Seit mehr als zehn Jahren machen Radio Havanna gemeinsam Musik. Mit marx21.de sprachen sie über den arabischen Frühling, steigende Mieten in Berlin und Skateboards für Afghanistan marx21.de: Euch gibt es schon ziemlich lange – die Band existiert seit 2002. Wie kam es zu Eurer Gründung, und welche musikalischen Inspirationen gab es? Arni: 2002 ist ein schwieriges Datum, tatsächlich haben Olli, Anfy und ich schon mit 12 Jahren angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Fichte ist nicht wesentlich später dazugekommen. Es ist alles aus einer Freundschaft heraus entstanden und hat sich dann so entwickelt. Unsere Freundschaft ist letzten Endes immer noch die Grundlage für das, was wir machen. Inspiriert wurden wir durch die Bands, mit denen wir jeweils zuerst in Kontakt kamen – es ist also bei jedem auch ein bisschen unterschiedlich, aber auf jeden Fall waren das Bands wie The Offspring, Die Toten Hosen, Die Ärzte und natürlich auch Bands wie The Ramones und The Clash. Jetzt kommt natürlich auch immer noch viel Aktuelles dazu, z. B. The Flatliners, mit denen wir gerade auch auf Tour spielen. Die sind super. Euer neues Album heißt »Alerta«. Warum dieser Titel? Arni: »Alerta« bedeutet auf Spanisch Alarm. Wir wollten bewusst diesen Alarm-Zustand ausdrücken, der unserer Meinung nach gerade weltweit die Politik bestimmt. Die Weltwirtschaft ist am Zusammenkrachen und es entstehen Bewegungen wie z. B. Occupy und der arabische Frühling, was zeigt, dass die Menschen in Alarmbereitschaft sind. »Alerta« steht aber auch für unseren musikalischen Zustand, da für uns Musik ein Sprachrohr ist, mit dem wir das alles an die Leute bringen können. Ihr sagt, das ist euer bisher politischstes Album. Was ist anders? Arni: Das ist jetzt unser viertes Album. Politik ist immer ein Teil der Band gewesen und hat uns beschäftigt, auch schon als wir vor ganz vielen Jahren angefangen haben, Musik zu machen. Es ist also kein neues Konzept, aber wir sind diesmal viel konkreter geworden. Durch das aktuelle Weltgeschehen hat es einen Zacken an Schärfe bekommen, was sich auch in Songs wie »Flüstern, Rufen, Schreien« oder »Superlativ von Scheiße« äußert. Olli: Es ist alles definitiv viel konkreter bei »Alerta«. Was früher immer als Unterton mitschwang, haben wir auf diesem Album bewusst expliziter formuliert. Fichte: Schon während der Entstehung dieses Albums haben wir viele Aktionen gemacht, bei denen man tiefer in die Thematik reinkommt, z. B. den Oxfam Trailwalker, oder Skate-Aid und die Kampagne »Kein Bock auf Nazis«. Dabei haben wir auch viele Kontakte mit Leuten geknüpft, die genau wie wir was machen wollen. Jetzt haben wir quasi den Soundtrack dazu. Was ist Skate-Aid und was macht ihr da? Fichte: Skate-Aid wurde von Titus Dittmann (bekanntester deutscher Skateboarder und Inhaber der Skateboardfirma Titus, Anm. d. Red.) ins Leben gerufen. Die Organisation baut in Krisenregionen wie Afghanistan Skate-Parks für Kinder, um ihnen eine andere Lebenskultur als Waffen und Krieg zu bieten. Das finden wir cool, dafür haben wir auch einen Song mit Jim Lindberg, dem ehemaligen Sänger von Pennywise aufgenommen. Alles Geld, was durch diesen Song eingenommen wird, geht an Skate-Aid. Arni: Für manche Leute scheint es total merkwürdig, dass man sich dafür einsetzt, dass in Ländern wie Afghanistan Skate-Parks gebaut werden. Die fragen sich, ob man nicht erstmal etwas anderes bauen sollte. Dabei kann eine Jugendkultur wie Skateboarding in jeder Gesellschaft Fortschritte bringen. Und viele Kinder nehmen das Angebot in Anspruch. Olli: Die Stärke beim Skateboarden ist auch, dass es völlig unabhängig ist von irgendeiner Religionszugehörigkeit, vermeidlichen Ethnien oder Geschlechtszugehörigkeit. Jeder kann mitmachen. Das hilft dann wiederum, die gesellschaftlichen Gräben zu überwinden. Apropos Kultur: Vor einigen Tagen demonstrierten in Berlin