Mit der Empfehlung des Parteivorstandes, Klaus Ernst und Werner Dreibus zur Wahl des Vorsitzenden, bzw. Geschäftsführers der LINKEN vorzuschlagen, ist eine schon länger andauernde Debatte über den Kurs der Partei wieder neu entfacht. Volkhard Mosler geht der Frage nach: Was ist eigentlich »links« an der LINKEN?
»Wer der ewigen Nachgiebigkeit und Zugeständnisse überdrüssig geworden ist, wird immer gerechte Scheu empfinden, dies verfängliche Gebiet von neuen zu betreten.« Das schrieb der Historiker und Marxist Franz Mehring über den langjährigen Reichstagsabgeordneten der Sozialdemokratie Paul Singer in der »Neuen Zeit« 1911 nach dessen Tod. Singer war ursprünglich (1862) Mitglied der bürgerlich-demokratischen Fortschrittspartei gewesen und schloss sich erst später (1869) dem Eisenacher Flügel der entstehenden Sozialdemokratie an.
Klaus Ernst lebt und hat hoffentlich noch eine glänzende Zukunft vor sich. Deshalb wäre es auch leichtsinnig, zu einem solchen endgültigen Urteil zu kommen wie Mehring über Singer. Aber der Bruch einiger Dutzend Gewerkschaftsfunktionäre im Frühjahr 2004 mit der SPD über Schröders Agenda-Politik war getrieben vom Überdruss in die »ewige Nachgiebigkeit und Zugeständnisse« der SPD unter ihrem Kanzler Gerhard Schröder.
Linkswende
In seiner Neujahrsrede rief Klaus Ernst dazu auf, das Zentrum der Partei zu stärken und er sagte auch, was er damit meinte: Im Zentrum müssten die Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitslose, Schüler und Studenten mit ihren sozialen Interessen stehen. Der Partei sei es gelungen, dieses Zentrum zu stärken und darauf beruhe ihr Erfolg. Dann zählte er noch einmal die zentralen Themen des Bundestagswahlkampfs auf und rief: Hier dürfe die LINKE nicht wackeln, hier lägen ihre Prinzipien und wenn sie diese aufgebe, dann werde die LINKE »schneller als wir die Augen aufschlagen können« ihren Einfluss wieder verlieren.
Der Bruch einer Gruppe linker Gewerkschaftsfunktionäre mit der Sozialdemokratie war eine politische Wende nach links. Wie sich bald herausstellte, handelten Ernst, Dreibus und mit ihnen einige Dutzend zählende Gewerkschafter für hunderttausende und die Gründung der WASG wurde zum Startschuss einer politischen Linkswende von Teilen der Gewerkschaftsbewegung. Auch die LINKE ist Ausdruck dieser Linkswende.
Gegenläufige Bewegung
Gleichzeitig sind wir Zeugen einer gegenläufigen Bewegung. Viele ehemaligen Kommunisten in der Partei, die sich bis zur Implosion der DDR 1989/90 ideologisch zum Marxismus bekannt hatten, wandten sich vom Marxismus ab, genauer gesagt: von dem, was sie bis dahin darunter verstanden hatten. Nur wenige putzten die verschmutzte Brille, anstatt sie zu zerschlagen.
Wir haben es also mit zwei gegenläufigen Bewegungen zu tun: Die einen bewegten sich von »rechts« nach links und die anderen von links nach »rechts«. (»Rechts« hier verstanden als relative Positionierung innerhalb der Linken). Diese gegenläufigen Kräfte bestimmen weitgehend den Charakter der LINKEN, wie sie aus der Fusion von PDS und WASG 2007 hervorgegangen ist.
Klaus Ernst hat nie besonderen Wert darauf gelegt, sich als Sozialist zu bezeichnen, er misstraut den »Sozialisten«, »Marxisten«, »Kommunisten«, weil er den Alltagsnutzen der Lehrgebäude, die diese vertreten, nicht sieht und auch kritisch hinterfragt. Wenn überhaupt, dann könnte man Klaus Ernst als »Bewegungssozialisten« bezeichnen. Sein Bruch mit der SPD und deren bürgerlichen Kurs war ein praktischer. »Hartz ist ein Verbrecher« rief er in seiner Neujahrsrede.
Aus seiner Abneigung gegen die Gesinnungssozialisten, deren Praxis häufig gar nicht so links ist, macht er keinen Hehl. Ebendies trägt ihm den Ruf eines »Rechten« ein, eines sozialdemokratischen Verwässerers des sozialistischen Charakters der LINKEN.
