesellschaftlichen Fortschritts seien. DIE GRÜNEN verbreiten eine Stimmung »Alles muss sich ändern, ohne etwas zu ändern.« Sie wollen den Ausstieg aus der Atomindustrie ohne Entmachtung der mächtigen Energiekonzerne, die längst nicht aufgegeben haben. Brüderles Versprechen an die Wirtschaftsbosse, dass alles nicht so heiß gegessen werde, wie vor den Wahlen gekocht, spricht dafür Bände. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist keineswegs beschlossene Sache, auch wenn alle jetzt so reden, als wäre es nur eine Zeitfrage. Die Atomlobby will Zeit gewinnen und droht deshalb mit hohen Energiekosten für den Fall eines schnellen Ausstiegs.
8. Wie soll sich DIE LINKE gegenüber dem unerwarteten Comeback von Rot/Grün, oder vielleicht besser Grün/Rot, verhalten? Es macht einerseits keinen Sinn, die politische Welt in DIE LINKE einerseits und einen »neoliberalen Block« von Schwarz/Gelb/Rot/Grün aufzuteilen. Andererseits wäre es fatal zu glauben, SPD oder GRÜNE hätten sich zu antikapitalistischen Parteien gewandelt. SPD und Grüne sind fest dem Kapital verpflichtet, aber sie unterscheiden sich doch in ihrer Methode, ihrer sozialen Basis und ihrer Rhetorik vom bürgerlichen Block Schwarz/Gelb. Wir müssen erst einmal anerkennen, dass der Aufschwung der GRÜNEN Ausdruck eines enormen Erwartungsdrucks auf ein rasches Abschalten und den sozialökologischen Umbau der kapitalistischen Wirtschaft ist. In diesem Wahlergebnis kommen Hoffnungen und zugleich Illusionen zum Ausdruck. Wir müssen die Hoffnungen ernst nehmen, ohne die Illusionen zu stärken. Wir sollten z. B. die Aktionseinheit für einen raschen Ausstieg auch mit den Grünen suchen. Zugleich ist allerdings eine scharfe Kritik am rot-grünen Ausstiegskurs »in Absprache« mit den Atomkonzernen nötig und hier ist DIE LINKE auch gefordert, ihr umweltpolitisches Auftreten mit ihrer Kritik am Kapitalismus zu verbinden und so eine sozialistische Umweltpolitik zu entwickeln.
9. In der Partei haben die Wahlergebnisse eine Diskussion um das Führungspersonal ausgelöst. Gregor Gysi hat die Rückkehr von Oskar Lafontaine (und damit indirekt die Ablösung von Gesine Lötzsch und Klaus Ernst) gefordert. Meine These ist: die Stagnationskrise der Partei wäre auch mit Oskar Lafontaine eingetreten, vielleicht etwas weniger schmerzhaft. Wir sollten erst einmal eine gründliche Debatte über unsere Schwächen und unseren zukünftigen Kurs führen. Kann sein, dass die Partei zu dem Ergebnis kommt, dass für einen neuen Kurs auch neues Personal nötig ist. Aber wir sollten auf keinen Fall das Pferd von hinten aufzäumen.
10. Im Übrigen glaube ich, dass unser Stimmenrückgang in Hessen ohne die Kampagne gegen die Schuldenbremse noch schärfer ausgefallen wäre (siehe Baden-Württemberg). Hier haben wir vielleicht auch etwas versäumt im Sinne von »zu spät« und »zu wenig«. Immerhin sind unsere Wahlergebnisse besser in denjenigen Wahlbezirken, in denen auch eine hohe Anzahl von Neinstimmen zur Schuldenbremse zu verzeichnen ist.
11. Die entscheidende Frage für DIE LINKE ist: Wie gewinnt sie ihre Rolle als glaubhafte Hoffnungsträgerin für eine antikapitalistische Gesellschaftsveränderung zurück? DIE LINKE ist noch nicht stark genug, »nachholend« soziale Kämpfe lostreten zu können. Aber wir müssen überall dabei sein, wo sich auch nur der geringste Widerstand regt. Es sind die kleinen Kämpfe von Mieterinitiativen, Elternbeiräten, Studierenden, Flüchtlingen, in denen wir selbst lernen können, Kämpfe zu führen. Wir müssen lernen, mit einem hohen antikapitalistischen Profil in die ökologischen Kämpfe eingreifen. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen kann. Ich bin froh, dass unsere Parteiführung sehr schnell und entschieden eine Absage an die militärische Intervention der Nato in Libyen gegeben hat. Sie hat damit auch die Regierung Merkel gezwungen – vor den Wahlen – sich zumindest »der Stimme zu enthalten«. Ich glaube, hier können wir auch sagen: DIE LINKE hat gewirkt. Sorgen wir dafür, dass die Ostermärsche gegen Kriegseinsätze in Libyen und Afghanistan groß werden, dass vom diesjährigen 1. Mai ein starkes Signal gegen Leiharbeit und Niedriglöhne ausgeht.
12. Ohne aktive selbstbewusste Mitglieder und ohne funktionierende Stadtteilgruppen werden wir nichts bewegen, auch wenn es in Deutschland zu großen sozialen Kämpfen kommt. Die Krise scheint überwunden. Tatsächlich ist es dem deutschen Kapital gelungen, seine Krise im wahrsten Sinne des Wortes zu exportieren. Die Folge ist die sich verschärfende Eurokrise, das Absinken Griechenlands, Portugals, Spaniens, Irlands und vieler anderer und sie droht von dort wie ein Bumerang zurückzukehren. Die so genannte soziale Frage bleibt aktuell, ich nenne es lieber Klassenkampf. Wir müssen erfahrbar werden als politische Kraft, die den Widerstand gegen Kapital und Krieg organisiert, seien diese Kämpfe auch erst einmal klein und unscheinbar. DIE LINKE erscheint aus den Augen der proletarischen Mehrheit von Nichtwählern auch nur als eine Partei, die vor den Wahlen von Zeit zu Zeit auftaucht und vieles verspricht. Am Anfang der LINKEN waren viele bereit, uns einen Vertrauensvorschuss zu gewähren und uns die Stimme zu geben. Wie oft haben wir an Ständen den Satz hören müssen, dass wir es auch nicht anders machen werden als die anderen. Wir müssen den Gebrauchswert, den Nutzwert der Partei schärfen. Die LINKE muss sich als Motor und nicht nur als Sprachrohr sozialer Kämpfe verstehen und dazu entwickeln. Ein dickes Brett, das wir da bohren müssen.
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