Deutschland scheint bislang erstaunlich robust durch die Finanzkrise zu kommen. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die deutsche Wirtschaft voll auf Exporte gesetzt hat, und diese in der Krise schwer eingebrochen sind. Doch dank der Ausfuhren nach China haben sich inzwischen die Exporte wieder erholt. Thomas Walter geht der Frage nach, ob China als Importeur von Produkten aus Deutschland die deutsche Wirtschaft trotz Krise stützen kann.
Die deutsche Industrie hofft, dass das Exportmodell Deutschland weiter bestehen kann. Jahrelange Anstrengungen und Angriffe auf die Arbeiterklasse dienten dem einen Zweck, den Standort Deutschland auf dem Weltmarkt noch konkurrenzfähiger zu machen und Weltmarktanteile zu erobern oder zu verteidigen. Auch das Projekt Europäische Union dient diesem Ziel. Zäh wird der Euro von Merkel als »alternativlos« verteidigt.
Der Präsident des Bundesverbandes Deutsche Banken Andreas Schmitz drückte das in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau so aus: »Die Politiker retten das Konzept des Euro! Der Euro hat der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren enorme Stabilität und Wachstumschancen geboten. Die Rückkehr zur D-Mark ist keine Alternative. Mit einer Neuauflage wären wir bestenfalls eine größere Schweiz und beim Export würden wir nicht bloß von China nur noch die Hacken sehen. Alle Einschnitte der letzten Dekade: Lohnzurückhaltung, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wären vergebens gewesen.«
Wieder ein deutscher Exportrekord
Auf den ersten Blick schien das Exportmodell Deutschland durch die Finanzkrise gescheitert. Zwar hatten die Handelspartner fleißig aus Deutschland importiert, aber alles auf Pump. Ab 2007 stellte sich heraus, dass sie nicht zahlen konnten.
Doch 2010 schrammten die Warenexporte Deutschlands wieder fast die Ein-Billionen-Marke, ein Wert, der auch 2007 vor der Krise schon beinahe erreicht worden war. 2011 wurde diese Marke geknackt.
Wohin wird exportiert?
Klappt es also wieder mit den Exporten? Vergleicht man 2010 mit 2007, fällt auf, dass die deutsche Wirtschaft gegenüber allen klassischen Handelspartnern ein Minus verzeichnet. Gegenüber der Europäischen Union (EU) und gegenüber den USA waren die Exporte in diesem Zeitraum jährlich um drei Prozent zurück gegangen. Wenn also 2010 wieder fast so viel exportiert wurde wie vor der Krise, muss es Länder geben, in welche die deutsche Exportwirtschaft ihre Lieferungen steigern konnte. Diese gibt es, allen voran China, in das Jahr um Jahr die Warenxporte 2007 bis 2010 um rund 22 Prozent stiegen. (Die Dienstleistungsexporte sind hier nicht berücksichtigt. Dienstleistungen spielen im internationalen Handel zum Leidwesen von Freihandelsfanatikern eine untergeordnete Rolle.)
In das übrige Asien wurden die Exporte um jährlich 5 Prozent gesteigert. Im Zeitraum 2007 bis 2010 waren die Exporte nach China, was Wachstum und Umfang betraf, mit Abstand die wichtigsten. Weitere wichtige Exportgebiete waren das übrige Asien, die europäischen Staaten außerhalb der EU und Brasilien.
Schwergewicht China
Die deutsche Exportindustrie kann sich also Hoffnungen machen, dass sie das, was sie gegenüber den althergebrachten Handelspartnern wie EU oder USA verliert, gegenüber den sog. Schwellenländer gewinnt. Dafür spricht das steigende wirtschaftliche Gewicht Chinas in der Welt. Es hat inzwischen (laut Wikipedia) ein Bruttoinlandsprodukt von 6 Billionen US-Dollar (nominal, nicht nach Kaufkraftparitäten berechnet). Zum Vergleich, die USA haben ein BIP von 14 Billionen Dollar, Japan eines von 5 Billionen Dollar und die BRD eines von 3 Billionen Dollar.
