Erneute Streiks in Ägypten haben das Mubarak-Regime weiter unter Druck gesetzt. Der ägyptische Gewerkschaftsaktivist Saber Barakat und der Globalisierungskritiker Mamdouh Habashi berichteten Ende Juni auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin über »steigende Brotpreise und Arbeiterproteste in Ägypten«. Von Yaak Pabst, Online-Redakteur marx21.de
Mit den Wellen von Demonstrationen und -streiks, die Ende 2006 begannen und im April dieses Jahres ihren Höhepunkt erreichten, hat sich Ägypten verändert: »Die Arbeiterbewegung erneuert sich gerade«, sagt Gewerkschaftsaktivist Saber Barakat mit Stolz. Durch den Widerstand, der von den Betrieben ausgeht, ist das diktatorische Regime unter Staatspräsident Mubarak stark erschüttert worden. Besonders große Sorgen macht der Regierung, dass die neu erwachte Arbeiterbewegung mit ihren Forderungen nach Löhnen die zum Leben reichen, nach freier gewerkschaftlicher Organisierung und Meinungsfreiheit breite Schichten der Bevölkerung erreicht hat.
»Die Streiks in den großen Fabriken« im April haben »das ganze Land beeinflusst, sowohl die touristischen Gebiete als auch ländliche Gegenden«, berichtet Saber. Vor allem die Proteste der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Mahalla al-Kubra Anfang April sind für ganz Ägypten zum Symbol des Widerstandes gegen Mubarak geworden (marx21 berichtete). Politische und soziale Forderungen sind dabei eng miteinander verbunden.
Mubaraks Privatisierungspolitik
Mamdouh Habashi erzählt, das Ägypten seit den 70er-Jahren von einer staatlich gelenkten Wirtschaft zu einen Wirtschaftssystem umstrukturiert wird, »in dem das in- und ausländische Kapital bestimmt.« Mubarak hat diese neoliberale Umstrukturierung forciert. Seine Privatisierungspolitik hat auf Arbeiter und Arme verheerende Auswirkungen. Die Armen stellen »fast die Häfte der Bevölkerung« sagt Mamdouh. Jene, die unterhalb der Armutsgrenze leben, müssen »62 Prozent ihres Einkommens allein für Lebensmittel ausgeben.« Die ohnehin schmalen Reallöhne »waren im Jahr 2003 um 13 Prozent geringer als zu Beginn der 80er Jahre.« Seit Sommer 2004 hat die Regierung ihr neoliberales Programm beschleunigt und die damit verbundenen Privatisierungen haben zugenommen. Die realen Einkommen der Masse der Bevölkerung sind dadurch nochmals gesunken.
Auch für die Bauern war die mit Weltbank und »Internationalem Währungsfond« vereinbarte neoliberale Reformpolitik katastrophal: Zwischen 2003 und 2005 wurden viele der armen Bauern von ihrem Land vertrieben, weil sie mit Zahlungen in Verzug gerieten. Sie verloren ihren Lebensunterhalt und zogen in die Städte – auf der oft vergeblichen Suche nach neuem Auskommen.
Mittlerweile hat sich Mubaraks Privatisierungspolitik als Bumerang erwiesen. Denn außer der Angst vor der Diktatur hatten viele Ägypter nicht mehr viel zu verlieren.
Gewerkschaftliche Organisierung von unten
Seit den Protesten und Streiks, die im Dezember 2006 begonnen haben, hat sich viel verändert. Arbeiterinnen und Arbeiter organisieren sich nun unabhängig von den staatlich kontrollierten Gewerkschaften, die ihre Interessen nicht vertreten. »Von freien Gewerkschaften kann in Ägypten keine Rede sein und es dürfen auch keine unabhängigen Gewerkschaften gegründet werden«, sagt Saber. »Von den 813.000 Wirtschaftseinheiten im Land hatten im Juni 2006 nur 1809 Betriebsräte.« Deswegen sei die derzeitige Selbstorganisation in den Betrieben so bedeutend: »Die Streikbewegungen werden außerhalb der offiziellen Gewerkschaften organisiert«, erzählt er und betont: »Frauen spielen eine entscheidende Rolle in den Auseinandersetzungen.« (siehe auch: »Frauen führten die Streiks der Männer an«und »Mutiger als hundert Mann«)
Neue Medien haben bei der Organisierung und Verbreitung der Proteste geholfen: »Wir nutzen das Internet in unserem Netzwerk, um schnell Informationen einzuholen und vor allem Fotos zu veröffentlichen. Wir erfahren deshalb sehr schnell von Streiks und können Solidarität organisieren«, erzählt Saber. Ein Veranstaltungsteilnehmer ergänzt, dass es »eine Bewegung gab, die während der April-Proteste über neue Medien Solidaritätsaktionen organisiert hat. Saber bestätigt das.
Mit Hilfe des Online-Sozialnetzes Facebook, mit SMS und Blogs hatten 70.000 Jugendliche eine Kampagne mit dem Namen »Bleib zu Hause« gestartet – ein Aufruf zur Lahmlegung des öffentlichen Lebens in Kairo am 6. April. Da allerdings nur eine Minderheit der Bevölkerung Zugang zum Internet hat, stößt diese Art der Mobilisierung auch an Grenzen.
Erfolge
Die unmittelbaren Erfolge der Streikbewegung erläutert Saber am Beispiel der Streikhochburg Malhalla al-Kubra: »Dort haben die Arbeiterinnen und Arbeiter eine 30-prozentige Lohnerhöhung durchgesetzt. Auch die Zulagen für Mahlzeiten wurden erhöht. Ferner haben sie das Recht erkämpft, auch nach Renteneintritt in den Betriebswohnungen zu bleiben.« Wie sehr das Regime unter Druck geraten ist, lässt sich laut Saber auch an der Tatsache ablesen, dass die Regierung »direkt mit den Streikkomitees« verhandeln musste. »Früher hat man uns nach einem Streik für Monate ins Gefängnis geworfen. Davon haben nur unsere Kolleginnen und Kollegen im Betrieb und unsere Familien erfahren. Heute ist das anders.«
Saber ist sich sicher, dass trotz der Härte, mit der die Regierung gegen die Bewegung vorgeht, diese nicht zerschlagen werden kann. Mamdouh ist anderer Meinung: Das Regime sei in der Defensive. Aber deswegen nicht weniger gefährlich. Einig sind sich aber beide, dass die neue Arbeiterbewegung die Möglichkeit eröffnet, die Diktatur zu stürzen.
Zu den Personen:
Saber Barakat ist einer der Gründer des „Koordinierungskomittees der Arbeiter für Gewerkschaftsrechte«, das in der großen Streikwelle 2007/2008 eine wichtige Rolle gespielt hat. Mamdouh Habashi ist ägyptischer Globalisierungskritiker und Kiegsgegner.
Hintergrund:
- »Streiks sind verboten«: Paul Grasse hat für marx21 Auszüge aus einem Vortrag des Kairoer Aktivisten Saber Barakat über die Geschichte der ägyptischen Gewerkschaftsbewegung notiert.