Auf den Wahlbetrug in Kenia, den „gestohlenen Wahlen", folgten Proteste und Aufstände. Sie zeigen wie Unzufrieden die Mehrheit der Bevölkerung in einem angeblich „stabilen" afrikanischen Land ist. Ken Olende beleuchtet die Hintergründe des Konflikts.
Die Aufstände begannen in Kenia, nachdem der amtierende Präsident Mwai Kibaki zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember erklärt wurde. Der Oppositionsführer Raila Odinga fochte das Resultat an und warf der herrschende Partei Wahlbetrug vor. Odinga ist popular weil viele Menschen in Kenia unzufriedenheit mit der führenden Elite sind. In vielen armen Gegenden gingen Menschen aus Wut über die „gestohlenen Wahlen" auf die Straße. Die berüchtigte paramilitärische Polizeieinheit GSU (General Services Unit) eröffnete auf mehrere dieser Demonstrationen im Land das Feuer und ermordete Hunderte von Menschen. Sie sind verantwortlich für die Mehrzahl der Todesfälle in den letzten paar Wochen.
Die Demonstrationen und Aufstände waren der Aufstand der Armen für Veränderung und soziale Reformen. Obwohl die Unzufriedenheit auch schwelende ethnische Spannungen offen legte, ist es erstaunlich, dass gewöhnliche Menschen das Selbstbewusstsein hatten, eine manipulierte Wahl anzufechten. Die erste wirkliche Wahl in der neueren Geschichte wurde vor fünf Jahren abgehalten. Im Jahre 2002 jubelte das ganze Land weil Kibaki den schon ausgemachten Präsidentennachfolger Uhuru Kenyatta schlug. Kenyatta sollte das Amt des ehemaligen Diktators Daniel arap Moi, der Kenia seit 1978 beherrschte übernhemen.
Zu jener Zeit waren Kibaki und Odinga zusammen in der Nationalen Regenbogenkoalition vereinigt – eine Allianz von Parteien, die gegen das Moi-Regime mobilisierte und Veränderungen versprach. Zahid, ein Sozialist in Kenias Hauptstadt Nairobi, berichtet: „Es gab zwei gescheiterte Wahlen nach der Rückkehr zur Mehrparteiendemokratie, 1992 und 1997. Reale Veränderung kam erst im Jahre 2002. Raila Odinga war wichtig beim Versuch, den Kurs umzukehren."
Nun wird Kibaki der gleichen Art von Wahlmanipulationen angeklagt, die sein ursprünglicher Sieg hätte beenden sollen. In Parlamentswahlen, die gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen durchgeführt wurden, erlitt seine Regierung eine schwere Niederlagen. 20 Minister verloren ihre Sitze. Dann kamen Beweise von zahlreichen Wahlzettelfälschungen bei der Präsidentschaftswahl ans Licht. Internationale Beobachter beklagten sich, und Demonstranten gingen auf die Straße. Innerhalb weniger Tage distanzierten sich Mitglieder seiner eigenen Wahlkommission von den bekanntgegebenen Resultaten.
Demokratische Rechte
Zwei Entwicklungen sind beispielhaft für die Gründe der schwindenden Popularität Kibakis nach 2002. Zunächst einmal kam der Versuch, eine neue Verfassung einzuführen. Sie wurde konzipiert, um Bürgerrechte festzuschreiben und ethnische Minderheiten zu verteidigen. Jedoch fügte die Regierung im Nachhinein Klauseln hinzu, die die Macht des Präsidenten ausbauten. In der Angst, dass dies eine Rückkehr zu autoritärer Herrschaft erleichtern würde, lehnten die Wählerinnen und Wähler die abgeänderte Verfassung in einem Referendum 2005 ab. Odinga war eine führende Persönlichkeit in der „Nein"-Kampagne. Er gründete bald danach das Orange Democratic Movement (ODM). Dieses oppositionelles Bündnis wurde ein Brennpunkt der Unzufriedenheit.
