Über 100.000 vorwiegend junge Menschen haben am 11. Februar an über 60 Orten in Deutschland gegen ACTA demonstriert. Dirk Spöri erklärt, warum
Der ACTA-Vertrag, der von allen EU-Ländern abgesegnet werden muss, ist hinter verschlossenen Türen von Regierungen und Konzernen der Unterhaltungsindustrie ausgehandelt worden. Angeblich geht es um die Interessen von Künstlern, von Musikern, von Schriftstellern.
Doch in Wahrheit sind es die Interessen der großen Musik- und Filmkonzerne wie Sony, Warner Brothers usw. Die wenigsten Künstler, die wenigsten Musiker können von ihrem Werk leben. Das liegt nicht an Raubkopien, sondern daran, dass man mit Kultur nur dann gut leben kann, wenn man das Glück hat, über Apple und iTunes oder über Sony Music vermarktet zu werden.
Auch große Stars müssen die Rechte ihrer Lieder an die Musikindustrie abgeben. Selbst berühmte Künstler wie Prince oder George Michael haben jahrelange Rechtsstreite mit diesen Unternehmen geführt. Mit ACTA sollen sogenannte Raubkopien noch härter als bisher bekämpft werden.
Blockwarte und Zensoren
Um die neuen ACTA-Gesetze durchzusetzen, sollen Internetanbieter gezwungen werden, mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Das wird in Deutschland zum Teil schon praktiziert.
Nach Verstößen sind private Anbieter verpflichtet, Internetnutzer zu sperren. Private Internetanbieter werden damit zu Blockwarten und Zensoren. Damit wird de facto ein Teil des Rechtsstaates privatisiert.
Patente dienen Konzernen
Es geht jedoch nicht nur um Kultur. ACTA soll auch Pharmakonzernen dazu dienen, ihre Patente auf Wirkstoffe noch besser zu schützen, um die Hersteller von lebensrettenden Generika hart zu bestrafen. Ähnliches gilt für Saatgut.
Ideen und Kreativität sind im Kapitalismus schon lange durch Patente geschützt. Vorgeblich dem Schutz von kleinen Erfindern und Künstlern dienend, sind Patente durch die Stärke der Rechtsabteilungen der großen Konzerne und die massive Konzentration der meisten Patente bei wenigen Unternehmen zu einem Mittel zur Durchsetzung von Marktmacht geworden. So ist der Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen wie Google, Apple und Microsoft in den vergangenen zwei Jahren zunehmend zu einem Patentkrieg geworden.
Internet macht’s einfach
Mit den Möglichkeiten des Internets sieht sich vor allem die Musik- und Filmindustrie bedroht. Plötzlich ist es sehr leicht geworden, Musik, Texte, Filme und Software zu tauschen. Für kleine Künstler haben sich damit neue Vertriebswege vorbei an den üblichen Händlerstrukturen ergeben.
Bei Software hat die Idee des »Open Source«, also offener Quellcodes, die Programme für jedermann nachvollziehbar und damit auch kopier- und erweiterbar machen, durch das Internet weit an Verbreitung gewonnen. Ganz allgemein ist der Wissensaustausch – ebenso wie der Meinungsaustausch – durch das Internet vereinfacht worden.
Kreativitätsbremse Kapitalismus
Großen Konzernen ist das ein Dorn im Auge, weil sie dadurch ihre Marktmacht bedroht sehen. Ihre Gegenstrategien: die Ausweitung von Patenten auf geistiges Eigentum, zum Beispiel in Form von Softwarepatenten, sowie immer rigorosere Forderungen nach gesetzlichen Regelungen, die das Kopieren von Daten im Internet einschränken.
Profitinteressen stehen offensichtlich über den Bedürfnissen der Menschen nach Gesundheit, nach Kultur, nach Austausch. Die Mär von der Dynamik und der unbeschränkten Entwicklung des Kapitalismus wird damit aufgedeckt. Konzerninteressen stehen nicht nur elementaren menschlichen Bedürfnissen entgegen, sondern durch Patente und Zensur auch dem Austausch und der Weiterentwicklung von Wissen.
Urheberrecht und Patente gehören abgeschafft. Künstler sollten nicht von der Unterhaltungsindustrie abhängig sein, sondern von ihrem Beruf leben können. Wissenschaft sollte nicht von Profitinteressen geleitet sein.
Soziale Bewegungen überwachen
Für die Staaten, die ACTA entworfen haben, spielt jedoch noch etwas anderes eine Rolle. Die Rolle des Internet bei sozialen Bewegungen – öffentlich wahrgenommen bei der Revolution in Ägypten – ist Staaten schon seit längerem ein Dorn im Auge. Vieles, was im ACTA-Vertrag formuliert wird, ist längst Realität. Der Überwachungsstaat hat seinen Zugriff auf die Gedanken und Tastaturen der Bevölkerung ausgebaut.
In den vergangenen Jahren wurden vor allem der 11. September und die Gefahr durch den Terrorismus beschworen. Wie wenig das gegen wirklichen Terror half, wie verlogen das war, sehen wir bei der Aufdeckung der Nazi-Terrorzelle der NSU. Tatenlos hat der Staat zugeschaut, wie zehn Morde begangen wurden. Internetüberwachung dient weder dem Kampf gegen Rechts noch dem für den Frieden, sondern sie erlaubt dem Staat, kritische Menschen und soziale Bewegungen zu bespitzeln und einfacher gegen sie vorgehen zu können.
Doch der europaweite Protest hat schon Wirkung gezeigt: Die Bundesregierung hat die Unterzeichnung verschoben. In den kommenden Wochen wird der Protest fortgesetzt, bis die Entscheidung der Bundesregierung und im europäischen Parlament anstehen.
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