Das System der DRG-Fallpauschalen ist der Brandbeschleuniger der Privatisierungswelle im Gesundheitswesen. Tobias Paul beschreibt, was eine am Markt orientierte Gesundheitspolitik angerichtet hat.
Seit vier Jahren läuft die schrittweise Umstellung der Finanzierung von Krankenhausleistungen auf eine Vergütung durch das DRG-System (DRG = Diagnosebezogene Fallgruppen). Vorher verhandelten die Krankenhausträger mit den Krankenkassen einzelnd ihr Budget aus. Auch wenn dieses bereits ein gedeckeltes Budget war, konnte auf örtliche Rahmenbedingungen ein Stück weit Rücksicht genommen werden. Jetzt sind nicht mehr die quantitative Zahl der Bettenbelegung, die so genannten Pflegesätze, Maßstab, sondern die behandelte Diagnose und die Zahl der jeweiligen Patientengruppe (Fallzahl).
Das DRG-System erweckt den Eindruck, als könnte es differenzierter, mit Blick auf die Bedürfnisse der Patienten, die einzelnen Fachgebiete steuern. Tatsächlich ist es für Patienten und Krankenhauspersonal kein Segen, sondern ein Fluch. Probleme im Gesundheitssektor gibt es schon länger. Doch dessen Kommerzialisierung macht sie schlimmer.
Die Zunahme von chronisch Kranken und der dadurch gesteigerte Arbeits- und Kostenaufwand stellte die Versorgung schon in den 1990er Jahren vor Probleme. Der Mangel an ambulanten Nachbehandlungsmöglichkeiten einerseits und die Deckelung der Budgets durch den Staat andererseits zwangen die einzelnen Krankenhausleitungen schon damals zu Strategien, um mit dem nicht ausreichend vergüteten Mehraufwand von so genannten »Langliegern« fertig zu werden. Dieses Verhalten wurde als »Abwehr von schlechten Risiken« bekannt und gipfelte darin, dass Klinikärzte nachweislich die Aufnahme von vermeintlich kostenintensiven Patienten ablehnten.
Ein zentrales Ziel der DRG ist daher die Senkung der durchschnittlichen Verweildauer der Patienten, und eine Verlagerung von der stationären zur ambulanten Versorgung. Kritiker der DRG aus den unterschiedlichsten Lagern befürchteten im Vorfeld Umsatzeinbußen der Krankenhäuser bis zu 30 Prozent, da Kosteneinsparungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Vordergrund stünden. Nach vier Jahren ist absehbar, wohin die Umstellung führt. Die Realität sieht düsterer aus als alle Prognosen.
Ist das Gesundheitswesen zu teuer?
Die gesellschaftliche Debatte über das Gesundheitswesen wird seit Jahren von der so genannten Kostendämpfungspolitik bestimmt. Insgesamt unterstellt man dem Gesundheitswesen, zu teuer zu sein. Erklärt wird das mit der Steigerung der Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung, die von 10,5 Prozent im Jahr 1975 auf wahrscheinlich 14,2 Prozent 2007 angestiegen sind. Doch tatsächlich ist der Anteil der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen am Bruttoinlandsprodukt, also an der gesamten wirtschaftlichen Leistung, konstant bei etwa 10 Prozent geblieben. In anderen Worten: Die gestiegenen Kosten haben sich parallel entwickelt zum wachsenden Reichtum im Land.
Die Ursache für die Steigerung der Kassenbeiträge liegt nicht daran, das es immer mehr alte und kranke Menschen gibt, sondern ist auf der Einnahmeseite der Krankenversicherungen zu suchen. Die seit knapp drei Jahrzehnten andauernde Massenarbeitslosigkeit, Leistungskürzungen bei der Arbeitslosenversicherung, eine fehlende Bürgerversicherung, die negative Reallohnentwicklung, und die Vernichtung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch eine politisch gewollte Ausweitung des Niedriglohnsektors haben dazu geführt, das den gesetzlichen Krankenversicherungen das Geld fehlt.
Zudem ist durch Umverteilung von unten nach oben die Belastung mit den Kosten ungerechter geworden. Das zeigt ein Vergleich: 1995 trugen die öffentlichen Haushalte 18 Prozent der Kosten, die privaten Haushalte 41,9 Prozent und die Arbeitgeber 40,1 Prozent. 2004 hingegen trugen die öffentlichen Haushalte nur noch 16,9 Prozent, die Arbeitgeber mussten mit 36 Prozent ebenfalls bedeutend weniger beisteurn. Die privaten Haushalte hingegen mussten 2004 bereits den gestiegenen Anteil von 47,1 Prozent der Kosten tragen. Der Staat zieht sich aus dem Solidarsystem zurück und Arbeitgeber werden entlastet. Arbeitnehmer hingegen müssen tiefer ins Portemonnaie greifen.