Die zweite Entwicklung war die Korruption. Kibakis Regierung ernannte John Githongo zum Antikorruptionskommissar. Seine Berichte, insbesondere eine Untersuchung einer Machenschaft zum Drucken Keniascher Pässe durch die britische Firma Anglo Leasing, klagten führende Mitglieder der keniaschen Regierung just der Art von Korruption an, für deren Ausmerzung sie gewählt worden war. Dies waren keine isolierten Fälle, und als Kibakis Stern verblasste, stellte sich Odinga an die Spitze der Opposition. Seit den Wahlen im letzten Monat hat Odinga sich den „Volkspräsidenten" genannt, aber seine Partei hat den Demonstranten auf der Straße keine Führung geboten. Seine ODM ist eine lose Allianz. Sie hat nicht die Art von Graswurzelorganisation, die Demonstrationen aufrechterhalten und sich organisieren könnte, um ethnischen Übergriffen entgegenzutreten. Sie hat keine ernstzunehmenden Antworten auf die Klagen, die zu den ethnischen Kämpfen führen – chronische Arbeitslosigkeit und Mangel an Wohnungen in den Städten, sowie Landlosigkeit auf den Dörfern. Dies hat das Abgleiten in ethnische Kämpfe erst ermöglicht.
Es gibt 43 ethnische Gruppen in Kenia. Die größte sind die Kikuyu, die 22 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Andere wichtige Gruppen umfassen die Luhya, die Luo und die Kalenjin. Kibaki ist Kikuyu, Odinga ist Luo. In der Aufregung der Wahlen von 2002 war Stammeszugehörigkeit allerdings kein zentrales Thema, das hätte erklären können, warum sie gewählt wurden. Steve, ein Kenianer, der in Großbritannien lebt, erzählt: „Stammesfehden schwelten bereits für lange Zeit an Orten wie Kibera in Nairobi, dem größten Slum in Afrika, wo eine Million Menschen in totaler Armut leben. Manchmal schlugen diese in Kämpfe zwischen ethnischen Gangs wie den ‚Taliban', die Luo sind, ‚Jeshi la Mzee', Luhyas, oder ‚Mungiki', Kikuyus, um."
Die Mungiki waren zunächst mit dem Anspruch aufgetreten, den ursprünglichen Geist der Mau Mau-Revolution, die gegen die britische Kolonialherrschaft gekämpft hatte, wieder zu beleben und Rechte für die Enteigneten zu erringen. Aber sie degenerierte zu einer gewalttätigen Gang, die von Erpressung lebt, hauptsächlich mit Kikuyu-Stammesgenossen als Zielscheibe. Manche Kenianer glauben, dass hauptsächlich Kikuyus von der Tatsache profitieren, dass eine Mehrheit der kenianischen Führungseliten Kikuyu ist. Daher lässt ein Teil der Armen seine Wut über Kibakis Regime und die Korruption der Reichen an ihren in Wirklichkeit genauso armen Kikuya-Nachbarn aus.
Flüchtlingswelle
Die Vereinigten Nationen schätzen, dass 250.000 Menschen im ganzen Land während der Wahlkrise vor ethnisch motivierten Übergriffen geflohen sind. Zahid sagt, „Die Gewalt ist nicht neu. Millionen von Kenianer haben schon ethnische Unruhen mitmachen müssen, insbesondere in ländlichen Gegenden wie dem „Rift Valleyg nördlich der Hauptstadt." Mungai, der Weihnachten in der „Rift Valley" Stadt Kericho verbracht hat, erzählt: „Ich hätte es beinahe nicht geschafft, nach Nairobi zurückzukommen. Schließlich hat uns bewaffnete Polizei nachhause begleitet. Jugendliche hatten die Straße verbarrikadiert, und wir mussten Elektrosägen benutzen, um uns den Weg freizuschneiden. Ich habe gesehen, wie das Eigentum von Kikuyus und Kisii [einer anderen ethnischen Minderheit] verbrannt oder gestohlen wurde. Menschen wurden gemordet, weil sie zu diesen Gemeinschaften gehören. Es war furchtbar."
Das schlimmste Attentat war das Massaker an mehr als 30 Frauen und Kindern, die sich in einer Kirche in der Stadt Eldoret im „Rift Valley" versteckt hielten. Steve sagt, „Meine Tante ist nur Mühe dem Tod im Eldoret-Massaker entronnen. Viele Kikuyus leben nun in Gebieten, die früher einmal als anderen Stämmen gehörig gesehen wurden. Wir haben für lange Zeit vermischt gelebt und untereinander geheiratet. Es erschreckt mich, dass so viele Menschen nicht sehen können, dass Kenias wirkliche Stammestrennung zwischen Reich und Arm verläuft." Zahid sagt, „Millionen von Kenianern leben weiterhin unterhalb der Armutsgrenze. Die hohen Wachstumszahlen, über die internationale Bankiers sprechen, betreffen nur die Reichen."