Ein »gesellschaftlicher Diskurs« zwischen LINKEN, Grünen und SPD führt nicht zu sozialen Verbesserungen. Dazu ist Bewegung von unten nötig, meint Volkhard Mosler
Beim Bundesparteitag der LINKEN in Rostock wurde mit knapper Mehrheit ein Aufruf zu einem »gesellschaftlichen Diskurs zwischen den Parteien« verabschiedet. Dort ist die Rede von »vielfältigen Diskursen (…) eines neuen Cross-over-Prozesses«. Als positive Beispiele für einen solchen Prozess werden das von Andrea Ypsilanti (SPD) ins Leben gerufene Institut Solidarische Moderne und eine von Stefan Liebich (DIE LINKE) gegründete Initiative mit dem Namen »Das Leben ist bunter als Schwarz-Gelb« bezeichnet. Diese beiden Initiativen haben zum Ziel, »eine politische Machtperspektive aufzuzeigen« (Ypsilanti) und zu diskutieren, »wie es zu gesellschaftlichen und perspektivisch auch zu parlamentarischen Mehrheiten jenseits von CDU/CSU kommen kann« (Liebich).
Allerdings hatte es bereits zwischen 1998 und 2009 solche Mehrheiten »jenseits« von Schwarz-Gelb gegeben, bis 2005 aus Sozialdemokraten und Grünen, danach unter Einschluss der neu gegründeten LINKEN. Oskar Lafontaine hatte der SPD und den Grünen mehrmals die Unterstützung und Zusammenarbeit angeboten, vorausgesetzt eine linke Regierung würde den Afghanistankrieg beenden, einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, die Rente mit 67 und Hartz IV wieder abschaffen. Dazu waren die beiden Parteien nicht bereit. Stattdessen haben sie den ersten Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung nach 1945 geführt und den Sozialstaat übel zugerichtet.
Ich gehe davon aus, dass es den Initiatoren des Cross-over-Prozesses in der LINKEN um eine Abkehr von Krieg und Sozialabbau geht. Allerdings müssen sie sich die Frage stellen lassen, woher sie den Optimismus nehmen, dass ausgerechnet eine SPD, die sich seit 1914 in allen Krisen und Aufschwüngen des Kapitalismus stets als Agentur der bürgerlichen Klassen innerhalb der Arbeiterschaft betätigt hat und die Spaltungen, Parteiausschlüsse und 1933 sogar ihre eigene Vernichtung kampflos in Kauf nahm, durch einen »Diskurs« zur Umkehr bewegt werden kann.
Sven Giegold (Grüne), Andrea Ypsilanti (SPD) und andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative sind eher Außenseiter in ihren Parteien. Gespräche und Diskurse zwischen Katja Kipping und Andrea Ypsilanti schaden nicht – sie nutzen aber auch nicht im Sinne einer »Resozialdemokratisierung« oder Linksentwicklung der SPD. Gespräche mit der Sozialdemokratie in der Opposition sind dann sogar schädlich, wenn die SPD damit Glaubwürdigkeit gewinnt, ohne beweisen zu müssen, dass sie es ernst mit sozialen Versprechungen meint.
Leo Trotzki schrieb 1931 an die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gewandt: »Parlamentarische Vereinbarungen, Wahlabkommen dienten in der Regel der Sozialdemokratie zum Vorteil.« Dagegen seien »praktische Vereinbarungen über Massenaktionen, über Kampfziele immer zum Nutzen der revolutionären Partei«. Auch wenn die LINKE sich im Gegensatz zur KPD nicht als revolutionäre Partei versteht: Sie kann kein Interesse daran haben, die Differenzen zur SPD und zu den Grünen zu verwischen, indem sie parteiübergreifende schöne Erklärungen und Memoranden verfasst. Von der »Resozialdemokratisierung« ihrer Partei reden SPD-Linke schon seit ein paar Jahren. Auch Gregor Gysi hat auf dem Rostocker Parteitag diese Forderung an die SPD herangetragen. Er unterschied dabei zwei Gruppen »in der Geschichte der Linken«: Die eine wolle »die Ungerechtigkeit innerhalb des Kapitalismus bekämpfen, aber den Grundwiderspruch (zwischen Kapital und Arbeit) nicht lösen«. Die andere Gruppe sage, »das bringt alles relativ wenig, ich muss den Grundwiderspruch lösen und strebe deshalb eine demokratische sozialistische Gesellschaft an«. Die SPD und einen Teil der LINKEN-Mitgliedschaft zählte Gysi zur ersten Gruppe, sich selbst und einen anderen Teil der LINKEN zur zweiten.
