Als „Alptraum ohne Ende« bezeichnet der frühere US-Oberbefehlshaber im Irak, Ricardo Sanchez« den Krieg im Zweistromland. Das Beste, was man erreichen könne, sei, eine US-Niederlage hinauszuzögern, sagte er kürzlich. Gewalt, Armut und Alkoholismus im Irak haben zugenommen.
Der Ex-General hat auch kein gutes Wort für die Aufstockung der US-Truppen und die US-Militäroffensive „The Surge« („Die Woge«) übrig. Er sagte, diese seien „ein verzweifelter Versuch der Regierung«, der an den politischen und ökonomischen Realitäten des Krieges vorbei gehe.
Sanchez ist der dienstälteste einer wachsenden Gruppe ehemals hoher Militärs, die scharfe Kritik an der Bush-Regierung und dem Krieg im Irak üben. Dass er seine Stimme nicht schon früher erhoben hat, begründete er damit, dass es nicht Sache aktiver Offiziere sein könne, die Anweisungen der zivilen Autoritäten in Frage zu stellen.
Im Gegensatz zu Sanchez beschönigt der derzeitige US-Oberkommandierende im Irak General Petraeus die Lage. Er lieferte der Bush-Administration im September einen Gefälligkeitsbericht. In diesem behauptete er, dass durch mehr Truppen die Sicherheit im Irak zu- und der Widerstand abgenommen habe.
Doch bezweifeln Experten innerhalb und außerhalb der US-Regierung den von Petraeus behaupteten Rückgang und die von ihm zugrunde gelegten Zahlen.
In Wirklichkeit waren die letzten Monate blutig. Von März bis Juli sind ungefähr doppelt so viele US-Soldaten getötet worden wie im gleichen Zeitraum der letzten beiden Jahre. Laut Meldungen von US-Medien sind in den letzten drei Monaten auch mehr Zivilisten umgekommen als im vergangenen Jahr.
Außerdem hat sich die Lage der irakischen Bevölkerung in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Wie die Hilfsorganisation Roter Halbmond berichtete, hat sich die Anzahl der vertriebenen Iraker in diesem Jahr mehr als verdoppelt: von rund 447.000 im Januar auf 1.14 Millionen Anfang August.
Das hohe Ausmaß von Gewalt, Armut und Arbeitslosigkeit hat laut dem UN-Informationsdienst IRIN in den letzten Monaten zu einer steigenden Zahl von Alkoholkranken geführt: „Jeden Tag suchen mehr Patienten Hilfe, weil ihre Abhängigkeit beginnt, ihr Privatleben ernsthaft zu beeinträchtigen«, sagte Kamel Ali vom irakischen Gesundheitsministerium.
Die irakische Ärzteorganisation IMA beklagt, dass es immer weniger Ärzte und Krankenpersonal gäbe. „Unsere jüngsten Recherchen haben ergeben, dass bis zu 75 Prozent der Ärzte, Pharmazeuten und Krankenschwestern ihre Arbeitsplätze an Universitäten, Kliniken und Krankenhäusern aufgegeben haben«, teilte IMA mit. Von diesen seien über die Hälfte aus dem Land geflohen.
Wegen der mangelnden Sicherheit im Irak schicken zudem immer weniger Eltern ihre Kinder in die Schule. Laut IRIN erwartet deshalb das irakische Bildungsministerium im nächsten Schuljahr einen 15-prozentigen Rückgang der Schülerzahl.
(Frank Eßers/IRIN)
Mehr auf marx21.de:
- „Wir haben dafür gesorgt, dass unsere Regierung in der Klemme steckt“ (marx21-Gespräch mit Chris Nineham vom britischen Friedensbündnis „Stop the War Coalition“)