Ein Jahr nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe in Japan erhalten Atomkonzerne Staatshilfen, während die öffentliche Hand vor der Finanzierung einer umfassenden Evakuierung zurückschreckt. Ralph T. Niemeyer berichtet von seinen Eindrücken bei den Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm
Unser Film »Hibakusha«, den wir in Fukushima und anderen Teilen Japans gedreht haben, handelt nicht nur von einer bedrückenden Bestandsaufnahme nach der Kernschmelze und den noch zu erwartenden neuen Katastrophen, sondern vor allem auch von den Menschen in Japan, die auf unterschiedliche Weise betroffen sind.
Nachrichtensendungen zeigen meist die zerstörten Gebäude, in denen sich mindestens ein Reaktor unaufhörlich in die Erde brennt und zwei weitere große Probleme verursachen. In ihnen ist es mindestens zu einer partiellen Kernschmelze gekommen. Bis heute ist unklar, ob die Druckbehälter noch intakt sind.
1331 Brennstäbe im angeknacksten Abklingbecken von Block 4 drohen bei einem weiteren Erdbeben mit unabsehbaren weiteren Problemen die Katastrophe noch weiter zu verschärfen. Und auch bei den Abklingbecken von Block 1 bis 3 ist von zumindest mechanischen Schäden an einem Teil der tausenden von Brennelementen auszugehen.
Die Stille berührt
Jenseits der dramatischen Bilder der Wasserstoffexplosionen, die jeder gesehen hat, berührt uns vor allem die Stille der teilweise gänzlich verlassenen Dörfer in der 30-km-Zone. In die 20-km-Zone kommt man eigentlich nicht hinein, aber irgendwie schaffen wir es doch und dort ist es dann wirklich still.
Fukushima Stadt ist eine einst florierende Metropole von 2 Millionen Einwohnern. Die Strahlenwerte sind hoch, höher als im südlichen Bereich der 20-km-Zone, aber evakuiert wurde bis heute nicht, denn Evakuierung bedeutet, dass die öffentliche Hand für eine neue Unterkunft, aber auch den Vermögensverlust aufkommen muss und verpflichtet ist, bei der Jobsuche zu helfen.
Evakuierung auf eigene Faust
Solch einen Schritt wägt jede Verwaltung ökonomisch sorgfältig ab. Am Stadtbild wird deutlich, dass die, die eine ökonomische Chance hatten, sich offensichtlich längst auf eigene Faust selber evakuiert haben. Viele Geschäfte sind auf Dauer geschlossen und Mietwohnungen gibt es zu Billigpreisen.
Initiativen bieten einen Informationstag für die noch verbliebenen Bürger an. Es wird über Möglichkeiten des privaten Strahlenschutzes, aber vor allem über Möglichkeiten des Umzugs, der Jobsuche und ähnliches informiert. Staatliche Stellen sucht man vergebens. Alles scheint zwar bemüht, aber auch nach 11 Monaten noch immer sehr improvisiert.
Zwei Atomkatastrophen erlebt
Wir gehen der Frage nach, wieso ausgerechnet ein Land, welches als einziges Atombombenabwürfe zu ertragen hatte, schlagartig derartig technikgläubig und bereitwillig der so genannten friedlichen Nutzung der Kernenergie zugestimmt hatte. Aufklärung in dieser Frage erfuhren wir durch einen alten Herrn, der als so genannter »Hibakusha«, also als Strahlenopfer in Folge einer Explosion, nach 20 Jahre langem Behördenkrieg anerkannt wurde. Herr Toyonaga Keisaburo ist pensionierter Oberschullehrer in Hiroshima und erklärte uns, dass die Amerikaner ausgerechnet die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki zu überzeugen suchten.
Für den 75-jährigen Toyonaga Keisaburo schließt sich ein Kreis, mit dem Anfangspunkt der so genannten friedlichen Nutzung der Kernenergie nach 1945 und einem erhofften Endpunkt in Folge der Reaktorkatastrophe von Fukushima.
