Die Bundeswehr wird ein weiteres Jahr vor der libanesischen Küste bleiben. Kurz vor diesem Bundestagsbeschluss bewies ein unabhängiger Bericht, dass im Krieg vor einem Jahr die meisten Zivilisten durch wahllose Angriffe Israels getötet wurden und nicht, weil die Hisbollah sie als „menschliche Schutzschilde“ benutzt hat.
Gegen die Stimmen der Linkspartei und einer Mehrheit der FDP-Abgeordneten beschloss der Bundestag am 12. September die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes vor der libanesischen Küste. Die Bundeswehr führt vor dem Libanon seit vergangenem Herbst den Uno-Marineverband Unifil an.
Neben Deutschland gehören dem Marineverband Griechenland, die Türkei und die Niederlande an. Die Kriegsschiffe sollen Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindern.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kommt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht zu dem Schluss, dass für die etwa 900 zivilen Opfer während des Krieges im Juli/August 2006 zwischen Israel und der Hisbollah meist wahllose Luftangriffe Israels die Ursache waren.
HRW prangert an, dass die eingesetzten Waffen aus den USA geliefert wurden. „Die US-Regierung soll den Transfer solcher Waffen sowie deren Finanzierung und unterstützende Maßnahmen zeitweise einstellen, bis das US-Außenministerium nachweisen kann, dass Israel diese Waffen nicht länger rechtswidrig einsetzt und die dieser Missachtung zugrunde liegende militärische Doktrin geändert hat."
Bomben auf Brotkäufer
Anders als von israelischen Beamten behauptet, war nicht die Verwendung „menschlicher Schutzschilde" durch die Hisbollah für die zivilen Toten verantwortlich. HRW untersuchte für den Bericht "Why they died" (Warum sie starben) mehr als 500 Fälle ziviler Opfer.
„Israel handelte rechtswidrig, indem es voraussetzte, dass sich alle Zivilisten an Israels Warnung gehalten und den südlichen Libanon verlassen hätten. Israel wusste, dass dies nicht geschehen war, und ließ somit seine Verpflichtung außer Acht, zwischen militärischen und zivilen Angriffszielen zu unterscheiden“, sagte Kenneth Roth, Direktor von HRW. „Durch Warnungen werden willkürliche Angriffe nicht rechtmäßig.“
Nach den Recherchen der Menschenrechtsorganisation genügte es, wenn Fahrzeuge bewegt wurden, Menschen sich auf den Weg machten, Brot zu kaufen, oder sich in ihren Häusern bewegten, um einen tödlichen israelischen Luftangriff mit zivilen Opfern hervorzurufen.
Israelische Kampfflugzeuge zielten außerdem auf Fahrzeuge, mit denen, wie sich später herausstellte, Zivilisten vor dem Konflikt fliehen wollten. In den meisten der im Bericht dokumentierten Fälle gibt es kein Anzeichen dafür, dass ein militärischer Stützpunkt der Hisbollah einen solchen Angriff hätte rechtfertigen können.
Keine „menschlichen Schutzschilde“
Israelische Beamte behaupten, die meisten libanesischen zivilen Opfer seien dadurch verursacht worden, dass sich die Hisbollah regelmäßig zwischen den Zivilisten versteckt und sie im Kampf als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht habe. Dies wird jedoch durch die Untersuchungen von HRW vor Ort widerlegt.
Bis auf einige Ausnahmen ergaben die Untersuchungen der Menschenrechtsorganisation, dass die Hisbollah ihre Raketen in Bunkern und Anlagen in unbewohnten Feldern oder Tälern aufbewahrte. Zudem forderten die Hisbollah-Führer ihre Kämpfer und zivilen Beamten auf, von Zivilisten bewohnte Gebiete zu verlassen, sobald die Kämpfe begannen.
Außerdem feuerte Hisbollah ihre Raketen von vorbereiteten Positionen außerhalb von Dörfern ab. Bei den meisten Luftangriffen mit zivilen Opfern, die von HRW untersucht wurden, gab es keine militärische Präsenz oder Aktivität der Hisbollah, die solch einen Angriff gerechtfertigt hätten.
Während der Untersuchungen führten Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation detaillierte Interviews mit zahlreichen Zeugen. Diese Aussagen wurden durch andere Zeugen noch einmal überprüft. Die Befragten hatten nicht miteinander gesprochen, und die Interviews waren so detailliert, dass eine Absprache unter Zeugen nur schwer möglich gewesen wäre.
HRW führte zudem Untersuchungen vor Ort an Angriffstellen aus. Dort wurde nach Anzeichen gesucht, ob Einsatzkräfte der Hisbollah anwesend gewesen waren, oder es wurden die eingesetzten Waffenarten untersucht. Jedes untersuchte Gebiet wurde von der Menschenrechtsorganisation fotografiert, forensische Beweise wurden dokumentiert und die GPS-Koordinaten aufgenommen.
Vollständiger Bericht (Englisch): http://hrw.org/reports/2007/lebanon0907/
(Jan Maas)