Die Macht der Banken muss gebrochen oder zumindest eingeschränkt werden – darin sind sich von Occupy und Attac über DIE LINKE bis hin zu SPD und Grünen alle einig. Doch wie soll das funktionieren, fragt Stefan Bornost
Mit den Banken und anderen Großinstitutionen der Finanzwirtschaft hat sich die Occupy-Bewegung nicht den leichtesten Gegner ausgesucht. Im Oktober zeigte eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich auf, wie einflussreich die Finanzinstitute sind. Aus Daten von 37 Millionen Unternehmen schälten sie eine Supereinheit von 147 besonders mächtigen Unternehmen heraus.
Diese Supereinheit ist ein in sich geschlossenes System. Ihre Mitglieder kontrollieren sich gegenseitig, weil sie sich über ein kompliziertes Geflecht von Beteiligungen größtenteils in wechselseitigem Besitz befinden. Die Analyse zeigt zudem die große Macht der Finanzinstitute: Der Kreis der 50 mächtigsten Unternehmen ist ein fast exklusiver Club von Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen. Insgesamt sind drei Viertel der Unternehmen der Supereinheit Finanzfirmen.
Das heißt, eine kleine, ungewählte Minderheit von Superreichen und Managern verfügt über tausende Milliarden Euro. Sie entscheiden über Investitionen und über Schaffung oder Abbau von Arbeitsplätzen.
Einfach Geld abheben
Einen kreativen Vorschlag, wie mit dieser Machtballung umzugehen ist, machte der ehemalige Fussballprofi Eric Cantona, der in einem Internetaufruf »eine Revolution« forderte. Da das System auf der Macht der Banken beruhe, könne es durch die Banken zerstört werden, lautet seine Analyse. Die Revolution wäre deshalb einfach. Es genüge, dass die Kunden ihr angelegtes Erspartes zurückfordern: »Wenn 20 Millionen Leute ihr Geld abheben, bricht das System zusammen, ohne Waffen, ohne Hass, ohne Blutvergießen.«
Nun zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass es gar nicht Massenabhebungen von Bankkunden bedarf, um Finanzinstitute in die Pleite zu treiben – das bekommen die Banken durch Spekulationen mit Schrottpapieren ganz alleine hin. Die Folge war aber nicht eine Revolution und der Zusammenbruch des Systems, sondern eine massive Staatsintervention zugunsten der Banken. Die Aberbillionen, die dafür eingesetzt wurden, werden jetzt mittels Sparprogrammen von der Bevölkerung geholt. Solange der Staat also im Interesse der Banken agiert, wird Cantonas Strategie nach hinten losgehen.
Aber könnte der Staat nicht auch ganz anders handeln? Staatliches Handeln hat die Banken groß gemacht – es war der Staat, der ab Ende der 1970er Jahre schrittweise die Regulierung des Finanzsektors aufgehoben hat. Das hatte drastische Folgen, wie das Beispiel USA zeigt: Im Jahr 2010 hielten die sechs größten US-Geldinstitute ein Vermögen, das rund 63 Prozent der US-Wirtschaftsleistung entspricht. 1995 waren es lediglich 17 Prozent. Wenn der Staat die Banken von der Kette gelassen hat, dann liegt es sicherlich auch in seiner Macht, sie wieder an die Kette zu nehmen und sie auf die Rolle lokaler Kreditgeber zurechtzustutzen.
Monopol beschnitten
Tatsächlich hat es solche Einschnitte in der Geschichte des Kapitalismus schon gegeben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schockierte US-Präsident Theodore Roosevelt Großunternehmer wie J.P. Morgan, die mit ihren Konzernen zu viel Marktmacht und politischen Einfluss gewonnen hatten, mit einschneidenden Gesetzesänderungen. Ihr Monopol wurde stark beschnitten, der Wettbewerb verschärft. Das geschah aufgrund hohen öffentlichen Drucks. 1912, zehn Jahre nach diesen Reformen, war die öffentliche Meinung so weit gegen die Monopole radikalisiert, dass auch John D. Rockefellers Megakonzern Standard Oil in 34 kleinere Unternehmen aufgeteilt wurde.
