Nicole Colson berichtet aus den USA über die dortige Hexenjagd auf und Schmutzkampagne gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange
Politiker der USA lechzen nach dem Blut von Julian Assange, dem Chef der Website Wikileaks. Angesichts der jüngsten Enthüllungen von Wikilieaks – diesmal handelt es sich vor allem um etwa 250.000 diplomatische Depeschen der USA, wovon etwa die Hälfte entweder als »vertraulich« oder »geheim« eingestuft ist – rufen Politiker und Kritiker nach Abschaltung der Website und fordern die mindestens die sofortige Verhaftung von Assange, wenn nicht Schlimmeres.
Die Republikaner schrien natürlich am lautesten. Der Republikaner Peter King aus New York forderte die Verhaftung von Assange wegen Spionage und fragte, ob Wikileaks als »terroristische Organisation« bezeichnet werden könne. Wenn ja, dann könnte jeder, der für Wikileaks arbeitet oder Beiträge liefert, durch die US-amerikanische Regierung strafrechtlich verfolgt werden.
Der Chef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, nannte Assange in der NBC-Sendung »Meet The Press« einen »Hightech-Terroristen« und erklärte, wenn sich herausstellen sollte, dass Assange das Gesetz durch Veröffentlichung der Depeschen nicht verletzt haben sollte, dann müsse eben das Gesetz geändert werden, damit strafrechtlich gegen Wikileaks vorgangen werden könne.
Sodann gibt es natürlich die Politiker, die meinen, Assange und alle mit Wikileaks verbundene Personen sollten umgebracht werden. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Mike Huckabee erklärte, die Person, die die Informationen an Assange weitergegeben habe, müsse wegen Hochverrats angeklagt werden und die Todesstrafe erhalten. William Kristol, Chefredakteur der konservativen Wochenzeitung »Weekly Standard« und regelmäßiger Autor für Fox News, forderte, die CIA solle den Wikileaks-Gründer »neutralisieren«.
Unterdessen verkündete die ehemalige Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, auf Facebook, dass Assange ein antiamerikanischer Geheimagent sei, der Blut an den Händen habe«.
Assange ist »genauso wenig ein Journalist wie der Herausgeber von Inspire, dem neuen englischsprachigen Magazin von al-Qaida«, erklärte Palin. »Mit der letzten Veröffentlichung hat er den Taliban über 100 afghanische Quellen verraten. Warum wurde er nicht genauso nachdrücklich verfolgt wie Al-Qaida- und Taliban-Führer?«, fragte sie.
Assange töten?
Jeffrey Kuhner von der »Washington Times« ging sogar noch weiter. In einem Artikel mit dem Titel »Assange töten?« schrieb er, dass »Julian Assange eine offensichtliche, akute Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas darstellt. Der Wikileaks-Gründer ist mehr als nur ein gewissenloser Provokateur. Er unterstützt und fördert Terroristen bei ihrem Krieg gegen Amerika. Die Regierung muss sich des Problems annehmen – wirkungsvoll und nachhaltig.« Neben dem Artikel ist ein Plakat zu sehen, auf dem Assange mit Fadenkreuz und bedeckt mit Blutspritzern dargestellt ist, darüber steht: »Gesucht! Lebend oder tot!«
Bill OʹReilly von Fox News will Assange zumindest ein Gerichtsverfahren zugestehen, an dessen Ende aber in jedem Fall die Todesstrafe stehen müsse.
Die Regierung Obama hat ihrerseits ausdrückliche Mordaufrufe gegen Assange vermieden. Aber es ist klar, dass sie ihn zumindest in den Knast bringen will, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommt.
Justizminister Eric Holder kündigte eine Untersuchung an, ob Wikileaks eine Straftat begangen habe, und warnte: »Das ist nicht nur Säbelrasseln.« Er erzählte Reportern: »Wenn wir irgendjemand finden, der am Bruch amerikanischer Gesetze beteiligt war, der das Land und die Menschen in Gefahr gebracht hat, werden wir diese Person dafür zur Verantwortung ziehen.«
Das Weiße Haus hat angeordnet, dass nur »autorisierte« Regierungsangestellte Wikileaks sehen dürfen. Das Pentagon hat angewiesen, dass Armeeangehörige die Website weder für den öffentlichen noch den persönlichen Gebrauch nutzen dürfen. Washington scheint zu glauben, dass es den durch die neuesten Veröffentlichungen von Wikileaks angerichteten Schaden begrenzen und »den Geist wieder in die Flasche« zurückdrängen kann. Außenministerin Hillary Clinton wurde auf »Schadensbegrenzungsmodus« gestellt, um die zerzausten Federn der US-Verbündeten wieder zu glätten. Gleichzeitig ist die Regierung hinter Wikileaks und Assange her, um zu verhindern, dass weitere Lecks entstehen.
Druck auf Unternehmen
Dianne Feinstein, demokratische Senatorin und Vorsitzende des Geheimdienstkomitees im Senat, verkündete, dass sie für die Überarbeitung und Erweiterung des Spionagegesetzes von 1917 sei, um Wikileaks leichter verfolgen zu können. Senator Joe Lieberman, Vorsitzender des Heimatland-Sicherheitskomitees beim Senat, war besonders aggressiv und übte Druck auf Websiteprovider der USA und andere Unternehmen aus, damit sie Wikileaks abschalten.
