Eine neue Phase der Eurokrise hat begonnen: Technokraten an der Spitze Griechenlands und Italiens stellen die Demokratie in Frage. Höchste Zeit, den Kapitalismus in Frage zu stellen, findet Volkhard Mosler
Die erste Novemberhälfte hat eine dramatische Beschleunigung der Eurokrise mit sich gebracht: In Italien und Griechenland sind die Ministerpräsidenten zurückgetreten. An ihre Stelle sind so genannte Fachleute getreten, die vorgeben, einen unpolitischen Neuanfang zu betreiben. Sie symbolisieren den direkten Zugriff der »Finanzmärkte« auf die Regierungspolitik.
Dabei gibt es einen wichtigen Unterschied: Papandreou ist am zwölften und größten Generalstreik gescheitert, Berlusconi wurde auf Druck von Merkel und Sarkozy geschasst. Die wiederum sind nur Sprachrohr der europäischen Banken, die den Bankrott Italiens fürchten – und damit ihren eigenen. Aber auch wenn die unmittelbaren Auslöser der Rücktritte der beiden Regierungschefs verschieden sind, so gibt es doch einen gemeinsamen politischen Nenner: Beide konnten ihren Sparkurs nicht durchsetzen.
Weniger Demokratie wagen
Melvyn Krauss, Wirtschaftsprofessor der Uni New York, schreibt: Es sei »die Demokratie, die schmerzhafte, aber nötige Reformen im Süden der Euro-Zone verhindert«. Und: »Weniger Demokratie tut Pleitestaaten gut«. Lehrreich sind die Kritiken von Frank Schirrmacher (Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) und Jürgen Habermas an solchen demokratiefeindlichen Tendenzen. Sie glauben beide, dass Papandreous Vorschlag, ein Referendum über die Kürzungspakete und die Aufgabe der Souveränität Griechenlands abzuhalten, nicht nur für Griechenland, sondern für Europa wegweisend hätte sein können.
Ackermann, Merkel, Schäuble und Sarkozy sehen das anders: Demokratie und Sparpolitik sind perspektivisch unvereinbar. Brünings Notverordnungsdiktatur der Jahre 1931-33 ist das Ur-Modell solcher in Not geratenen bürgerlichen Demokratien. Und die Not wächst.
Krebsgeschwür Schuldenkrise
Inzwischen frisst sich die Schuldenkrise »wie ein Krebs durch Europa« (Financial Times Deutschland) Schon schießen sich die Investoren auf Spanien ein. Der Preis für Staatsanleihen stieg auf das Rekordniveau von 1997 (6,27 Prozent). Auch Frankreich, Belgien und Österreich geraten unter Druck.
Die Nominierung von Mario Monti zum Ministerpräsidenten hat keine Entlastung für Italien gebracht. Die Folge: die Europäische Zentralbank (EZB) hat seit August bereits für über 300 Milliarden Euro Stützungskäufe für italienische Staatsanleihen getätigt – gegen den Widerstand der Deutschen Bundesbank. Geholfen hat das wenig.
Rezession und Sozialabbau
Die Eurokrise wirkt sich bereits auf die Realwirtschaft aus. Die Industrieproduktion der Euro-Zone ist im September um zwei Prozent geschrumpft – eine Rezession droht. Die deutsche Wirtschaft ist zwar im dritten Quartal 2011 noch leicht gewachsen (0,5 Prozent), aber die Konjunkturprognosen sind düster. Für die kommenden Monate erwarten Experten »eine milde Rezession«. Die Aufträge der Exportindustrie in den Euroraum (40 Prozent) sind bereits spürbar zurückgegangen.
Derweil mahnt die EZB Europas Regierungen angesichts des drohenden Absturzes der Konjunktur zu »tiefgreifenden Reformen«. Der EZB-Rat fordert »alle Regierungen des Euroraums auf, die Umsetzung substantieller und umfassender Strukturreformen dringend zu beschleunigen.« Damit wird der Druck Resteuropas auf Merkel enorm anwachsen, die »Bazooka« rauszuholen, das heißt noch schwerere Geschütze zur Rettung der Eurozone einzusetzen. Das hieße, die Gelddruckmaschine der EZB anzuwerfen und so die finanzielle Haftungsunion einzuführen. Damit wird auch der politische Streit zwischen Frankreich und Deutschland, aber auch innerhalb der nationalen herrschenden Klassen und ihren politischen Fraktionen eine neue Dimension erreichen.
Klasseninteressen verteidigen
In dieser Situation blind für den Erhalt des Euro einzutreten, führt in die Irre. Die Begründung, dass der Euro gut für die deutsche Exportwirtschaft sei, führt in ein standortnationalistisches Fahrwasser. Den Preis dafür zahlt die Arbeiterklasse durch Sozial- und Lohnabbau. Aufgabe der LINKEN ist es statt dessen, die Interessen der Arbeiterklassen in Deutschland und international zu verteidigen. Die revolutionäre Linke in Griechenland erhebt die richtige Losung: Wir zahlen nicht für die Krise, wir zahlen keinen Cent zurück, wir erklären einseitig die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands.
Auf Deutschland übertragen bedeutet das, für die komplette Schuldentilgung und für die entschädigungslose Enteignung der Banken einzutreten. Zugleich erfordert die Lage in Deutschland, sich entschieden gegen nationale Lösungsversuche zu wenden, wie die Forderungen nach einem Rausschmiss der Schuldenländer aus dem Euro oder nach der Wiedereinführung der D-Mark.
DIE LINKE steht vor der Aufgabe, Motor der aktuellen Kämpfe gegen die Krisenauswirkungen zu werden und darin Übergangsforderungen entwickeln, die perspektivisch zum Sturz des Kapitalismus führen. Denn diese Krise des Kapitalismus ist nicht immanent lösbar, es sei denn um den Preis einer neuen humanitären Katastrophe von enormen Ausmaßen.
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