In Deutschland hatte sich 1925 durch Unternehmenszusammenschlüsse das größte Chemieunternehmen der Welt gegründet: die IG Farben. Während der NS-Zeit spielte der Konzern eine zentrale Rolle bei den Kriegsanstrengungen des Regimes. 1945 wurde das Unternehmen dann vom Alliierten Kontrollrat in Einzelunternehmen wie Bayer und BASF zerschlagen.
Spekulation geht weiter
Theoretisch haben staatliche Akteure also durchaus die Möglichkeit, gegen hohe wirtschaftliche Machtkonzentrationen vorzugehen. Tatsächlich hatten viele, auch Linke, nach der Lehmann-Pleite 2008 ebenfalls erwartet, dass der Staat den mittlerweile systemgefährdend operierenden Banksektor auseinander nehmen würde. Warum sollte er auch einen Wirtschaftssektor so weiterbestehen lassen, für dessen Versagen er fortwährend gerade stehen muss? Das »Ende des Neoliberalismus« wurde ausgerufen, »die Rückkehr des Staates« gefeiert.
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Vier Jahre später hat sich diese Hoffnung zerschlagen, denn es ist nichts passiert. Nicht mal auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Höhe von 0,05 Prozent haben sich die EU-Finanzminister einigen können. Von der Enteignung oder Zerschlagung von Banken redet niemand mehr. Die Spekulation geht munter weiter und hat mittlerweile sogar Bereiche wie den Lebensmittelmarkt erfasst.. Die Folge: globalen Hungerkrisen trotz eines Überangebots an Nahrungsmitteln.
Staaten sind Schuldner
Warum ist der Staat untätig geblieben? Zum einen hat das damit zu tun, dass die Banken nicht nur Kreditgeber für Privatpersonen und Unternehmen sind, sondern auch für die Staaten. Paradoxerweise hat die Bankenrettung die Abhängigkeit des Staates von den Banken nicht gelockert, sondern verschärft. Denn die Staatsschulden sind durch die Rettung explodiert. Hauptgläubiger sind die Banken. Dadurch haben sie eine Machtposition, die zum Beispiel Standard Oil niemals hatte.
An dieser Realität werden auch Vorschläge wie die des SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel nicht vorbeikommen. Er möchte den Geschäftsbankbereich vom Investmentbanking trennen. Eine Geschäftsbank bietet Dienstleistungen für den Zahlungs-, Kredit- und Kapitalverkehr von Kleinkunden an, im Investmentbanking wird das große risiko- und profitträchtige Spekulationsrad gedreht. Warum sich die Banken von ihrer Cash-Cow trennen sollten, weil nun gerade die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das fordert, bleibt Gabriels Geheimnis. Wir sind auf der sicheren Seite, wenn wir annehmen, dass die Neuordnung der Banken im Falle einer SPD-Regierungsübernahme 2013 kein Thema mehr sein wird.
Denn die Umstrukturierung, Zerschlagung oder gar Enteignung der Banken von Seiten des Staates wirft Fragen auf, die man als treuer Verwalter des kapitalistischen Systems in Regierungsverantwortung nicht gerne hört: Wenn die Banken in öffentliche Verantwortung gebracht werden können, warum nicht andere Bereiche der Wirtschaft? Ist es ein Naturgesetz, dass die Wirtschaft demokratischer Kontrolle weitgehend entzogen ist? Wenn Wirtschaft dazu gebracht werden kann, für die Menschen zu funktionieren und nicht nur für Profit, wozu brauchen wir dann »Unternehmer«?
Vorsichtig mit Enteignungen
Es wäre nicht das erste Mal, dass staatliche Intervention gegen das Kapital das Tor für weitergehende Forderungen nach Vergesellschaftung öffnen würde. Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland machten sich die Alliierten in den westlichen Besatzungszonen an die Entflechtung der in der Hitlerschen Kriegswirtschaft entstandenen wirtschaftlichen Strukturen. Ihr Ziel war natürlich nicht der Sozialismus, sondern die Etablierung eines leistungsfähigen, aber nicht zu zentralisierten Kapitalismus im Frontstaat des heraufziehenden Kalten Krieges.
