Das neue Sparpaket für Griechenland ist durch. Uta Spöri, Gewerkschafterin aus Freiburg, steht im Kontakt mit Aktivistinnen vor Ort und berichtet über die Situation
In der Nacht von Sonntag auf Montag verabschiedete das griechische Parlament ein weiteres drastisches Sparpaket. Die Verabschiedung erfolgte in erster Linie im Auftrag der deutschen Bundesregierung, die jede weitere Hilfe daran geknüpft hatte. Wolfgang Schäuble forderte vor der Abstimmung, »bei vielen Griechen müsse noch die Einsicht wachsen, dass man etwas ändern müsse«. Damit meint er weitere brutale Einschnitte auf Kosten der Bevölkerung.
Teurer als in Deutschland
Doch nach zwei Jahren Sparpolitik ist die Situation in Griechenland schon jetzt verheerend: Senkung des Arbeitslosengelds auf knapp über 300 Euro monatlich – beschränkt auf ein Jahr, danach gar nichts mehr. Senkung der monatlichen Renten von Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, auf ähnliche Beträge.
Senkung des Mindestlohns auf knapp über 500 Euro – das sind Maßnahmen, die bereits durchgesetzt sind. Von diesen Beträgen kann in Griechenland, wo Lebensmittel im Supermarkt teurer sind als in Deutschland, niemand leben.
Jeden Tag mehr Arbeitslose
Die offiziell erfasste Arbeitslosigkeit liegt bereits jetzt bei 20 Prozent. Bei Menschen zwischen 15 und 30 Jahren sind es 48 Prozent – und es werden täglich mehr.
Zum heutigen Tag gibt es mindestens 250.000 Obdachlose in Athen. Meist Menschen, die noch bis vor kurzem Arbeit hatten und jetzt ins Nichts fallen. Die bei Schnee und Kälte, die auch in Athen herrschen, auf der Straße schlafen und sich mit vielen anderen in Suppenküchen um Essen drängen.
Griechen leben von nichts
Viele Menschen sind ohne Gesundheitsversorgung, weil sie schlichtweg nicht mehr dafür bezahlen können. Im reichen Europa leben unzählige Menschen buchstäblich von nichts.
Nicht diese Menschen haben »über ihre Verhältnisse gelebt«, wie es Bild-Zeitung und deutsche Politiker endlos wiederholen, sondern deutsche Konzerne und griechische Millionäre.
Siemens und die Telekom profitieren
Nun wurde ein weiterer Horrorkatalog beschlossen: Im öffentlichen Dienst sollen in den kommenden drei Jahren 150.000 Stellen abgebaut werden. Alle Löhne im öffentlichen Dienst werden weiter gekürzt werden, der Mindestlohn erneut gesenkt und noch mehr öffentliches Eigentum privatisiert.
Profiteur dieser Politik ist eine kleine Minderheit in Griechenland, die in den letzten Monaten viele Milliarden Euro ins Ausland geschafft hat. Aber vor allem sind es Unternehmen wie Siemens oder die Telekom, die sich bei den Privatisierungen alles unter den Nagel reißen.
Und die deutsche Rüstungsindustrie, die von irrsinnigen Militärprojekten profitiert. Westerwelle war zuletzt im Januar in Griechenland, um neue Aufträge für die deutsche Rüstungsindustrie zu vermitteln.
Massenstreiks und Proteste
Die Reaktion der griechischen Bevölkerung in den letzten Wochen waren Massenstreiks und Proteste. Vor einem Stahlwerk im Großraum Athen campen seit November dutzende Beschäftigte mit der Forderung, dass ihre Entlassung rückgängig gemacht werde.
Seit Tagen fahren keine Fähren zu den Inseln: der Hafen in Piräus ist voll mit Fähren, die sonst unterwegs sind. Zwischendurch wurde der Streik der Fährschiffe für einen Tag ausgesetzt, um mit teils doppeltem Fahrplan die Inseln mit dem Nötigsten zu versorgen.
Öffentliche Verkehrsmittel fahren nur so, dass die Streiks und Demos erreicht werden können. Einzelne Krankenhäuser werden von den Beschäftigen selbst verwaltet. All das gibt einen Eindruck davon, dass die arbeitenden Menschen wesentlich besser wissen, wie die Gesellschaft zu organisieren wäre, als die amtierende Marionettenregierung.
Theodorakis im Tränengas
In den vergangenen Tagen war fast jede und jeder auf der Straße. Am Wochenende demonstrierten erneut hunderttausend Menschen.
Direkt vor der Abstimmung fand eine große Kundgebung vor dem Parlament statt. Als der weltberühmte Komponist Mikis Theodorakis sprechen sollte, wurde er mit Tränengas beschossen. Doch die Demonstrationen gingen unvermindert weiter.
Gegen deutsches Lohndumping
Die Augen Europas sind auf Griechenland gerichtet, doch als Arbeiter und Angestellte in Deutschland können wir in den kommenden Wochen eine Hilfe für die Griechen sein. Jeder Euro Lohnerhöhung, den wir in den Tarifrunden von ver.di und IG Metall in diesem Frühjahr erkämpfen, ist eine indirekte Unterstützung für die Menschen in Griechenland.
Denn ordentliche Lohnerhöhungen hier würden das jahrelange Lohndumping in Deutschland beenden. Sie würden auch die Argumente von Merkozy untergraben, dass Kürzungen und niedrigere Löhne die einzige Antwort auf die Krise seien.
Nein zum »Rettungsschirm«
Ebenso wichtig ist es, in den nächsten Monaten gegen den nächsten »Rettungsschirm« ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) zu demonstrieren, der im Frühjahr im Bundestag zur Abstimmung steht. Denn nicht ein einziger Euro der »Griechenlandhilfe« ist bei der normalen Bevölkerung angekommen. Es geht einzig und allein um die Zahlungsfähigkeit der Banken.
Mit Aktionen am 12. Mai, einem internationalen Aktionstag, können wir auch in Deutschland unsere Solidarität mit den Menschen in Griechenland und anderen Ländern ausdrücken. Unterstützen wir die streikenden Griechen in ihrer Forderung, dass auch in Griechenland die Millionäre und nicht die Massen gezwungen werden zu zahlen.
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