ein paar Tausend Menschen gegen die Gema. Wie steht ihr als Künstler zum Urheberrecht? Fichte: Ich hab da mal kurz vorbeigeschaut. Wir sind selber auch bei der Gema und ich wollte mal hören, was die Leute da zu sagen hatten. Teilweise fand ich es sehr einseitig und unreflektiert. Im Endeffekt müssen wir als Künstler und Urheber ja auch etwas von unserer Arbeit haben, und dafür ist die Gema da. Bei der Demo ging es aber hauptsächlich um Elektroclubs… Arni: Genau, weil es ja hauptsächlich um die mechanische Aufbereitung von Musik ging, waren auch vor allem irgendwelche Clubbesitzer dort. Und die Sachen, die die da erzählen, glauben die Leute dann auch einfach so. Da postet dann einer bei Facebook »Ey, du zahlst demnächst 12 mal mehr Gema-Gebühren als jetzt«, und dann glauben das alle. Aber im Vergleich wird klar, dass zum Beispiel die Gebühren, die für eine Diskothek nach den neuen Berechnungen gezahlt werden müssen, immer noch viel geringer sind als für ein Rockfestival. Letzten Endes bereichern sich die Clubbesitzer durch die Musik und in der Regel sind das auch nicht die Ärmsten. Deswegen ist es total gerechtfertigt, diese Gebühren zu zahlen. Und ich find’s schockierend, dass Leute Künstlern so ins Gesicht schlagen, und so mit ihnen umgegangen wird, weil es ja auch Kultur ist. Und Kultur ist immer etwas, was es in einer Gesellschaft zu erhalten gilt und was sich weiterentwickeln muss. Dazu braucht es aber auch eine Grundlage, und die ist in diesem System eben finanzieller Art. Es geht ja nicht darum, reich zu werden. Das werden wir auch nicht durch die Gema, aber wir können damit zum Beispiel ˊne Plattenaufnahme bezahlen – gerade so. Natürlich kann man gerne diskutieren, ob bei der Gema selbst alles korrekt läuft. Man kann auch supergerne deren Verteilungsschlüssel kritisieren, da bin ich auch dafür, weil die wirklich undurchsichtig sind. Also wir haben keinen Plan, wie dieser Betrag, den wir bekommen, zustande kommt… Aber wie gesagt, man kann nicht pauschal sagen die Gema ist komplett scheiße, da schlägt man einer ganzen Kultur mit ins Gesicht. Viele Bands finanzieren sich ja inzwischen eher über Merchandise-Artikel wie zum Beispiel T-Shirts als über die Musik selber. Wie ist das denn bei euch? Arni: Es ist schon wichtig, im Handel verkaufen wir natürlich kaum noch Platten. Es gibt MP3s und Leute laden Musik illegal aus dem Internet. Was wir auch gar nicht so schlimm finden. Der positive Effekt ist ja, dass unsere Musik so schnell an viele Leute kommt. Euer Album ist den Menschen in Teheran, Kairo, Athen, Madrid und New York gewidmet. Wo bleibt Berlin? Olli: Das haben wir uns auch schon gefragt. Das Zeltstadt-Camp mit ein paar hundert Leuten kann ja irgendwo nicht alles gewesen sein in einem Land, in dem potenziell viel mehr anzuprangern wäre. Gerade in einem Land, das nicht nur eine revolutionäre Vergangenheit hat, sondern in dem auch jetzt eine potenziell sehr starke Linke existiert und viele aktive Menschen leben. Arni: Egal ob am Kotti oder auf dem Tahrir: Jede und jeder, der sich für eine bessere Welt einsetzt, verdient Respekt und soll weitermachen. Bei den Städten, denen wir »Alerta« widmen, ist aber die Qualität des Widerstands eine ganz andere. Ihr bezieht euch in den Texten auf den arabischen Frühling. Warum? Arni: Es ist nicht nur der arabische Frühling. Es ist der globale politische Zustand, der uns dazu bewogen hat, ein Zeichen zu setzen. Es sind zum Beispiel auch die Anti-Atom- und die Occupy-Bewegung. Die finden ja schon auch eine gewisse Anerkennung. Überhaupt findet eine Politisierung in der Gesellschaft statt. Besonders in Regionen wie Nordafrika, wo das ganze Volk sich gegen die Herrschaft auflehnt. Das ist natürlich echt stark, es ist eine ganz neue Verbindung politischer Geschehnisse, und der arabische Frühling ist ein besonders wichtiger Teil davon. Ihr selbst engagiert euch