Offiziell befindet sich die Weltwirtschaft in einer »Erholungsphase«. Aber der Aufschwung hat Tücken. Alex Callinicos über Wachstumschancen, Währungskrieg und Wirtschaftskrise.
Der Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes hat gesagt, einer der Hauptgründe für die Instabilität der kapitalistischen Ökonomien sei, dass sie durch Investitionen angetrieben würden, die im Kern Wetten auf eine unsichere Zukunft sind. So gesehen ist selbst nach diesen Standards der gegenwärtige Moment ein Moment ganz besonderer Unsicherheit. Durch den Zusammenbruch des Finanzmarkts vor zwei Jahren wurde die Weltwirtschaft in die schlimmste Krise seit den 1930er Jahren getrieben. Die enormen Summen, die führende kapitalistische Staaten im Winter 2008/2009 auszugeben bereit waren, verhinderten jedoch, dass die Krise genauso oder noch schlimmer wurde als die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Daran hat Barack Obama die Wähler der USA soeben noch einmal erinnert.
Offiziell befinden wir uns in einer »wirtschaftlichen Erholung«. Aber das Bild ist widersprüchlich. Dank der deutlich gesteigerten Investitionen in China, finanziert durch das staatlich kontrollierte Bankensystem dort, ist die chinesische Wirtschaft in den vergangenen 18 Monaten sehr schnell gewachsen. Das hat viele der Ökonomien, die China beliefern, mitgezogen, sei es als Rohstofferzeuger wie Brasilien oder als Hersteller hochqualitativer Güter wie Deutschland.
Die Ökonomie der USA, nach wie vor Zentrum der Weltwirtschaft, wuchs dagegen nur sehr langsam. Wer wissen will, warum Obama soeben bei den Zwischenwahlen eine schallende Ohrfeige erhielt, muss nur einen Blick auf die Arbeitslosenstatistik werfen: Siebzehn Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung sind jetzt arbeitslos, dazu gehören auch diejenigen, die die Arbeitssuche entmutigt aufgegeben haben, und Teilzeitbeschäftigte, die gerne mehr arbeiten würden.
Im Oktober gab es das höchste Nettobeschäftigungswachstum seit sechs Monaten. Dazu meinte Heidi Shierholz vom Wirtschaftspolitischen Institut in New York allerdings: »Wenn die Beschäftigungszunahme sich wie im Oktober weiterentwickelt, erreicht die Wirtschaft die vor der Rezession bestehende Arbeitslosenquote (5 Prozent im Dezember 2007) erst in etwa 20 Jahren.«
Langsames Wirtschaftswachstum und hohe Arbeitslosigkeit sind der Grund dafür, dass die Zentralbank der USA, die Federal Reserve Bank (Fed), letzte Woche eine neue Phase der »quantitativen Lockerung«, kurz QE2 genannt – verkündete. Auch die britische Zentralbank spielt mit der Idee der quantitativen Lockerung. Auf dem Höhepunkt der Krise versuchten führende Zentralbanken den Wirtschaftszusammenbruch durch die moderne Form des Gelddruckens zu bekämpfen: Sie kauften Staats- und Privatanleihen auf und vergrößerten auf diese Weise die im Umlauf befindliche Geldmenge.
Jetzt hat die Fed beschlossen, bis Mitte nächsten Jahres erneut 600 Milliarden Dollar in die Wirtschaft zu pumpen. Durch QE2 soll die lahmende Wirtschaft angeregt werden. Aber es ist keineswegs sicher, dass das auch klappt. Viele Unternehmen und Haushalte stöhnen unter der Schuldenlast, die sie Mitte des letzten Jahrzehnts angehäuft haben. Sie senken deshalb ihre Ausgaben. Viele Banken stehen vor demselben Problem. Mit QE2 werden also nicht automatisch die Ausgaben steigen. Die Zentralbanken können aber kaum etwas anderes tun, da die Zinsraten in vielen entwickelten kapitalistischen Ländern bereits auf einem Tiefstand sind.
Keynes nannte diese Situation eine »Liquiditätsfalle«. Seine bevorzugte Methode der Krisenbewältigung, wonach der Staat für den Privatsektor einspringt und mehr ausgibt, ist jedoch politisch nicht durchsetzbar. Die sparpolitischen Vorgaben in Europa und die Tatsache, dass die Republikaner das Repräsentantenhaus erobert haben, heißt, dass Obamas Ruf nach einem neuen Ausgabenanreiz eine Totgeburt ist.
Mit QE2 kann aber der Wert des US-Dollars gedrückt werden, somit würden US-amerikanische Exporte billiger und die Wirtschaft würde angeregt. Die Aussicht auf QE2 hat in den vergangenen Monaten schon mit zu einer Dollarabwertung im Vergleich zum Euro und zum Yen geführt.
Es gibt jedoch eine wichtige Währung, der gegenüber der Dollarkurs nur stockend fällt: Das ist der chinesische Renminbi. Die Machthaber in China haben den Renminbikurs im Verhältnis zum Dollar auf einem so niedrigen Niveau eingefroren, dass sie ihre Exportmaschine auf Hochtouren weiterlaufen lassen können.
Mit QE2 werden sich die Konflikte zwischen den führenden kapitalistischen Staaten verschärfen. Cui Tiankai, der stellvertretende Außenminister Chinas, und Wolfgang Schäuble, Deutschlands Finanzminister, haben QE2 schon scharf kritisiert. Die großen Ökonomien des Südens toben, weil die USA sie mit spekulativem Geld überschwemmen. Mit seiner Warnung, dass die Welt auf einen »Währungskrieg« zustrebt, scheint Brasiliens Finanzminister Guido Mantega den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben.
Zum Text: Der Text erschien zuerst auf Englisch in der Zeitung Socialist Worker. Übersetzung ins Deutsche von Rosemarie Nünning.