Der bundesweite Bildungsstreik in über 80 Städten hat begonnen. 150.000 Teilnehmer werden erwartet.
Im ganzen Bundesgebiet finden Kundgebungen, Debatten und Besetzungen an Bildungseinrichtungen statt. Die Betroffenen der Bildungsmisere setzen sich zur Wehr und gestalten ihre Bildung neu: Inhaltliche Auseinandersetzung gepaart mit vielfältigem Protest. Am Mittwoch werden dezentrale Demonstrationen in ganz Deutschland stattfinden.
Erste Besetzungen und Blockaden von Universitäten
Am Montag wurden bereits in Heidelberg, Berlin und Hamburg Universitätsgebäude besetzt. In Wuppertal und Bochum blockierten Studierend das Universitätsgebäude. In München, Trier, Flensburg, Münster, Saarbrücken, Marburg, Würzburg, Freiburg, Bielefeld wurden Protestcamps mit alternativen Lernveranstaltungen eröffnet. In Düsseldorf findet ein Sit-In vor der Staatskanzlei statt, in Stuttgart eine Kundgebung. Jedem Studierenden wird in Weingarten ein symbolischer Beitrag von 20 Cent für Skripte zurückgezahlt. »Unser Unterricht stinkt« heißt es bei Aktionen in Duisburg und Essen. In Greifswald schlug der »Exmatrikulator« zu und entfernte zahlugsunfähige Studierende aus Seminaren.
Bildungstreik: 150.000 erwartet
In über 90 Städten findet der Bildungstreik statt, über 150.000 Teilnehmer werden erwartet.
Ben Stotz, Mitglied im Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS, stellt fest: »Wir stehen unmittelbar vor den heftigsten Bildungsprotesten der letzten Semester. Der von der Bundesregierung vor zehn Tagen verabschiedete Hochschulpakt II war der Versuch, den Bildungsprotesten bereits im Vorfeld der Streikwoche den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch Merkels Beruhigungspille wirkt nicht, weil der Hochschulpakt eine Mogelpackung ist. Der Bildungsstreik ist die richtige Antwort auf den Vorstoß der Bundesregierung.«
Der Studierendenverband Die Linke.SDS kritisiert die im Rahmen des »Hochschulpakt II«
geplanten 18-Milliarden-Investitionen ins Bildungswesen als »völlig unzureichend«
.
»Die neubewilligten Milliarden gehen an die falsche Stelle, nämlich in erster Linie an außeruniversitäre Forschung und die unsoziale Exzellenzinitiative", von denen nur die Spitzenforschung an einigen wenigen Universitäten profitiert«
, so Ben Stotz. Auch die vorgesehene Schaffung von 275 000 neuen Studienplätzen gehen dem Studierendenverband der Partei DIE LINKE nicht weit genug. »Die von der Bundesregierung gefeierte Neuschaffung von Studienplätzen fängt in der Realität nicht einmal die Doppeljahrgänge des Turboabiturs auf. An dem schlechten Betreuungsverhältnis und überfüllten Hörsälen werden die Programme der Bundesregierung nichts ändern – und genau deshalb protestieren wir«
. Die Linke.SDS fordert 500.000 neue Studienplätze zu schaffen und komplett aus zu finanzieren. Ansonsten werde die soziale Selektion in der Hochschulbildung weiter zunehmen.
Gemeinsamer Protest
In den nächsten Tagen werden deswegen nicht nur Studierende, sonder auch Schüler und Schülerinnen, Lehrende, Dozierende, Eltern, Gewerkschaften und andere sozialen Gruppen die Missstände an Bildungseinrichtungen deutlich artikulieren und weitgehende Veränderungen einfordern. Alternative Lehrveranstaltungen, Demonstrationen, Vorträge, Diskussionen, kulturelles Programm, bunte Aktionen und Akte des zivilen Ungehorsams werden in dieser Woche die inhaltliche Auseinandersetzung über den gesellschaftlichen Stellenwert von Bildung in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, der spürbare Protest wird dem Diskurs Nachdruck verleihen. Getragen wird der Bildungsstreik von einer breiten Basis aus dezentralen Bündnissen. Seit über einem halben Jahr findet eine intensive Vernetzung und inhaltliche Koordination der lokalen Bündnisse statt. »Die Zustände vor Ort konnten so mit den strukturellen Ursachen der Bildungsmisere verbunden und ein gemeinsamer, übergreifender Protest von verschiedenen Gruppen in dieser Woche organisiert werden« , fasst Laura Klink aus Trier den Charakter des Bildungsstreiks zusammen. Den Beteiligten am Bildungsstreik geht es um eine Bildung, die zur kritischen Reflexion befähigt, sich an gesellschaftliche Bedürfnissen orientiert und Theorie und Praxis verbindet.Von Bedeutung sind für die Schüler und Schülerinnen und Studierenden dabei insbesondere die Demokratisierung des Bildungssystems, die Abschaffung des Bachelor- und Masterstudiums in der derzeitigen Form, die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems, kleinere Klassen, die soziale Öffnung der Hochschulen, die Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen und ein Ende des Einflusses der Wirtschaft in allen Bildungseinrichtungen. Entscheidend dafür sind neben einer ausreichenden Finanzierung darüber hinausgehende strukturelle Veränderungen, welche ein grundlegend anderes Bildungsverständnis erfordern. »Eine Gesellschaft mit einem der selektivsten Bildungssysteme, welches Lernende nicht dazu befähigt, sich kritisch mit vermittelten Inhalten auseinander zu setzen, ist keine Demokratie!« , so Mo Schmidt aus Marburg. Weiter führt er aus: »Der Kampf für ein alternatives Bildungssystem ist ein Kampf für eine wahrhafte Demokratie, deswegen geht Bildung uns alle an.«
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