Doch die Eingriffe traten insbesondere im Ruhrgebiet eine Bewegung los, deren Forderungen mit »Großindustrie in Volkeshand« und »Enteignet die Kriegsverbrecher und Ruhrbarone« weit über die Vorstellungen der Alliierten hinausging. Die Bewegung konnte nur durch Waffengewalt gebrochen werden. Aufgrund solcher Erfahrungen, auch in anderen Ländern, sind Regierungen grundsätzlich sehr vorsichtig, was Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Kapitals angeht.
Einige wenige Regierungen sind, meist unter massiven Druck von Bewegungen, über ihren Schatten gesprungen und haben den Angriff auf das Kapital gewagt – und sich die Zähne ausgebissen. Dieses Schicksal ereilte zum Beispiel die Mitterand-Regierung Anfang der 1980er in Frankreich. Getragen von einer weit verbreiteten linken Stimmung und Mobilisierungen von unten, startete Mitterand 1981 ein ambitioniertes Reformprogramm, schuf Stellen im öffentlichen Dienst und hob Löhne und Renten an. Im folgenden Jahr verstaatlichte die Regierung 39 Banken, zwei Finanzholdings und fünf Industriekonzerne. Die Unternehmer, die Teile dieser Politik finanzieren sollten, schlugen zurück. Sie hörten auf, zu investieren, die Banken brachten ihr Geld in andere Länder. Die französische Währung wurde dreimal abgewertet. Daraufhin brach Mitterand ein. Er beendete sein Reformprogramm und machte fortan neoliberale Politik im Interesse der Großunternehmen und Banken.
Mit welcher Härte die Herrschenden ihren Besitzstand verteidigen, erlebten im September 1973 auch der chilenische Präsident Salvador Allende und seine Anhänger. Mindestens 3000 Menschen starben beim vom General Augusto Pinochet angeführten Militärputsch. Unter den Ermordeten war auch Allende selbst. Er hatte versucht, die von ausländischen, vor allem amerikanischen Konzernen kontrollierten Bodenschätze und die landwirtschaftliche Produktion zu verstaatlichen, um die chilenische Bevölkerung am Reichtum ihres Landes zu beteiligen und eine eigenständige Entwicklung zu ermöglichen.
Reale Gegenmacht aufbauen
Staatliches Handeln zur Einschränkung der Banken- und Konzernmacht stößt also an Grenzen: Entweder wollen die staatlichen Verantwortlichen nicht oder sie können nicht oder sie werden nicht gelassen. Dennoch sollten wir den Staat nicht aus der Verantwortung lassen. Trügerisch ist nur die Hoffnung, dass der Staat agiert, weil wir eine Forderung in den Raum stellen oder weil linke Parteien Mehrheiten im Parlament haben. Um sich der realen Macht der Konzerne und ihrer bewaffneten Helfer entgegenzustellen, ist eine ebenso reale Gegenmacht notwendig. Dafür ist die Occupy-Bewegung ein Kristallisationspunkt.
Aber auch ein optimistischer Aktivist kann nicht davon ausgehen, dass ein Protest von Zehn- oder auch Hunderttausenden das Räderwerk der Finanzindustrie zum Halten bringen wird. Ist der Protest deshalb fruchtlos, sollten sich die Aktivisten lieber »ein Bad nehmen und sich danach einen anständigen Job suchen«, wie der Republikaner Newt Gingrich empfahl? Nein, denn es besteht die reale Möglichkeit, den Protest weit über die Zahl derer auszuweiten, die jetzt schon involviert sind. Breite Mehrheiten unterstützen die Bewegung – Arbeiter, Arbeitslose, Rentner, Jugendliche, all diejenigen, die unter der neoliberalen Politik gelitten haben.
In Deutschland sind es zwar nicht 99 Prozent, aber immerhin 78 Prozent, die die Proteste berechtigt finden. Darunter befinden sich auch viele Mitglieder der Gewerkschaften, die große organisatorische Kapazitäten haben, um Gegenmacht auf die Straße zu bringen. In den USA ist an vielen Stellen der Brückenschlag von Occupy zur Gewerkschaftsbewegung, aber auch zur Schwarzen- und Anti-Kriegs-Bewegung gelungen. Hier steht dieser Prozess noch ganz am Anfang – es ist aber eine Einheit, um die zu kämpfen es sich lohnt.
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