Fukushima hat bei ihm wie bei vielen ein Umdenken ausgelöst. War er doch wie so viele der Mär vom »guten Atom« auf den Leim gegangen und hatte bis zum Desaster von Fukushima keine prinzipielle Kritik an der Nutzung der Atomkraft. Der Lobbyismus hatte auch bei den Opfern von Hiroshima und Nagasaki ganze Arbeit geleistet.
Neue Protestkultur entwickelt
Obwohl die Regierung und die staatstreuen Medien sich alle Mühe geben, die Probleme kleinzureden und bisweilen den Bürgern erheblich Sand in die Augen streuen, treibt es immer mehr Menschen auf die Straße. Eine Protestkultur entwickelt sich und schafft es bisweilen mehrere zehntausend Bürger zu mobilisieren.
Die Wut der Menschen über die Volksberuhigungskampagnen der Regierung und das mafiöse Netz von Politik, Medien, Konzernen und Atomlobbyismus, das in dieser Form durchaus auch in anderen Ländern vorzufinden ist, wie man anhand des Atom-Aus-Ein-Wiederausstieges in Deutschland studieren kann, wächst jedenfalls mit jeder weiteren unabhängigen Strahlenmessung.
Von Professor Hiroaki Koide, bis heute im Wissenschaftsbetrieb tätig, hören wir die Bestätigung der verheerenden Einschätzungen seiner Kollegen. Viel mehr noch, er belegt uns anhand von Graphiken, dass es keinerlei Notwendigkeit für die Atomstrom-Produktion gibt oder gab. Professor Koide arbeitet am Forschungsreaktor der Universität von Kyoto.
Finanz- und Nuklearkapitalismus
Natürlich gehen wir auch der Frage nach, wem Tepco und Kepco gehören. Ebenso wie in der Finanzwelt hängt nicht alles von ein paar bösen oder unfähigen Managern ab, sondern diese werden vorgeschickt, um das dreckige Werk als Handlanger der eigentlichen Profiteure zu vollbringen.
Im Falle von Tepco ist die Eigentümerschaft bewusst kompliziert verschachtelt, so wie es die organisierte Kriminalität halt tut, mit Offshore-Firmen und Bankkonten in Steuerparadiesen unter Palmen.
Es ist fast unmöglich, im schwarzen Loch des Finanz- und Nuklearkapitalismus zu recherchieren, aber es gibt zumindest einige konkret nachweisbare Anhaltspunkte und natürlich tauchen immer wieder altbekannte und berüchtigte Namen auf, wie die der Deutsche Bank.
Branchen-Primus Deutsche Bank
Die Deutsche Bank war schon stets einer der Hauptfinanciers für die Atom-Industrie und stellte von 2000 bis 2009, auch hier als Branchen-Primus, 7,8 Milliarden Euro bereit.
Wie man anhand der Bilanzen der verschachtelten Deutsche-Bank-Töchter entnehmen kann, unterstützte die Deutsche Bank Tepco sehr direkt mit der Platzierung von Unternehmensanleihen in Höhe von 30,6 Millionen Euro und auf indirektem Wege sogar in Milliardengrößenordnungen.
Inzwischen erhält Tepco Staatshilfe, die die Bilanzsumme des Konzerns längst übersteigt, weil die Kosten nach dem Super-Gau die Insolvenz bedeutet hätten.
Eigentümer bleiben verschont
Ähnlich wie seit geraumer Zeit in der Euro-Zone üblich, werden auch hier die Eigentümer, die jahrzehntelang exorbitante Gewinne eingefahren haben, von jeglicher Mithaftung verschont.
Es ist das übliche Bild: die Gewinne einiger weniger werden weiter privat gelassen und geschützt, während die Verluste sozialisiert werden. Die Opfer tragen ihre Entschädigung über Steuern und Staatsschulden selber.
Mehr zum Film:
Der Film »Hibakusha« wurde von Dorothée Menzner, MdB, energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, und Dokumentarfilmer und Journalist Ralph T. Niemeyer gedreht und wird als Rohfassung in Form einer Vorab-Premiere am 16.3.2012 in Wiesloch, Rhein-Neckar-Kreis, im Kulturhaus Wiesloch, Gerbersruhstr. 41 gezeigt. Eintritt frei. Beginn: 20 Uhr
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