Weltweit leben inzwischen 7 Milliarden Menschen. Davon umfasst allein die Bevölkerung Chinas 1340 Millionen, die der USA 310 Millionen, die Japans 130 Millionen und die BRD hat rund 80 Millionen Einwohner. Chinas Anteil an der Weltproduktion wird auf rund 10 Prozent geschätzt. China als Handelspartner zu haben, kann also nicht falsch sein.
Auch China kriselt
Doch zahlreiche Experten, auch aus dem Unternehmerlager, warnen vor zu viel Optimismus. 2011 erzielte China nach Angaben der Weltbank ein Wirtschaftswachstum von 9 Prozent. Das ist im Vergleich zur Welt insgesamt (3 Prozent), den USA (2 Prozent), Japans (-1 Prozent) oder zum Euroraum (2 Prozent) ein Traumwert. Für China ist es aber eine der schwächsten Wachstumsraten der letzten zehn Jahre, wie das Institut für Wirtschaft (IW) aus Köln, ein unternehmernahes Wirtschaftsforschungsinstitut, feststellt.
Für die Kieler Denkfabrik »Kiel Economics« hat China genug eigene Probleme. Die Forscher überlegen weniger, ob China die deutsche Wirtschaft retten kann, sondern umgekehrt, ob China sich der jetzigen Weltwirtschaftskrise entziehen kann. China ist nämlich wie Deutschland Exportnation und hängt stark von der Europäischen Union als Handelspartner ab. Die Eurokrise gefährdet also auch die chinesische Wirtschaft. Außerdem macht es den Forschern von Kiel Economics Sorgen, dass die chinesische Wirtschaft wie die anderer Volkswirtschaften in der »Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009« von staatlichen Konjunkturprogrammen gestützt werden musste.
Die Anzeichen häufen sich, dass dieses künstliche Wachstum nicht aufrecht erhalten werden kann. Gebäude können nicht mehr rentabel vermietet oder verkauft werden, Leerstände bauen sich auf, der Bauindustrie droht eine Krise. Einen Sozialstaat, der die Krise abfedern könnte, gibt es in China kaum. Kiel Economics versucht zu beruhigen: zwar hingen die deutschen Exporte stark von China ab, aber andere Handelspartner von Deutschland exportieren selbst nicht so viel nach China und wären deshalb von einer chinesischen Krise nicht so betroffen. Deutschland wäre so zwar direkt, aber nicht indirekt von einer chinesischen Wirtschaftskrise betroffen. Eine solche Einschätzung ist aber weit von der Vorstellung entfernt, China könnte für Deutschland Wachstumslokomotive spielen. Tatsächlich brachen jetzt im Januar 2012 Chinas Importe überraschend ein, um 15 Prozent. Dies, so die Kommentare, gefährdet die »Exportnation Deutschland«.
Und längerfristig?
Die »chinesische Frage« kann man nicht nur aus kurzfristiger, konjunktureller Sicht, sondern auch aus langfristiger Sicht stellen. So halten auch linke Kapitalismuskritiker es für möglich, dass der stagnierende westliche Kapitalismus abgelöst werden könnte durch einen neuen asiatischen Kapitalismus. Doch hier gibt es ebenfalls Probleme. Das erwähnte IW Köln sorgt sich darüber, dass China immer mehr als Konkurrent auftritt. In einem Forschungsbericht kommt das IW zum Ergebnis, dass China sich immer weniger auf die Produktion von Billigprodukten beschränkt, also einfach nur »imitiert«, sondern mehr und mehr selbst »innovativ« eigene Produkte erfindet, die es auf Kosten der Konkurrenten teuer verkauft. Der deutsche Maschinenbau befürchtet ebenfalls, dass China mit immer mehr hochwertigen Produkten auf den Weltmarkt kommt. Das vergleichsweise hohe Wachstum Chinas geht also womöglich zu Lasten anderer Industrieländer, erhöht die weltweiten Überkapazitäten und stellt somit keine Lösung für die langfristigen Probleme des Weltkapitalismus dar.