Diese Aufteilung hält einer näheren Betrachtung jedoch nicht stand. Auch die SPD bekennt sich in ihrem Berliner Programm (1989) wieder stärker zum demokratischen Sozialismus, zur Überwindung des Kapitalismus. Außerdem hat der Bruch der Sozialdemokratie mit der Reformpolitik auf dem Boden des Kapitalismus nicht unter Kanzler Schröder eingesetzt, sondern bereits mit dem Sturz Willy Brandts und seiner Ersetzung durch Helmut Schmidt. Hintergrund war der erneute Ausbruch von Wirtschaftskrisen, von denen geglaubt wurde, dass sie für immer überwunden seien. Nicht die SPD hat sich geändert – sie war und ist seit 1914 eine bürgerliche Arbeiterpartei, eine Partei im Dienste der bürgerlichen Klasse zur politischen Kontrolle der Arbeiterschaft. Von der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 zu Schröders Agenda 2010 zieht sich ein roter Faden.
Geändert hat sich der Kapitalismus, er ist von einer langen Phase des Aufschwungs nach dem zweiten Weltkrieg in eine Phase der Stagnation und Krisenhaftigkeit übergegangen. Damit haben sich die Bedingungen für eine erfolgreiche Reformpolitik verschlechtert. Die herrschenden Klassen Europas sind fest entschlossen, die Kosten der gegenwärtigen Krise auf die Mehrheit der Bevölkerung abzuwälzen.
Oskar Lafontaine hat vielleicht in die Fußstapfen Willy Brandts treten wollen, aber Gerhard Schröder hat sich 1998/99 nicht zufällig gegen ihn durchgesetzt, so wie es kein Zufall war, dass Helmut Schmidt 1974, zu Beginn der ersten großen Nachkriegskrise, Willy Brandt verdrängte. So sah sich Lafontaine gezwungen, eine neue, wirklich sozialdemokratische Partei mitzugestalten: die WASG und dann DIE LINKE. Aber auch diese wird scheitern, wenn sie nicht zu einer Partei des außerparlamentarischen Klassenkampfs wird. Erfolgreiche Reformpolitik ist unter Krisenbedingungen nur noch mit den Methoden des Klassenkampfs von unten möglich, nicht durch Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien. Denn die SPD-Führung hasst den Klassenkampf von unten, ihre ganze Daseinsberechtigung besteht darin, diesen zu verhindern.
Noch einmal zu Gysis Rede: Er sagte, es gebe »keine Chance für eine Zusammenarbeit mit der SPD auf Bundesebene, wenn sie nicht wieder ihr sozialdemokratisches Projekt aufgreift«. Das habe sie bisher nicht getan. Allerdings ist die SPD in der Vergangenheit immer in der Lage gewesen, vor Wahlen rhetorisch nach links zu rücken – ohne dass dies etwas an ihrer Regierungspolitik geändert hätte.
»Zusammenarbeit« bedeutet für Gysi Regierungskoalition. Eine solche ist in der Tat mit dieser SPD nicht ohne Verrat der LINKEN an ihren Grundsätzen machbar. Eine andere SPD als diese gibt es jedoch nicht. Gleichwohl ist es irreführend und scheinradikal, von einem »Block der neoliberalen Parteien« zu sprechen, zur der die SPD zähle und mit dem es »keine Zusammenarbeit« geben könne. Solche Töne waren im NRW-Wahlkampf vom linken Flügel unserer Partei zu hören. Die SPD hat immer noch mehr als 500.000 Mitglieder, und die Mehrheit der aktiven Gewerkschafter sieht in der SPD noch immer ihren politischen Arm. DIE LINKE muss die »Zusammenarbeit« mit der Sozialdemokratie unbedingt suchen, wenn sie Mehrheiten für eine linke Alternative gewinnen will – nicht im Parlament, sondern auf der Straße: Bei gemeinsamen Aktionen gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, für gleiche Bildungschancen und gegen Studiengebühren, gegen faschistische und rassistische Aufmärsche, gegen Sozialabbau gibt es genug Gelegenheiten für produktive Formen der Zusammenarbeit, nicht nur mit den Vorständen und Abgeordneten der SPD, sondern auch mit ihren Mitgliedern und Wählern. Solche Formen der gemeinsamen Aktivität gilt es aufzubauen.
Zum Autor:
Volkhard Mosler ist Soziologe und Mitglied im Kreisvorstand der LINKEN in Frankfurt am Main.
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