Droht ein Krieg gegen den Iran? Zerbricht das Bündnis der Amerikaner mit Pakistan? Der britische Aktivist und Autor Tariq Ali gibt im Gespräch eine Einschätzung der Situation im Nahen Osten. Vorabveröffentlichung aus marx21 Nr. 25. – erscheint Mitte April
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Tariq, auf welche Seite neigt sich die Waage des US-Imperialismus mit Blick auf den Irak? Haben die USA an Macht und Einfluss verloren?
Politisch gesehen war der Irakkrieg eine Katastrophe für die US-amerikanische Außenpolitik. Das Ziel lautete, einen »demokratischen« Staat zu errichten, der wie ein Leuchtturm auf die anderen Staaten des Nahen Ostens ausstrahlen sollte. Faktisch haben die USA einen klerikalen Staat geschaffen, der mit polizeistaatlichen Mitteln arbeitet. Einige Iraker empfinden die Unterdrückung heute stärker als in den letzten Herrschaftsjahren Saddam Husseins. Die Gesellschaft ist nach religiös-ethnischen Linien gespalten, wobei die schiitische Mehrheit gegen die sunnitische Minderheit ausgespielt wird – und zwar in einem Land, wo religiöse Unterschiede früher keine Rolle spielten.
Durch diese Entwicklung ist der Iran zum Hauptakteur in der Region geworden, was die USA zweifellos nicht beabsichtigt hatten. Wieso sie das allerdings nicht voraussehen konnten, kann einen schon verwundern.
Militärisch gesehen werden die USA behaupten, dass sie ein feindliches Regime beseitigt haben, oder eins, das zum Feind wurde. Sie werden sagen, dass sie ihre Pflicht gegenüber Israel erfüllt haben, das am meisten Druck für einen Krieg ausgeübt hatte. Aber der Krieg ist sie teuer zu stehen gekommen.
Wir sollten dennoch vorsichtig sein, von einem Abzug der USA aus dem Irak zu sprechen. Es gibt immer noch amerikanische Truppen dort, Söldner oder sogenannte Subunternehmer. Ihre Zahl geht in die Tausende. Die US-amerikanischen Soldaten sind jetzt überwiegend auf regionalen Stützpunkten in anderen Ländern des Nahen Ostens stationiert worden. Wenn die USA also eingreifen wollen, könnten sie das sehr schnell von ihrem Armeestützpunkt in Katar aus tun, von wo der Krieg auch begonnen wurde. Das heißt keineswegs, dass der Rückzug eine rein kosmetische Angelegenheit wäre. Aber die USA haben dort trotzdem noch genug Leute, um jederzeit losschlagen zu können.
Deshalb würde ich sagen, dass sie auf militärischer Ebene nicht in jeder Hinsicht verloren haben. Der Zustand, in dem sie den Irak hinterlassen haben, wird in den westlichen Medien nur selten angesprochen. Die soziale Infrastruktur des Lands wurde zerstört, es gibt unglaubliche Einschränkungen für Frauen.
Die Zahl der Todesopfer ist umstritten. Aber wenn selbst das irakische Marionettenregime sagt, es gebe fünf Millionen Waisenkinder, müssen wir davon ausgehen, dass mindestens eine Million Erwachsene gestorben sind. Zwei Millionen sind obdachlos. Hinzu kommen die Flüchtlinge, die jetzt in Nachbarstaaten leben.
Für die Menschen im Irak war dieser Krieg eine absolute Katastrophe. Durch ihn wurden neue Spaltungen geschaffen. Die Kurdenführer in den Nordgebieten des Lands haben die Rückendeckung der USA und Israels. Dann gibt es verschiedene schiitische Fraktionen, die um Unterstützung aus Teheran konkurrieren. Die Lage bleibt instabil, weil die Leute sehen wollen, wie lange sich Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki ohne die Anwesenheit von US-Truppen in der Grünen Zone Bagdads halten kann. Ich würde also sagen, wir sollten noch sechs Monate abwarten, ehe wir genauer erkennen können, wohin sich die Waage in diesem Desaster neigt.
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Zur Person:
Tariq Ali ist ein britischer Autor, Filmemacher und Historiker. Sein neuestes Buch »Das Obama-Syndrom. Leere Versprechungen, Krisen und Kriege« erscheint im August im Heyne Verlag.
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