Unter dem Motto »Nazifrei – Dresden stellt sich quer« bereiten Dresdnerinnen und Dresdner einen Aufruf vor, sich dem Naziaufmarsch in der sächsischen Hauptstadt am 13. Februar 2010 in den Weg zu stellen. marx21.de sprach mit Christoph Ellinghaus vom Aktionsnetzwerk Jena über das Geheimnis erfolgreicher Blockaden und die befreiende Kraft des zivilen Ungehorsams.
marx21: Der Dresdener Namensaufruf beruft sich auf erfolgreiche Blockaden unter anderem in Jena. Welche praktische Erfahrungen habt ihr in Jena mit solchen Namensaufrufen gemacht?
Christoph Ellinghaus: Gute. Wir haben festgestellt, dass wir auf diese Weise sowohl Teile der Zivilgesellschaft erreichen als auch Leute, die gar nicht in politische Strukturen eingebunden sind. Wir haben damit 2007 in Jena 2000 Menschen gegen Rechts mobilisiert, so viele wie nie zuvor. Das Aktionsnetzwerk gründete sich gegen das erste rechtsextreme »Fest der Völker« 2005. Mit diesem Fest versuchen die Nazis, den alten Gedanken einer europäischen SS in Form eines Konzerts weiterzutragen. Wir haben es mit erfolgreichen Blockaden geschafft, das Nazifest 2008 aus Jena zu vertreiben. Unserem Aufruf gemäß haben wir nicht nur in Jena protestiert, sondern sind mit 500 Menschen in von der Stadt Jena gestellten Bussen den Nazis hinterhergefahren und haben auch in Altenburg mit insgesamt 2000 Menschen das Nazifest für drei Stunden blockiert. Auch in diesem Jahr in Pößneck haben wir erfolgreich nachgesetzt.
Warum habt ihr euch ursprünglich für einen Namensaufruf statt für das typische Bündnis von Parteien, Gewerkschaften und Initiativen entschieden?
Der Anspruch des Aktionsnetzwerks ist es, die Wellenbewegung des antifaschistischen Protestes zu durchbrechen. Die antifaschistische Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verläuft oft in Wellen. Die Höhepunkte hängen davon ab, ob ein Ereignis von den Medien breit aufgegriffen wird. Wir glauben, dass wir mit einem Aktionsnetzwerk, das von unten organisiert wird, davon unabhängiger sind. Das hat auch mit der Krise der politischen Repräsentanz zu tun. Wir versuchen, ein neues Netz um einen antifaschistischen Konsens herum zu bilden.
Trotz der Krise der politischen Repräsentanz bleiben Parteien und Gewerkschaften wichtige Massenorganisationen. Wie ist es Euch gelungen, so viele Menschen zu mobilisieren, ohne die großen Organisationen direkt im Boot zu haben?
Ich glaube, dass die Organisationen für lokale politische Auseinandersetzungen auf der Bühne der veröffentlichten Meinung wichtig sind. Wir lassen sie nicht außen vor, sondern binden sie mit ein. Aber die entscheidende Frage ist: Wie kommen wir an die Menschen heran, die nicht repräsentiert werden? Das ist nur durch ein klares offenes Konzept möglich. Wir sagen vorher, was wir tun. Es gibt eine öffentliche Debatte und einen breiten Prozess der Beteiligung und Entscheidung. Das Aktionsnetzwerk ist keine Black Box, sondern es ist alles nachvollziehbar. Wir bieten sogar Aktionstrainings an, denn für den Schritt zum zivilen Ungehorsam braucht man beides: breite Beteiligung und Selbstsicherheit.
Zu zivilem Ungehorsam rufen sowohl das Aktionsnetzwerk Jena als auch der Kreis in Dresden auf. Warum hältst Du es für richtig, den Nazis ihr Demonstrationsrecht zu nehmen?