Tatsache ist, dass die Gruppe der ehemaligen Sozialdemokraten, zu denen auch Maurer und Lafontaine zu zählen sind, zur Zeit das gewichtigste Bollwerk gegen einen Durchmarsch der Regierungssozialisten in der Partei ist.
Ernst, Maurer und Lafontaine haben alle den Brandenburger Regierungsvertrag scharf kritisiert, aus ihrer Sicht hat die Partei hier in ihren Prinzipien »gewackelt« und viele bekennende Sozialisten, die sich stolz auf die großen Namen Liebknecht, Luxemburg und Zetkin berufen, habe keine Bedenken gegen eine Regierungsbeteiligung – selbst wenn diese gegen zentrale Prinzipien der LINKEN verstößt.
Grüne, WASG und LINKE
Die Grünen sind als Verfallsprodukt einer sich auflösenden sozialistischen Bewegung entstanden, deren Basis ein europaweiter Aufschwung von Klassenkämpfen von 1967-76 war.
Die WASG war im Gegensatz zu den Grünen der Beginn einer neuen Linksentwicklung in der Arbeiterbewegung, ausgelöst durch den Druck eines unerhörten Klassenangriffs des Kapitals.
Die LINKE ist beides: sowohl Linksentwicklung als auch nachholender Zerfall einer ehemals kommunistischen Restlinken nach rechts, die den Niedergang in die Grünen noch überlebt hatten. Eine vielleicht wichtige Ausnahme bilden eine Reihe von ehemaligen Gewerkschaftsaktivisten der DKP, die durch ihre praktische Anbindung an den Klassenkampf von unten, diesen Weg der «ideologischen Sozialdemokratisierung« nicht oder nicht so weit mitgegangen sind. Ideologische waren ehemalige SED-Mitglieder und ehemalige DKP/SEW Mitglieder nicht unterscheidbar, wohl aber in ihrem »gesellschaftlichen Sein«, das bekanntlich das Bewusstsein prägt.
Das Aufeinandertreffen der Strömung einer neu aufkeimenden Bewegungslinken und einer zerfallenden Gesinnungslinken bildet die Grundlage der Widersprüche in der Partei. Die Differenzen zwischen den beiden Lagern sind ideologisch schwer zu fassen und der Ausgang hängt nicht zuletzt von der Entwicklung der weiteren Entwicklung der realen Klassenkämpfe ab.
Klassenwiderspruch als Ausgangspunkt der Politik
Wir wollen Klaus Ernst keine Vorschusslorbeeren geben, aus manchen seiner Äußerungen und Positionen spricht nicht der Volkstribun aller Unterdrückten und Ausgebeuteten, sondern der Gewerkschaftsfunktionär des deutschen Metallfacharbeiters. So gesehen hat auch seine Ideologiekritik zwei Seiten: die unmittelbare Erfahrung des kämpferischen IG Metallsekretärs ist seine große und unverzichtbare Stärke. Ein Volkstribun aller Unterdrückten und Ausgebeuteten wie August Bebel nährte seinen Zorn auf den Kapitalismus aus den Erfahrungen aller Menschen, die unter dem Kapitalismus wirtschaftlich und politisch leiden. (Immerhin war Bebel der Verfasser einer vielgelesenen Schrift mit dem Thema »Die Frau und der Sozialismus.) Dazu bedarf es der Kombination von theoretischer Analyse und unmittelbarer Erfahrung im Klassenkampf.
Bis heute sind Klaus Ernst, Werner Dreibus und weitere ehemaligen Sozialdemokraten Vertreter einer Politik, die den Klassenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit zum Ausgangspunkt ihrer Politik machen, – mit allen Stärken und Schwächen, die der Klassenkampf in Deutschland im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in sich trug. Wir können hoffen, dass Klaus Ernst eine »gerechte Scheu empfindet«, das »verfängliche Gebiet« erneut zu betreten, das er hinter sich gelassen hat, nämlich das Gebiet der »Zugeständnisse« an die Interessen des Kapitals, gerade weil er sich von rechts nach links, von der SPD zum Klassenkampf von unten bewegt hat.
Zum Autor:
Volkhard Mosler ist Soziologe und Mitglied im Kreisvorstand der LINKEN in Frankfurt am Main.