In Thailand eskalierten die Proteste gegen die konservative Regierung und den König. Yaak Pabst sprach mit dem thailändischen Sozialisten Giles Ji Ungpakorn über Hintergründe und Perspektiven der Protestbewegung.
marx21: Die Proteste gegen die Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva haben sich am vergangenen Wochenende zugespitzt. Hunderte wurden verletzt, zwei Menschen getötet. Warum hat das Militär die Demonstranten angegriffen?
Giles Ji Ungpakorn: Die Armee hat Anhänger der Demokratiebewegung auf den Straßen Bangkoks in den vergangenen vierzig Jahren viermal angegriffen und getötet. Die Generäle und die konservative Elite werden alles daransetzen, ihre Privilegien und ihre Macht zu schützen.
Was ist der Hintergrund der Protestwelle?
Seit dem Jahr 2006 sind diese Eliten gegen Wahlergebnisse ungeniert mit einem militärischen Putsch vorgegangen, sie benutzten die Gerichte zweimal, um die Partei des gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin aufzulösen, und sie unterstützen den monarchistischen Mob der Gelbhemden und deren gewalttätigen Übergriffe auf den Straßen. Die sogenannte Demokratische Partei (PAD) wurde durch die Armee in die Regierung gehievt. Die Gelbhemden sind konservative Monarchisten. Einige haben faschistische Neigungen. Ihre Wächter tragen und benutzen Schusswaffen. Sie unterstützten den Putsch im Jahr 2006, zerstörten das Regierungsgebäude und blockierten im vergangenen Jahr internationale Flughäfen. Hinter ihnen steht die Armee. Deshalb haben die Soldaten nie auf Gelbhemden geschossen. Deshalb hat der jetzige, in Oxford und Eton ausgebildete thailändische Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva nichts unternommen, um die Gelbhemden zu bestrafen. Er holte sogar einige in sein Regierungskabinett. Das Ziel der Gelbhemden besteht darin, das Stimmrecht der Wähler zu beschneiden, um die konservativen Eliten und die „schlechten alten Sitten« der Staatslenkung in Thailand zu schützen. Für sie ist die Stärkung von Bürgerrechten eine Bedrohung, weshalb sie eine Diktatur der „neuen Ordnung« befürworten, in der die Menschen zwar wählen dürfen, die meisten Parlaments- und öffentlichen Posten aber nicht wählbar sein sollen. Sie erhalten von den meisten Medien in Thailand, von Akademikern der Mittelschicht und sogar von leitenden Mitgliedern der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Rückendeckung. Die NGOs haben sich selbst in den letzten Jahren diskreditiert, weil sie sich auf die Seite der Gelbhemden geschlagen haben oder angesichts des Generalangriffs auf die Demokratie schwiegen. Bei allen guten Absichten, die sie verfolgen, hat ihr Mangel an Politik sie zunehmend in die Arme der Rechten geführt.
Welche Rolle spielt der thailändische König?
Wenn wir über den „Palast« reden, müssen wir unterscheiden zwischen dem König und denen, die um ihn herum sind. Der König war immer schwach und hat nie demokratische Prinzipien vertreten. Der „Palast« wurde benutzt, um die Vergangenheit und heutige Diktaturen zu legitimieren. Als „stabilisierende Kraft« hat die Monarchie immer lediglich zur Stabilisierung der Interessen der Elite beigetragen. Der König hatte nie den Mut, die Demokratie zu verteidigen oder sich gegen die Gewalt der Armee zu stellen. Der unglaublich reiche König ist auch ein Gegner jeder Umverteilung des Wohlstands von oben nach unten. Die Königin ist eine extreme Reaktionärin. Die Menschen mit wirklicher Macht in der thailändischen Elite sind die Armeegenerale und hochrangige Staatsbeamte. Wenn wir die Gewaltakte, zu denen es in Thailand gekommen ist, verstehen und beurteilen wollen, brauchen wir einen geschichtlichen und einen nüchternen Blick auf die Ereignisse. Den nüchternen Blick brauchen wir, um den Unterschied zwischen der Zerstörung von Eigentum und dem Verletzen oder Töten von Menschen zu erkennen. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass die Gelbhemden und die Armee die Gewalttäter sind. Ein wenig Geschichte hilft uns zu erklären, warum die Rothemden jetzt in Rage geraten sind. Sie mussten die Stiefel der Militärs ertragen, die wiederholte Verletzung ihrer demokratischen Rechte, fortgesetzte Gewalt gegen sie und den Missbrauch der Medien und der Akademien. Wenn sie weiterhin Widerstand leisten, können sich in der Armee Rissen auftun. In den vergangenen vier Jahren hat sich die thailändische Bevölkerung deutlich politisiert. Einfache Soldaten, die aus armen Familien rekrutiert wurden, sind Anhänger der Rothemden.
Wer sind die »Rothemden«? Was fordern sie? Wie ist die Klassenzusammensetzung der Bewegung?
Seit Ende des Jahres 2005 findet in Thailand ein sich ausweitender Klassenkrieg zwischen den Armen und den alten Eliten statt. Natürlich handelt es sich nicht um einen reinen Klassenkrieg. Wegen des Vakuums auf der Linken in der Vergangenheit ist es Millionären und populistischen Politikern wie Thaksin Schinawat und seiner Thai-Rak-Thai-Partei (Thais lieben Thais) gelungen, sich an die Spitze der Armen zu stellen. Die Armen in den Städten und auf dem Land, die die Mehrheit des Wahlvolks stellen, sind die Rothemden. Sie wollen das Recht, ihre eigene Regierung durch demokratische Wahlen zu bestimmen. Sie begannen als passive Unterstützer der Thai-Rak-Thai-Regierung von Thaksin. Inzwischen haben sie eine ganz neue Bürgerbewegung gegründet, die sie „Wahre Demokratie« nennen. Für sie heißt „Wahre Demokratie« das Ende der lange geduldeten „Stillen Diktatur« der Armeegenerale und des Palasts. Die Situation gestattete es den Generalen, den Beratern des Königs im geheimen Staatsrat und den konservativen Eliten, sich so zu verhalten, als stünden sie über der Verfassung. Gesetze gegen „Majestätsbeleidigung« und wiederkehrende Unterdrückung wurden benutzt, um die Opposition zum Schweigen zu bringen.
