Daniel Bensaïd, einer der bekanntesten Persönlichkeiten der französischen Studentenbewegung, Philosoph und revolutionärer Marxist ist gestorben. Ein Nachruf von Alex Callinicos
Die traurige Liste von Toden marxistischer Intellektueller der 1960er Generation hat sich verlängert: Der französische Philosoph und Aktivist Daniel Bensaid, eine der großen Persönlichkeiten, die aus den Studenten- und Arbeiterunruhen vom Mai und Juni 1968 hervorging, starb am 12. Januar im Alter von 63 Jahren. Daniel gehörte zu einer kleinen Gruppe Aktivisten, die im Jahr 1966 aus Protest gegen die konservative französische Kommunistische Partei mit ihrer Jugendorganisation brach und die Jeunesse Communiste Révolutionnaire (Revolutionär-kommunistische Jugend, JCR) gründete. Die JCR spielte eine führende Rolle in der Studentenbewegung von 1968. Aus ihr ging der Kern der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) hervor, die wichtigste Kraft in der radikalen Linken Frankreichs, die vor einem Jahr die Nouveau Parti Anticapitaliste (Neue Antikapitalistische Partei, NPA) gründete.
In seiner Autobiografie beschrieb Daniel sehr anschaulich, wie er aufwuchs, im Mittelpunkt das einfache Bistro seiner Eltern in einem Arbeiterviertel von Toulouse mit einer stark ausgeprägten kommunistischen politischen Kultur. Diese Wurzeln erklären vielleicht seine große Gabe als Kommunikator sogar bei noch so esoterisch-philosophischen Konzepten und Themen. Der große Aufschwung der Arbeiterkämpfe Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ermutigte zehntausende junger Menschen weltweit, sich revolutionär-sozialistischen Organisationen anzuschließen. In einem Buch, das er zusammen mit Henri Weber verfasst hat, nannte Daniel den Mai 1968 »eine große Generalprobe« für die kommende Revolution. Er formulierte das Dringlichkeitsgefühl seiner Generation, die „revolutionäre Ungeduld«, wie er es später nannte, und erklärte: »Die Geschichte sitzt uns im Nacken.«
Nach den Ereignissen von 1968 arbeitete Daniel viele Jahre Vollzeit für die LCR und die trotzkistische internationale Strömung, die Vierte Internationale, der die LCR als französische Sektion angehörte. Er unternahm ausgedehnte Reisen durch Lateinamerika und spielte eine wichtige Rolle bei der Gründung der brasilianischen Arbeiterpartei. Dieser Einfluss hat sich bis in die letzten Jahre fortgesetzt. Ich erinnere mich daran, wie er ein Publikum brasilianischer Sozialisten auf einem Weltsozialforum am Vorabend eines großen Antikriegsprotests im Jahr 2003 mit einer kraftvollen Rede zum Jubeln brachte , als er den Neoliberalismus und Imperialismus angriff und auf die neu entstehenden Widerstandsbewegungen verwies.
Viele der 1960er Generation gaben ihre revolutionäre Politik auf, als ihre Hoffnungen auf schnelle Veränderungen enttäuscht wurden. Nicht so Daniel. Als Philosophiedozent an der Universität Paris 8 (St. Denis) schrieb er eine Reihe von Werken, in denen er eine Version von Marxismus entwickelte, die unbeirrbar an der Kritik des Kapitalismus festhielt und gleichzeitig sensibel mit den Komplexitäten und Ungewissheiten der Geschichte umging. Zu den vielleicht wichtigsten der erstaunlichen Zahl von Büchern, die er verfasste, gehört die Essaysammlung »La Discordance des Temps« (Der Missklang der Zeiten, 1995) und »Marx l’intempestif« (Marx für unsere Zeit, 2003). Daniel war stark von dem großen deutschen marxistischen Kritiker Walter Benjamin beeinflusst. Benjamin betrachtete Geschichte als eine Katastrophe und Revolution als plötzliche, gewaltsame Unterbrechung des normalen Laufs der Dinge.
Auch wenn Daniel sich Mitte der 1990er Jahre aus der Führung der LCR zurückzog, blieb er weiterhin politisch sehr aktiv. Er gehörte zu den stärksten Befürwortern einer Außenwendung der LCR, wie sie sich in Olivier Besancenots erfolgreichen Präsidentschaftswahlkämpfen im Jahr 2002 und 2007 und der Gründung der NPA zeigte. In den letzten Jahren beschäftigte sich Daniel insbesondere damit, eine neue Generation von Aktivisten in der marxistischen Tradition auszubilden. Er schrieb eine Reihe wichtiger Essays über revolutionäre Strategie und den »neuen Internationalismus« der antikapitalistischen und Antikriegsbewegungen. Er rief auch die Theoriezeitschrift »ContreTemps« ins Leben, die jetzt mit der NPA verbunden ist.
All das erreichte Daniel, obwohl er in den letzten 15 Jahren seines Lebens mit einer ernsthaften Krankheit zu kämpfen hatte. In den vergangenen Monaten organisierte er von seinem Krankenhausbett aus eine wichtige Konferenz über die Idee des Kommunismus, die noch in diesem Monat in Paris stattfinden wird. Seine körperliche Gebrechlichkeit stand in Kontrast zu dem unglaublich starken Willen, den er ausstrahlte, zu seiner tiefen, kräftigen Stimme und dem trockenen Humor, der seine persönlichen Gespräche wie seine öffentlichen Auftritte prägte.
Er war ein außerordentlich wortgewaltiger Redner und Schriftsteller. Sein Genosse Pierre Rousset brachte es gut auf den Punkt, als er mir gegenüber einmal sagte, Daniel schriebe um etwas herum, aber durch die lebendigen Bilder, die er dabei benutzte, machte er die Dinge viel klarer, als wenn er direkter darüber geschrieben hätte.
Erst vor zwei Monaten ist der britische Marxist Chris Harman verstorben. Daniel Bensaids Tod beraubt den revolutionären Marxismus einer weiteren seiner stärksten und kreativsten Stimmen. Sein Einfluss wird in seinen Schriften weiterleben, in den Aufnahmen, die von seinen Reden noch vorhanden sind, und darin, wie seine Worte und sein Vorbild dazu beigetragen haben, Generationen von Aktivisten auf der Welt zu formen. Das ändert nichts an dem schmerzhaften Verlust, den sein Tod für seine Partnerin Sophie, seine Familie und Freunde und seine Genossen bedeutet. Ihnen gehört unser Mitgefühl und unsere Solidarität.