Erst waren angeblich spanische Gurken Schuld, jetzt soll es ein Biohof gewesen sein. Doch die Anklagen verfehlen den Kern des Problems: Die EHEC-Epidemie wurzelt im Kapitalismus. Von Amy Leather
Der jüngste EHEC-Ausbruch hat weltweit bereits mehr als 20 Menschenleben gekostet und über 22.000 Menschen infiziert. Bohnensprossen von einem deutschen Biohof werden nun als Träger des bisher unbekannten Erregerstamms ausgemacht, während man bisher versichert hatte, die Quelle seien spanische Gurken.
Aber unabhängig davon, was unmittelbar verantwortlich ist, ist die Verbreitung der Krankheit eine unausweichliche und vorhersehbare Folge einer profitgesteuerten, hochgradig industrialisierten Nahrungsmittelproduktion.
Nahrungsmittel können töten
Bereits 1995 ergab eine Studie, dass 13 Prozent allen Salats, noch bevor er verpackt wurde, EHEC enthielt. Vor drei Jahren berichtete das US Center of Disease Control, die US-Seuchenbekämpfungsbehörde, dass jedes Jahr 300.000 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden mussten und 5.000 an Krankheiten starben, die über Nahrungsmittel verbreitet werden.
In der Nahrungsmittelindustrie geht es um viel Geld. Auf jeder Stufe, von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis zum Verkauf beherrscht eine Handvoll riesiger Konzerne das Geschehen. Vier multinationale Konzerne kontrollieren die Rohstoffe unseres globalen Lebensmittelsystems. Einer davon, Cargill, ist das größte Privatunternehmen der Welt mit einem Umsatz von 75 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Der Nahrungsmitteleinzelhandel wird von mächtigen Supermarktketten betrieben.
Sparen an der Hygiene
Auf jeder Stufe der Nahrungskette kommen industrielle Herstellungstechniken zum Einsatz. Dazu gehören gewaltige Fütteranlagen für Rinder, die Lachsfarmen, wo bis zu 1,5 Millionen Tiere in riesigen Käfigen gezüchtet werden, wie auch die industriellen Verpackungsfabriken und die Logistikzentren der Supermärkte. Der unnachgiebige Druck, Kosten einzusparen und Profite zu maximieren, führt dazu, dass ständig an der Hygiene gespart wird.
Die Salatindustrie bildet hier keine Ausnahme. Über mehr als 100 Quadratkilometer erstrecken sich in den Niederlanden Gewächshäuser, in denen Tomaten, Gurken und anderes Gemüse gezogen werden. In Spanien gibt es eine gewaltige Industrielandschaft aus Plastikgewächshäusern, die fast 400 Quadratkilometer der Hochplateaus an den Küsten bedecken.
Ideale Brutbedingungen
EHEC-Erreger werden durch menschlichen oder tierischen Kot verbreitet, aber auch durch halb rohes, verseuchtes Fleisch. Sie können durch verseuchtes Wasser, Dung, der nicht sachgemäß kompostiert wurde, oder durch unzureichende Hygienemaßregeln verbreitet werden.
Der intensive Anbau von Salatköpfen schafft ideale Brutbedingungen für Seuchen und Pilze. Dicht gedrängte Gewächshäuser erlauben es Krankheitserregern, sich rasch auszubreiten. Um diesem Problem zu begegnen, werden Pestizide eingesetzt, von denen viele extrem giftig sind.
So billig wie möglich
Landwirtschaftliche Chemikalien stellen einen weiteren riesigen Markt dar. Nur sechs Unternehmen kontrollieren drei Viertel dieses Marktes. Der Einsatz von Pestiziden entspricht dem weit verbreiteten Gebrauch von Antibiotika in der Agroindustrie. Eine Folge hiervon ist die Entstehung neuer Bakterienstämme, die gegen Antibiotika resistent sind, wie die jüngste EHEC-Generation.
Supermärkte drängen ihre Lieferanten dazu, so billig wie möglich zu produzieren und dabei die schwankende Nachfrage der Märkte zu bedienen. Eine der wenigen Kostenquellen, die die Produzenten beeinflussen können, sind die Löhne. Sie brauchen Personal, das jederzeit eingestellt und gefeuert werden kann und dabei für das absolute Minimum arbeitet. Daher verlassen sie sich stark auf ausländische Arbeitskräfte, besonders in Spanien, wo bis zu 90.000 Gastarbeiter tätig sind.
Ohne sanitäre Anlagen
Die tausenden Arbeiter, die die Pflanzen versorgen, ernten und waschen, hausen in Hütten aus alten Plastikboxen ohne sanitäre Anlagen oder Zugang zu sauberem Trinkwasser. Salat wird in riesigen Wasserzubern gewaschen. Um auch hier wieder Kosten zu senken und die Produktion zu beschleunigen, wird das Wasser oft nur einmal pro Tag ausgewechselt. Daher kann sich belasteter Schlamm absetzen. Daraufhin wird Chlor beigefügt, um die Bakterien abzutöten.
Die Techniken der Massenherstellung zusammen mit dem Kostendruck auf jeder Stufe und der Absenkung aller Standards erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Nahrungsmittel Erreger wie EHEC enthalten. Die Lösung der Nahrungsmittelindustrie ist, Bakterien mit Strahlen abzutöten. In den USA setzen die Verkäufer von Spinat und Salatköpfen hochfrequente Strahlung auf ihrem Gemüse ein – ungefähr 15 Millionen mal schnellere als bei einer normalen Röntgenuntersuchung.
Problem Profit
Manche sagen, das EHEC-Problem käme daher, dass die Menschen immer billigere Lebensmittel einforderten. Aber das stimmt nicht. Das Problem ist, dass Nahrungsmittel Waren sind, die gehandelt werden, um damit Profite zu erwirtschaften, während die Spekulation die Preise in die Höhe treibt. Wir essen vergiftete und überteuerte Nahrungsmittel.
Statt die Menschen zu beschuldigen, die diese Lebensmittel essen oder sie unter schrecklichen Bedingungen herstellen, müssen jene zur Verantwortung gezogen werden, die verantwortlich sind – die Konzerne und die Lebensmittelspekulanten.
(Zuerst erschienen in der britischen Wochenzeitung Socialist Worker. Aus dem Englischen von David Meienreis.)