Amazon schloss als erstes Unternehmen die Website, angeblich kaum 24 Stunden nachdem das Unternehmen von Liebermans Personal kontaktiert wurde. Laut dem Blog »Talking Points Memo« riefen Liebermans Leute bei Amazon an und fragten den Pressesprecher, ob es »Pläne gebe, die Website zu schließen?«. Kurz darauf stellte Amazon Wikileaks wegen »nicht näher bestimmter« Verletzung der Geschäftsbedingungen des Unternehmens ein. Leslie Philips, Sprecherin von Lieberman, sagte anschließend Reportern: »Senator Lieberman hofft, dass der Fall Amazon als Botschaft an die anderen Unternehmen dient, dass die Beherbergung von Wikileaks unverantwortlich ist.«
Nachdem Amazon eingeknickt war, löschte die in Seattle ansässige Softwarefirma Tableau Grafiken von Wikileaks von ihrem Server, laut »New York Times« als »Reaktion auf Senator Joe Liebermans öffentliche Erklärung, dass Unternehmen den Whistle-Blowern keine Unterstützung gewähren sollten.« Dabei hatte es sich nur um die grafische Aufbereitung des Wikileaks-Materials gehandelt, die Zahl der Dokumente pro Land und so weiter – und über Allgemeines hinaus gab es keine Details aus den veröffentlichten Memos.
Der Domänenprovider von Wikileaks, EveryDNS, wurde durch »Überlastungs«-Angriffe gestört und der Internet-Bezahldienst Paypal hat den deutschen Spendenfonds für Wikileaks eingefroren.
Doppelzüngigkeit
Ironischerweise drängen US-Beamte auf Abschaltung von Wikilieaks, während das Establishment der USA gleichzeitig bei Regierungen wie der im Iran oder in China höchst kritisch sind, wenn diese das Internet zensieren. Die »Washington Post« meint dazu: »Autoritäre Regierungen und scharf überwachte Medien in China und im arabischen Nahen Osten haben fast jede Erwähnung der Dokumente unterdrückt, um öffentliche Unruhe zu vermeiden, die angesichts der schonungslosen Aufdeckung der Ansichten ihrer Führung entstehen könnte.«
Wenn es sich jedoch um die USA handelt, die zensieren und offizielle Geheimnisse der Öffentlichkeit vorenthalten möchten, dann scheint ein bisschen autoritäre Politik nicht so schlecht zu sein. Kaum jemand in den Medien hat US-Politiker wegen versuchter Zensur und Informationsverhinderung über die Realitäten der Kriege in Afghanistan und im Iran kritisiert, ganz zu schweigen von der hässlichen Wahrheit über die »Weltdiplomatie«.
Glenn Greenwald von Salon.com stellte fest: »Man beachte, dass Lieberman verzweifelt versucht, amerikanische Bürger – nicht Terroristen – daran zu hindern, Wikileaks-Dokumente zu lesen, die ein Licht auf das Handeln der US-Regierung werfen (…) Lieberman will buchstäblich – einseitig – diktieren, was du im Internet lesen darfst und was nicht, um zu verhindern, dass Amerikaner Zugang zu Dokumenten erhalten, die die übrige Welt frei lesen kann (…) Jeder Versuch von Politikern, den Zugang der US-Amerikaner zu dem politischen Inhalt des Internets zu blockieren, sollte ernsthaften Aufruhr erzeugen.«
Steckbrief
Abgesehen von Aufrufen diverser Medienpersönlichkeiten und Politiker zur Ermordung von Assange, wurde Assange wegen fragwürdiger Vorwürfe zur meistgesuchten Person. Interpol fahndete nach Assange mit einem »roten Steckbrief«, um ihn wegen einem angeblich in Schweden begangenen sexuellen Übergriff zu befragen, und in einer Erklärung der schwedischen Staatsanwaltschaft auf NBC News hieß es, es sei ein Haftbefehl wegen »Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung« ausgestellt worden. Ein schwedisches Gericht verweigerte Assange die Einspruchsmöglichkeit.
Die Einzelheiten der Anschuldigungen sind nach wie vor lückenhaft – nach unterschiedlichsten Berichten bleiben die erhobenen Anschuldigungen deutlich hinter einer Vergewaltigung zurück. Klar ist aber, dass der Erlass eines »roten Steckbriefs« durch Interpol weit über das Ziel hinausschießt, weil so etwas f&uC das sei alles nichts Neues. Ein großer Teil der Medien in den USA wiederholt beides je nach Bedarf bis zum Erbrechen.
Die Konzentration auf Julian Assange und die »Bedrohung«, die er angeblich darstellt, ist viel bequemer für Politiker und die Medien, als sich mit den Enthüllungen über die Verwicklung der USA in Massaker und Folter zu beschäftigen.
Glenn Greenwald schrieb dazu: »Wir haben vorgeblich eine offene Regierung, eine Demokratie, was die Regierung tut, soll öffentlich sein und darf nur aus sehr triftigen Gründen verheimlicht werden (…) Dieses Prinzip haben wir vollständig aufgegeben, wir haben es auf den Kopf gestellt. Jetzt ist alles, was die Regierung tut, vermutlich geheim; nur die hohlen Zeremonien und leeren Gesten werden öffentlich vollzogen (…) Wikileaks hat es sich zum Auftrag gemacht, diesen Missbrauch anzugreifen, und die schärften Kritiker von Wikileaks tragen – bewusst oder unbewusst – dazu bei, den Missbrauch beizubehalten.«
Wikileaks will jetzt Dokumente US-amerikanischer Großbanken veröffentlichen, heißt es. Wir können nur hoffen, dass Wikileaks den Großkonzernen ein ebenso blaues Auge verpasst wie der US-Regierung – und wir werden Wikileaks Recht darauf verteidigen.
Zum Text:
Dieses ist die leicht gekürzte Fassung des Artikels »WikiWitchhunt«, erschienen am 6. Dezember beim US-amerikanischen Online-Magazin SocialistWorker.org. Übersetzung ins Deutsche von Rosemarie Nünning.