Wir haben inzwischen eine lange Geschichte des Protestes gegen den wachsenden Rechtsextremismus. Sie besteht vor allem aus Festen und Kundgebungen. Wir haben erlebt, dass das nicht dazu führt, dass die Aufmärsche den Eventcharakter verlieren, den die Nazis zum Wachstum brauchen. Im Gegenteil: Ihre Aufmärsche werden durch Polizeiketten geschützt. Das muss ein Ende haben. Mit dem Mittel des zivilen Ungehorsam zeigen wir den Nazis eine Grenze auf, die ihnen sonst niemand zeigt. Nazis sind autoritäre Charaktere. Sie verkraften Niederlagen nur begrenzt. Wir sind die, die ihnen diese Niederlagen zufügen. Entscheidend dafür ist nicht der Heldenmut Einzelner, sondern die Entschlossenheit Vieler.
Warum meinst Du, dass Demonstrationen und Kundgebungen nicht ausreichen, um deutlich zu machen, dass man die Nazis und ihre Politik ablehnt?
Aus zwei Gründen: Zum einen ist Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Und dem Verbrechen sieht man nicht zu, sondern man stellt sich ihm entgegen. Zum anderen haben die Nazis auch deswegen Zulauf, weil es ihnen gelingt, über ihre Aufmärsche Erfolge zu organisieren. Viele Menschen verspüren ihre eigene Ohnmacht, wenn sie sehen, wie die Nazis marschieren. Für diese Menschen ist es ein Akt der Befreiung und der Selbstermächtigung, zu sagen: Jetzt reicht es, wir sehen nicht mehr zu, sondern wir setzen uns dem in den Weg. Gewaltfrei, aber entschlossen. In diesen Blockaden entsteht Empowerment, denn die Menschen sind nicht nur stolz, Mut gezeigt zu haben, sondern sie lernen auch, wie viele andere Menschen diesen Mut teilen.
Manche wenden dagegen ein, dass es das Problem wachsender faschistischer Strukturen nicht löse, immer nur den Naziaufmärschen hinterher zu rennen.
Selbstverständlich müssen wir auch eine Kultur der alltäglichen Aktivitäten gegen Rechts entwickeln. Aber die Höhepunkte sind mindestens genauso wichtig wie diese alltägliche Arbeit. Wir müssen beides tun. Am Umgang mit den Aufmärschen zeigen sich übrigens auch Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit. Es ist nämlich eine gewisse Bereitschaft nötig, sich mit konservativen und autoritären politischen Kräften auseinanderzusetzen, die auf den Staat setzen. Im Kampf gegen die Nazis zeigt sich exemplarisch, dass der Staat eben zu manchen Schritten nicht bereit ist. Ebenso zeigt sich, dass wir selbst für uns verantwortlich sind und nicht staatliche Institutionen. Wenn ziviler Ungehorsam dazu gehört, bleibt das konsequente Auftreten dafür auch dann nötig, wenn damit die Angst verbunden ist, dass man vielleicht seine Fördermittel verliert.
Welche Tipps würdest Du mit der Jenaer Erfahrung im Hintergrund dem noch frischen Dresdner Kreis geben?
Es ist wichtig, lokale Debatten über zivilen Ungehorsam zu führen. Bei allen Gelegenheiten, sei es im Gottesdienst, an Schulen oder in Unis. Wo auch immer man darüber redet, sollte man positive Beispiele zitieren, etwa aus Köln, Leipzig oder eben Jena. Naziaufmärsche zu verhindern ist machbar, man muss nicht tatenlos zusehen. Man sollte am Tag des Aufmarsches nicht nur auf eine gemeinsame Gegenkundgebung setzen und dann mal schauen, wie es weitergeht, sondern das Vorgehen im Vorfeld planen und transparent machen. Erfolgreiche Beispiele dafür sind die Massenblockaden gegen die Castor-Transporte im Wendland und den G8-Gipfel in Heiligendamm.
Das Gespräch führte Jan Maas.
Mehr im Internet:
- Aufruf »Nazifrei – Dresden stellt sich quer«
- Aktionsnetzwerk Jena
- Material von Die Linke.SDS
- Homepage »Nazifrei – Dresden stellt sich quer«
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