Außerdem wird argwöhnisch beäugt, dass China immer mehr in die Rohstofflager der Welt, in Afrika, in Arabien, investiert und diese damit den etablierten Industrieländern »wegnimmt«. Zudem fällt dem IW auf, dass das hohe chinesische Wachstum an der Masse der chinesischen Bevölkerung vorbei geht, eine Geschichte, die aus Europa oder USA nur allzu bekannt ist. Dies beschränkt aber die Exportmöglichkeiten Deutschlands nach China, denn arme Menschen können nicht viel kaufen. China wiederum will aus der gleichen kapitalistischen Logik heraus wie Deutschland seine Binnennachfrage nicht erhöhen, denn dies ginge zu Lasten seiner Exporte, also zu Lasten der Profite. Michael Hüther, Chef des IW, fordert die Unternehmen auf, sich vorsichtshalber zu »diversifizieren«, also nicht alle Hoffnungen auf China zu setzen. Hüther rät: »Aufträge aus China mitnehmen und trotzdem diversifizieren«.
China als geostrategischer Konkurrent
Schließlich sind Länder wie Japan oder Südkorea ein warnendes Beispiel. Auch diese einstigen Wunderländer wurden schließlich von der Logik des Kapitalismus eingeholt. Japan leidet seit 1990 an Stagnation und der südkoreanische und andere ostasiatische »Tiger«, wie sie genannt wurden, sind inzwischen als Bettvorleger gelandet. Indien, das auch oft als Hoffnungsträger genannt wird, wird bisher in vielen internationalen Statistiken mangels größerer Bedeutung nicht einmal ausgewiesen.
Schließlich kommen neben den ökonomischen auch allgemeine geostrategische Gesichtspunkte ins Spiel. Einerseits beliefert China die Welt mit billigen Produkten, andererseits rüsten sich die USA militärisch, um den Konkurrenten einzukreisen. Ob Deutschland und Europa eine Gratwanderung zwischen USA und China gelingt, bleibt abzuwarten.
Der »chinesische Drache« – ein Wiedergänger
Der »chinesische Drache« erregt immer wieder die Gemüter. 1965 z.B. veröffentlichte der Physiker Wilhelm Fucks mit »Formeln zur Macht« das Ergebnis seiner Berechnungen zur wirtschaftlichen und politischen Zukunft der Welt. Er verschreckte seine Zeitgenossen mit der Prophezeiung, dass bis in fünfzig Jahren, also bis zu unserer jetzigen Zeit, China unangefochten die Weltmacht Nummer 1 sein würde. China hätte dann seinen Berechnungen zufolge 80 Prozent der Wirtschaftsmacht der Welt inne. Er sagte zwei Milliarden Einwohner für China voraus, tatsächlich sind es jetzt 1,3 Milliarden. Richtiger lag er mit der Sowjetunion. Diese würde zu keinem Zeitpunkt die USA einholen können.
Das Buch wurde wohl zum Besteller, weil damals in den 60er Jahren im Interesse deutscher Konzerne mit der sog. Entspannungspolitik eine wirtschaftliche Annäherung an die UdSSR angestrebt wurde. Um dies einer auf Antikommunismus getrimmten Bevölkerung zu vermitteln, war wohl ein größeres Feindbild, ein übermächtiges China, wie es Fucks voraussagte, hilfreich. Im Vergleich zu diesem China erschien die UdSSR als harmlos, als möglicher Bündnispartner gegen die »gelbe Gefahr«.
Auch heutzutage soll uns der chinesische Drache mal als Billigproduzent der Weltmärkte schrecken und zu niedrigeren Löhnen und Sozialausgaben mahnen, mal kauft er uns freundlicherweise die Waren ab, die wir anderswo nicht los werden, mal imitiert er frech unsere Produkte oder – noch frecher – erfindet Neue. Doch Ideologien haben kurze Beine. China, das selbst ein kapitalistischer Staat ist, kann die Probleme des Weltkapitalismus nicht lösen.
Zur Person:
Thomas Walter ist Ökonom und Mitglied der LINKEN.
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