Bildung, Arbeitsmarkt, Alltagsleben – wie verbreitet Rassismus gegen Muslime ist, zeigt eine Studie aus Berlin. Marijam Sariaslani fasst die Ergebnisse zusammen
Auch wenn antimuslimischer Rassismus nicht erst seit dem 11. September existiert und durch Staats- und Lokalpolitiker immer wieder verwendet wurde, um populistische Hetzparolen zu verbreiten und ihre Vorhaben und Gesetze durchzusetzen, so sind Qualität und Ausmaß heute umso gravierender. So dient die Angst vor terroristischen Anschlägen durch Muslime, die jahrelang von Politik und Medien geschürt wurde, den Herrschenden zur Legitimation ihrer imperialen Interessen unter dem Deckmantel des Kampfes für Demokratie und Frieden und zum Ausbau des Überwachungsstaats. Der Einmarsch in Afghanistan hätte zum Beispiel ohne islamophobe Stimmungsmache niemals die öffentliche Zustimmung erhalten, die er anfangs gefunden hat.
Von dieser Politik profitieren europaweit auch neonazistische und rassistische Parteien und Gruppierungen. Ihnen werden durch die rassistische Hetze auch im Zusammenhang mit der so genannten Integrationsdebatte von der Regierung und Personen des öffentlichen Lebens Tür und Tor geöffnet, Anklang bei einer breiteren Masse zu finden. Ganz zu schweigen von Gewalt gegen Muslime und islamische Einrichtungen. Eine Hilfe für die Diskussion über das Thema Integration kann die Studie »Muslime in Berlin« darstellen.
In Europa zu Hause?
Im Rahmen des Projekts »At Home in Europe« hat das Open Society Institut unter Leitung der Ethnologin Nina Mühe eine Studie über Muslime in Berlin-Kreuzberg durchgeführt. Die Berichte über Muslime in EU-Städten untersuchen die unterschiedlichen Strategien von Städten bei deren Versuchen eines aktiven Einbezugs ihrer muslimischen Gemeinschaften und deren Bedürfnisse. Ein wichtiger Punkt ist die aktive Teilhabe muslimischer Gemeinschaften am Abbau von Diskriminierung.
In Kreuzberg wurden hierzu 100 Muslime und 100 Nichtmuslime zu allgemeinen und konkreten Alltagserfahrungen interviewt. Besonders interessant sind die Ausführungen zu Bildung. Hier wird vor allem deutlich, wie Betroffene Diskriminierung empfinden und wie folgenreich die vorgefasste Meinung von Mitmenschen gerade in diesem Umfeld ist.
»Kultur niedriger Erwartungen«
Fast alle TeilnehmerInnen einer Fokusgruppe berichten von »einer Kultur der niedrigen Erwartungen« und Entmutigungen durch Lehrer, die auf ethnische, kulturelle Vorurteile begründet sind. Eine Interviewpartnerin berichtet von ihrer Schwester, die eine »pauschalisierte Hauptschulempfehlung« ausgesprochen bekam, obwohl sie später ihr Abitur absolvierte: »Die wurde überhaupt nicht wahrgenommen in der Schule.« Eine andere Interviewte sagt, »… dass eine ihrer Töchter, nachdem sie sich dazu entschieden hatte ein Kopftuch zu tragen, von ihrer Lehrerin völlig ignoriert worden sei, bis sie schließlich das Tuch wieder ablegte.«
»Eine Mutter wurde von der Teilnahme an einem Elternlotsenprojekt ausgeschlossen, weil sie ein Kopftuch trug.« Eine der Befragten erzählte von einer Diskussion ihrer Nichte mit einem Lehrer, in der es um ihre Zensur in Deutsch ging. Sie hatte eine 3 und wollte diese verbessern. Anstatt sie dazu zu motivieren sagte der Lehrer bloß, dass das doch für ein türkisches Mädchen eine ganz gute Note sei.
Überforderte Lehrkräfte
Die Mehrzahl der Befragten sieht die Schule als grundlegend für die berufliche Zukunft und als sehr wichtig für die Integration, bemängeln aber die vorurteilsbelasteten, teilweise diskriminierenden und überforderten Lehrkräfte. Ein junger Interviewter sagt, es liege auch daran, dass Klassen und ganze Schulen nach der Herkunft der Kinder besetzt würden. Dieses Selektieren sei für alle Seiten schlecht und fördere nur die Bildung von Parallelgesellschaften.
Die Veröffentlichung der Fragebögen und die kurzen zusammenfassenden Auswertungen geben einen interessanten Überblick über konkrete Erfahrungen und Wahrnehmungen der Befragten. Die Antworten sind aufschlussreich und tragen zusammen mit jeweiligen kurzen Texten dazu bei, sich intensiver mit der Thematik auseinandersetzen zu können.
Diskriminiert mit Kopftuch
Bei der Gesamtauswertung am Ende des Buches wird nochmals sehr gut dargestellt, wo besondere Probleme liegen und wie diese angegangen werden können, um die beidseitige Integration zu fördern und die Bereiche, in denen muslimische Bürger besonders diskriminiert werden wie Beruf und Wohnungssuche, zu verbessern. Die Diskriminierung von hochqualifizierten Kopftuch tragenden Frauen bei der Arbeitssuche ist hier besonders problematisch.
»Deutsche Arbeitgeber haben mir nie etwas anderes als Putz-Jobs gegeben, weil ich ein Kopftuch trage…« und »In Deutschland wird die Situation für bedeckte Frauen schwieriger. Sie können nur im Dienstleistungsbereich Jobs finden … nicht in Bereichen, … die intellektuelle Fähigkeiten fordern…«, sagten zwei Muslima im Rahmen der Studie. Die Zahlen geben ihnen recht. Die OSI-Forscher schlagen nach der Auswertung der Studie unter anderem vor, das Neutralitätsgesetz zu reformieren, welches das Verbot von sichtbaren religiösen Symbolen an bestimmten Arbeitsplätzen wie Schule und Kita vorschreibt.
Andere Gesetze
Der Fokus der abschließenden Empfehlungen liegt auf Gesetzesänderungen und Schaffung und Bereitstellung von Arbeitsplätzen, die in Theorie und Praxis vornehmlich für Chancengleichheit, gegen Vorurteile und diskriminierende Gesetze sorgen sollen. Die Empfehlungen, die aus der Studie hervorgehen, sind durchaus gut und würden langfristig einen erheblichen Teil dazu beitragen, die Voraussetzungen für islamophobe Meinungsmacher und ähnliche zu erschweren, aber es fehlt hier mit Ausnahme von auf den Problembereich konzentrierten Bürgerzusammenschlüssen und runden Tischen mit Landesvertretern ein Anstoß zu gemeinsamen Handeln gegen die bestehenden Strukturen.
Auch eine schärfere Kritik an den Verursachern der herrschenden Zustände lässt das Buch aus. Es ist zwar richtig und wichtig, dass in einer Studie über Kreuzberg Probleme der behördlichen und privatwirtschaftlichen Diskriminierung auf Bezirksebene hervorgehoben werden, trotzdem ist es notwendig, darüber zu sprechen wo diese Zustände herrühren und was dagegen getan werden kann. Es bleibt Aufgabe der Linken – gerade jetzt zu den Kommunal- und Landtagswahlen – jede Art von Rassismus zu thematisieren, eindeutig Position zu beziehen und aktiv dagegen vorzugehen – gemeinsam mit Betroffenen.
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Mehr im Internet:
- Die Studie »Muslime in Berlin« zum Download beim OSI