Die Mittelmeerinsel ist das nächste Opfer der EU-Politik. Genau wie Griechenland soll sie massiv die Sozialleistungen kürzen. Dabei gäbe es Alternativen, meint unser Gesprächspartner Andrej Hunko
marx21.de: Andrej, hat das Rettungspaket der EU Zypern nun tatsächlich gerettet?
Andrej Hunko: Das hängt vom Standpunkt ab. Zypern wird wohl nicht den Staatsbankrott erklären und weiter seine Zinszahlungen leisten. Das bedeutet: Die Profite der Gläubiger, also hauptsächlich der Banken, sind gerettet. Von den Lebensverhältnissen der Menschen dort lässt sich das leider nicht behaupten. Die EU hat Zypern ähnliche Auflagen wie Griechenland gemacht. Als Gegenleistung für Gelder aus dem Europäischen Rettungsfond soll die Regierung radikale Einschnitte bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen vornehmen. Die Details sind noch nicht bekannt. Auf Grundlage der griechischen Erfahrung können wir aber davon ausgehen, dass es ganz düster aussieht für die Zyprioten.
Also waren die Massenproteste wirkungslos…
Nein, nicht ganz. Zumindest die Teilenteignung der Kleinsparer ist vom Tisch – hieran hatte sich ja die Bewegung Mitte März entzündet. Die Verhandlungen der Troika mit Zypern ziehen sich aber schon viel länger. Das Land hat im Juni vergangenen Jahres den Antrag auf finanzielle Unterstützung gestellt, damals noch unter einer linken Regierung. Die Verhandlungen verliefen monatelang ergebnislos. Seit Anfang 2013 hat die Troika dann richtig Druck gemacht. Ich vermute, das hat nicht nur finanzpolitische, sondern auch geostrategische Hintergründe.
Die geostrategische Bedeutung von Zypern war mir bisher entgangen…
Sie ist aber relevant. Zypern ist der einzige EU-Staat, der weder Mitglied in der NATO noch in deren Vorfeldorganisation »Partnership for Peace« (PfP) ist. Ein hintergründiges Ziel der EU-Verhandlungen ist gewesen, Zypern zur Aufgabe seiner Neutralität und zum Eintritt in die NATO oder in PfP zu zwingen. Das hat mir die Bundesregierung bestätigt. Wörtlich sagten sie: Mit dem geplanten PfP-Beitritt durch die neue konservative Regierung in Zypern ist ein großes Hindernis für eine Kreditvergabe vom Tisch. Die Krise Zyperns wird also von den Verantwortlichen der EU genutzt, um längerfristige strategische Ziele durchzusetzen – und natürlich, um an das Tafelsilber der Insel zu kommen.
Was bedeutet das?
Die zypriotische Regierung soll im großen Stil öffentliche Betriebe privatisieren. Es geht um vier Bereiche: Häfen, Telekommunikation, Elektrizität und Wasser. Die linke Regierung hatte sich noch dagegen gewehrt. Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen in der Hoffnung verzögert wurden, dass die Präsidentschaftswahl neue politische Verhältnisse schafft. Das ist Ende Februar tatsächlich eingetreten: Der Konservative Nikos Anastasiades hat die Wahl gewonnen. Seine Regierung handelt jetzt mit der Troika ein Programm aus, das Zypern mit Sicherheit in die Rezession treiben wird.
Laut »Bild« war Zypern eine »Waschmaschine für Russenschwarzgeld« und hatte einen aufgeblähten und deshalb anfälligen Banksektor. Kann man das so sehen?
Zweifellos waschen zypriotische Banken Schwarzgeld – aber das passiert in anderen europäischen Ländern auch. Seltsam ist nur: Landet das Schwarzgeld in Zypern, dann heißt es, es stamme von russischen Oligarchen. Sollte es jedoch in Frankfurt landen, dann ist die Rede von gewichtigen Investoren, deren Vertrauen man gewinnen muss. Fakt ist, dass Zypern in den internationalen Rankings bezüglich Geldwäsche besser abschneidet als Deutschland. Interessanterweise wurde die Schwarzgelddiskussion durch einen Bericht des Bundesnachrichtendienstes an die Öffentlichkeit gebracht, den dann der »Spiegel« aufgriff. Meiner Meinung nach ist das eine Ablenkungskampagne: Lieber über die russischen Oligarchen sprechen als über die wahren Ursachen der Krise, also über Spekulation und die Rolle der Banken. Tatsächlich hat die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von mir hin zugegeben, dass sie keine Erkenntnisse über russische Schwarzgeldkonten hat. Es handelt sich also um Stimmungsmache, die die harten Maßnahmen gegen Zypern rechtfertigen soll.
Du hast als Alternative zum jetzigen Vorgehen die »isländische Lösung« für Zypern vorgeschlagen. Was meinst du damit?
Zypern und Island sind durchaus vergleichbar. Island hatte sich Anfang der 2000er Jahre zu einem gigantischen Bankenland entwickelt. Der Bankensektor umfasste auf dem Höhepunkt der Krise im Jahr 2008 das Neunfache des Bruttoinlandsprodukts – in Zypern ist es jetzt das Siebenfache. Zum Vergleich: In Deutschland ist der Bankensektor dreieinhalb mal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt.
In Island hat man die Banken pleitegehen lassen. Das war möglich, weil der Inselstaat nicht Mitglied der EU ist und keine diesbezüglichen Auflagen hatte. Dann wurden dort staatliche »Good Banks« für den normalen Zahlungsverkehr und die Normalwirtschaft gegründet, die keinen Investmentbereich hatten. Zusätzlich wurden Kapitalverkehrskontrollen eingerichtet. Gleichzeitig hat die damalige linke Regierung alles daran gesetzt, das relativ hohe nordische Sozialstaatsniveau hochzuhalten, also die staatlichen Leistungen nicht zu kürzen. Das ist so ziemlich das Gegenteil der jetzigen Troika-Politik
Hat das funktioniert?
Ja, in zweierlei Hinsicht. Zum einen wirtschaftlich: Nach einem vorübergehenden Einbruch erholte sich die Wirtschaft des Landes in relativ kurzer Zeit wieder und steht heute auf stabilen Beinen.
Darüber hinaus ist das Vorgehen in Island aber auch ein Erfolg demokratischer Kultur. Der ganze Prozess ist eingeleitet worden durch eine Massenbewegung, die die alte Regierung zum Rücktritt zwang. Die neue, relativ linke Regierung hat die Bevölkerung über Referenden an der Krisenlösungsstrategie beteiligt. So wurde zum Beispiel die staatliche Haftung für eine pleitegegangene Großbank mit großer Mehrheit abgelehnt. Es gab Untersuchungsausschüsse, die verantwortliche Bankmanager hinter Gitter gebracht haben. Das hat es in einem solchen Umfang in anderen Ländern nicht gegeben und ist jetzt auch nicht in Zypern geplant. Dabei braucht die Insel die isländische Lösung – und zwar schnell.
(Das Interview führte Stefan Bornost.)
Zur Person:
Andrej Hunko ist Bundestagsabgeordneter der LINKEN und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
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