Warum ünterstützen die Armen Thaksin?
Der Großteil der Rothemdenbewegung unterstützt Thaksin aus guten Gründen. Seine Regierung setzte viele moderne Maßnahmen zugunsten der Armen um, einschließlich der ersten staatlichen Gesundheitsfürsorge. Aber die Rothemden sind nicht einfach Marionetten. Es gibt eine dialektische Beziehung zwischen Thaksin und den Rothemden. Seine Führung ermutigt zum Kampf und vermittelt das entsprechende Selbstbewusstsein. Gleichzeitig haben sich die Rothemden in Gemeindegruppen organisiert, und einige sind zunehmend enttäuscht, weil Thaksin es an einer fortschrittlichen Führung mangelnd lässt und vor allem, weil er darauf besteht, dass sie weiterhin „loyal« gegenüber der Krone sein sollen. In den vergangenen Tagen gab es Anzeichen einer eigenen Führungstruktur unter den Rothemden, und die alten Rothemdenpolitiker mussten sich beeilen, um mitzuhalten. Jetzt wächst eine republikanische Bewegung heran. Viele linke Thais wie ich sind keine Anhänger von Thaksin. Wir haben uns gegen seine Menschenrechtsverletzungen gestellt. Aber wir sind der linke Flügel der Bürgerbewegung für Wahre Demokratie.
Worin besteht die Rolle der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung in den Protesten? Haben sie sich daran beteiligt? Gibt es antikapitalistische Strömungen in der Bewegung der Rothemden?
Die Gewerkschaften sind schwach und unorganisiert, und bisher haben nur die monarchistischen Gelbhemden versucht, sie zu organisieren, sie hatten aber nur in einigen Staatsunternehmen Erfolg, und dort haben sie lediglich die Gewerkschaftsführung übernommen. Die Basisgewerkschafter sympathisieren mit den Rothemden, sind aber nicht organisiert. Das ist für uns Linke eine vordringliche Aufgabe und wir wollen, dass andere progressive Rothemden dabei mit uns zusammenarbeiten. Antikapitalismus heißt in Thailand, gegen die Monarchie zu sein und für den Wohlfahrtsstaat. Diese Stimmung wächst und wir wollen sie unterfüttern.
Die Weltwirtschaftskrise hat ärmere Länder besonders hart getroffen. Welche Auswirkungen hat die Krise auf den Alltag der Arbeiterklasse und der Bauern?
Tausende haben ihre Fabrikarbeitsplätze verloren, und neoliberale Politik der jetzigen Regierung ändert nichts daran. Die Rothemden müssen Wirtschaftsthemen ernstnehmen und die Wut in produktive Bahnen lenken. Bauern als ländliche Kleinproduzenten werden die Auswirkungen der Krise erst später spüren, wenn ihre Märkte austrocknen oder die Preise sinken. Bisher ist es nicht dazu gekommen. Aber ländliche Familien sind mit städtischen Arbeitern verbunden, auf diesem Wege werden auch sie betroffen sein.
Welche Kritik hast du an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin?
Nun, er ist ein Multimillionär. Seine Regierung hat schwere Menschenrechtsverletzungen im Süden des Landes begangen und in ihrem Krieg gegen Drogen. Obwohl seine Regierung viele gute Maßnahmen zugunsten der Armen ergriffen hat, gingen sie nicht weit genug, um einen Wohlfahrtsstaat durch progressive Besteuerung der Reichen zu schaffen. Auf internationaler Ebene war er ein Neoliberaler, während er an der Basis der Gesellschaft keynesianistische Politik verfolgte. In seiner Partei gab es ein paar fragwürdige Politiker. Aber er wurde überwiegend von den Armen gewählt. Sozialisten müssen Wege finden, hier anzusetzen, ohne ihn unkritisch zu unterstützen.
Wie wird es weitergehen? Gibt es Hoffnung auf ein anderes Thailand?
Der Einsatz ist sehr hoch. Mit jedem Kompromiss besteht das Risiko der Instabilität, weil Kompromisse so gut wie niemanden befriedigen werden. Die alten Eliten mögen ein Abkommen mit Thaksin eingehen wollen, um zu verhindern, dass die Rothemden ganz zu Republikanern werden. Aber was auch immer geschieht, kann die thailändische Gesellschaft nicht zurück zu den alten Tagen. Die Rothemden repräsentieren Millionen von Thailändern, die das Militär und die Einmischung des Palasts in die Politik mehr als satt haben. Das Mindeste, was sie sich wünschen, ist eine unpolitische konstitutionelle Monarchie. Es ist zu hoffen, dass die Rothemden sich in dieser Kampfrunde weiter nach links bewegen werden.
(Die Fragen stellt Yaak Pabst. Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning)
Über den Autor:
Giles Ji Ungpakorn ist Sozialist und hat für marx21 über die Lage im Land berichtet. Bis Februar dieses Jahres war er außerordentlicher Professor für Politik an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok. Nach einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung musste er aus Thailand flüchten und lebt derzeit in Großbritannien. Mehr Informationen auf Englisch und Thailändisch unter http://www.pcpthai.org // http://redsiam.wordpress.com // http://wdpress.blog.co.uk/
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