auf vielfältige Art, zum Beispiel organisiert ihr Konzerte für Kampagnen gegen rechts. Außerdem unterstützt ihr die Organisation Oxfam. Wie wichtig ist es für euch, neben der Musik auch direkt auf der Straße aktiv zu sein? Arni: Sehr wichtig! De facto ist es im Vergleich zum letzten Jahr aber so, dass wir leider nicht so viel auf der Straße sein können, weil wir gerade die ganze Zeit auf Tour unterwegs sind. Aber wenn wir irgendwo sind, gucken wir natürlich auch sehr gerne mal, was in der jeweiligen Stadt so los ist. Wir schauen dann zum Beispiel mal in das örtliche Occupy Camp rein. Wenn wir gerade in Berlin sind und hier irgendwo eine Demo ist, gehen wir aber auch hin. Besonders wenn es gegen Nazis geht – das ist für uns eh eine Herzenssache, dann dabei zu sein. Fichte: Genau. Wir waren aber zum Beispiel auch sehr aktiv dabei, als es darum ging, die Räumung des Hausprojektes Liebig 14 hier in Berlin zu verhindern. Und es bringt ja auch was… Fichte: Eben. Man sieht es ja auch beim arabischen Frühling, dass es was bringt. Ob das jetzt immer nachhaltig ist, ist eine andere Frage, aber zumindest sind die Leute bereit, jetzt aufzustehen und sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen, und das ist enorm wichtig. Sonst verändert die Welt sich auch nie und nichts wird besser. Die ganze Gesellschaft steht ja heute auf und wehrt sich gegen Missstände. Das haben wir ja auch letztes Jahr in Deutschland gesehen, als Hunderttausende aus verschiedensten Zusammenhängen gemeinsam auf die Straße gegangen sind, um gegen AKWs und Laufzeitverlängerung zu protestieren. Dieses Wir-Gefühl, also, dass wir alle gemeinsam etwas verändern können, wollen wir mit »Alerta« auch ausdrücken. Ist es für euch als Band mit antikapitalistischen Texten eigentlich schwierig, viele Leute zu erreichen ohne zugleich eure Ideale aufzugeben? Arni: Schwer zu sagen. Gerade, wenn wir eine andere Band supporten, zum Beispiel ’ne große Punkrock Band aus den USA, wo wir vor zigtausend Leuten spielen, ist es natürlich so, dass über die Hälfte des Publikums eher nicht so politisch ist. Uns geht’s aber immer auch darum, mit dem, was wir machen, zum Nachdenken anzuregen. Das kommt garantiert nicht immer gut an, gerade bei Leuten, die es lieber bequem haben wollen. Die finden es vielleicht nicht so schön, wenn man ihnen sagt »Hey, wir müssen mal diskutieren«. Fichte: Auf Konzerten kommen unsere Songs trotzdem gut an. Auch wenn nicht jeder zu 100 Prozent zustimmt, können alle durch die Musik immerhin einen schönen Abend haben. Und wenn wir es durch unsere Texte schaffen, dass Leute anfangen, sich über die Inhalte Gedanken zu machen, dann haben wir unser Ziel für den Abend erreicht. Olli: Es geht auch einfach nicht darum, jedem zu gefallen und für jeden bequem zu sein. Da werden sich bestimmt einige dran stoßen, aber denen, die das gut finden, denen gefällt es dann umso mehr. Arni: Man merkt aber auch, dass es viele gibt, die zustimmen. Speziell bei Shows, die man als Headliner spielt. Da sind dann eben Leute, die sich mit den Texten identifizieren können. Das ist schon cool, und man hat dann auch das gute Gefühl, dass man Leute mobilisieren kann oder zumindest dazu anregen, über etwas Bestimmtes nachzudenken. In dem Song »Goldfischglas« bezieht ihr euch auf Berlin. Ihr lebt in Berlin-Neukölln, einem Schwerpunkt der sogenannten Gentrifizierung. Wie habt ihr das bisher wahrgenommen? Olli: Es ist schon schwierig, dazu eine eindeutige Position zu finden. Als wir vor vielen Jahren hierher gezogen sind, gab es in einem riesigen Areal kaum Kneipen, in die man so gehen konnte. Und keiner wollte hier leben. Dann ging plötzlich alles ganz schnell und jetzt ist es das komplette Gegenteil. Ich bin nun der letzte, der es doof findet, dass es jetzt anders ist und man nicht nur Baracken um sich herum hat und sich auf der Straße wohl fühlen kann, aber die Kehrseite ist natürlich, dass die Mieten durch diesen Prozess exorbitant steigen. Arni: Eine Position kann man dabei aber auf jeden Fall vertreten: Es sollte Standard sein, dass sich auch sozial schwächere Menschen Wohnungen leisten können, entsprechend sollte auch der Wohnungsbau gestaltet sein. Wenn nur noch der Markt die Wohnungssituation bestimmt, dann haben einfach die, die kein Geld haben, ganz schlechte Karten. Das darf nicht sein. Es sollte ein Recht auf Wohnraum geben und die Verdrängung aus der Innenstadt muss aufhören. Fichte: Und es kann auch nicht sein, dass alternative Wohnprojekte in der Stadt einfach platt gemacht werden, um dann da Eigentumswohnungen daraus zu machen, die sich eh kein Schwein mehr leisten kann. Wenn sich Menschen dazu entscheiden, alternativ zu leben, werden sie einfach vom Senat rausgeschmissen, damit sich andere daran bereichern können. In euren Songs bezieht ihr euch sehr häufig auf Widerstand gegen die herrschenden Zustände. Was können wir in Deutschland machen? Arni: Das ist erstmal eine schöne Frage. Ich glaube es ist unumstritten, dass das wichtigste, was passieren muss, ist, dass die Menschen ein politisches Bewusstsein entwickeln. Es gibt einfach noch viel zu viele Menschen, die sich überhaupt keine Gedanken über Politik machen. Und genau das ist ein ganz wichtiger Ansatz. Ehe man zum Beispiel einen Molly auf den Reichstag wirft, muss man anfangen, mit den Menschen um sich herum zu reden. Das ist doch die Voraussetzung dafür, dass Menschen anfangen sich zu politisieren und zu organisieren. Dann würde es sicher auch mehr Menschen geben, die ihren Protest auf die Straße tragen und sich zum Beispiel für Volksabstimmungen stark machen.Es würde sicher auch mehr dazu kommen, dass Leute das System grundsätzlich in Frage stellen und das würde auch praktische Konsequenzen haben. Genau das ist ja für uns auch immer wichtig, wenn wir Musik machen: Das Bewusstsein der Leute ansprechen. Olli: Obwohl wir natürlich wissen, dass unsere Reichweite als Punkband begrenzt ist, ist es uns aber doch wichtig, Stellung zu beziehen, und auf Themen aufmerksam zu machen, die uns am Herzen liegen. Es gibt viele Bands, die über gar nichts reden außer ihrem letzten Samstagabend. Und andere Bands wiederum, da fällt mir zum Beispiel ganz konkret Freiwild ein, die halt einfach hinter ’nem rebellischen Gestus Rechtsrock und Nationalismus verstecken… Arni: …und das nehmen manche viel zu unkritisch auf. Das ist schon krass. Und das ist auch der erste Ansatz, bei dem man was machen könnte. Wo wir was machen können, und mit unserer Musik einen Beitrag dazu leisten wollen. (Die Fragen stellte Marijam Sariaslani) Die Band: Radio Havanna sind Fichte, Olli, Arni und Anfy, die seit 2002 als Band bestehen. Seitdem haben sie vier Alben herausgebracht und unzählige Konzerte gespielt. Das aktuelle Album trägt den Titel »Alerta«, in den Songs geht es um politische und soziale Themen wie die Aufstände in Nordafrika oder die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland. radiohavanna.de Auf Tour: 18. August: Area 4 Festival, Flugplatz Borkenberge/Lüdinghausen 19. August: Highfield Festival, Störmthaler See, Großpösna/Leipzig 25. August: Holter Meeting, Bielefeld 31. August: Spirit of the Streets Festival, Flugplatz Niedergörsdorf 1. September: Rock die Burg Festival , Bad Dürkheim/Hardenberg 29. September: Mozarthof, Klagenfurt(Österreich) 4. Oktober: Universum, Stuttgart 5. Oktober: B58, Braunschweig 6. Oktober: Headcrash, Hamburg Mehr auf marx21.de:
- »Musik und Aktivismus passen gut zusammen«: Seit fast zwanzig Jahren macht er politischen Punkrock. Pat Thetic und seine Band Anti-Flag wollen sich einmischen – durch Musik genauso wie durch Protestaktionen. Mit uns sprach er über Occupy Wall Street, die Arbeit bei einem Majorlabel und darüber, was unter einem Präsidenten Noam Chomsky anders wäre