Begründet wird diese Umverteilung von der Politik und dem Arbeitgeberlager damit, dass die Lohnnebenkosten sinken müssten, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie zu sichern. Außerdem sollen dadurch angeblich Anreize geschaffen werden, dass Unternehmen wieder mehr Menschen einstellen. In der Theorie sollen über den Abbau der Arbeitslosigkeit die Kassenbeiträge stabil gehalten oder sogar abgesenkt abgesenkt werden. Die Arbeitgeber ziehen sich so immer mehr aus der Finanzierung des Gesundheitswesens zurück. Aus einem Einnahme-, wird ein Ausgabenproblem gemacht.
Wachstum ohne Wohlstand
In der Praxis allerdings ist das Ergebnis ein anderes. Zunächst ist die Arbeitslosigkeit trotz der Umverteilungspolitik gestiegen. Erst die konjunkturelle Erholung ab 2006 hat mehr Jobs gebracht. Der Wohlstand der Masse der Bevölkerung ist aber dennoch weiter gesunken, denn mindestens die Hälfte der neu entstandenen Arbeitsplätze sind schlecht bezahlte Zeitarbeitsjobs. Die Mehrwertsteuererhöhung hat dann den Rest dazu getan, dass für viele die Reallöhne weiter gesunken sind.
Zwar sind deutsche Unternehmen international tatsächlich noch konkurrenzfähiger geworden, aber das wurde auf dem Rücken der Beschäftigten erreicht. Für die Mehrheit der Bevölkerung war das Wirtschaftswachstum verbunden mit weniger Wohlstand.
Neben der Implosion der Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen gibt es aber auch Probleme auf der Ausgabenseite. Die bestehen zum Beispiel in künstlich hohen Preisen für Medikamente und Medizintechnik, mangelnder Zusammenarbeit des ambulanten und stationären Sektors, gestiegenen Kosten durch unzureichende Gesundheitsvorsorge und durch die Verschärfung der sozialen Lage.
Arme Menschen sterben früher
Steigende Armut bedeutet auch mehr Kranke. Denn die materielle Situation, Umwelteinflüsse, Bildungsstand, sowie ein optimistischer Blick in die Zukunft, beeinflussen die Entwicklung der eigenen Gesundheit enorm. Gesundheit ist sozial ungleich verteilt. Das Robert-Koch-Institut stellte fest: »Der Einfluss der Schichtzugehörigkeit auf die Gesundheit und Lebenserwartung wird durch epidemiologische Studien regelmäßig bestätigt. Die Angehörigen der unteren Sozialschichten sind vermehrt von körperlichen und psychischen Krankheiten, psychosomatischen Beschwerden, Unfallverletzungen sowie Behinderungen betroffen. Sie schätzen ihre eigene Gesundheit schlechter ein und berichten häufiger von gesundheitsbedingten Einschränkungen in der Alltagsgestaltung. Infolge dessen haben sie einen höheren Bedarf an Leistungen des medizinischen Versorgungssystems und an sozialer Absicherung im Krankheitsfall.«
Gesundheit ist zur Ware geworden
Die DRG-Fallpauschalen sind im Krankenhausbereich das wichtigste Werkzeug gewesen, um die Lohnnebenkosten zu drücken. Die Krankenhausausgaben blieben in den letzten zehn Jahren bei 3,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes konstant. So trugen diese entscheidend zur Kostendämpfung der gesetzlichen Krankenkassen bei. Der Weg, wie dieses erreicht wurde, ging angeblich mit dem Ziel einher, gleichzeitig die strukturellen Probleme lösen zu wollen. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, soll die Steuerung über den Markt dazu das Allheilmittel sein. Durch mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen würde schlechte Qualität medizinischer Leistungen verschwinden, lautet das Credo der Marktbefürworter.
Vom Patienten wird erwartet, dass er durch sein »Konsumverhalten« die Anreize setzt, dass Krankenhäuser ihre Qualität erhöhen. Aber die besondere Situation des »Krankenhauskunden« macht es für den medizinischen Laien schwer, objektiv zwischen guten oder schlechten Leistungen zu unterscheiden.
DRG-System schadet Kliniken und Personal
Für die Krankenhäuser bedeutet diese Politik, dass alle Bereiche nach Möglichkeiten durchforstet werden, Kosten einzusparen. Das geht zu Lasten von Personal und Patienten. Nur noch 38,6 Prozent der Krankenhäuser haben für 2007 ein positives Betriebsergebnis erwartet. Für 2008 rechnen 42 Prozent mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation.
Ein Drittel der Krankenhäuser hat Aufgaben an Fremdfirmen vergeben, ein Viertel hat Aufgaben in Tochterunternehmen ausgelagert. 9 Prozent haben bereits fusioniert, jede fünfte Klinik prüft eine Fusion.
17 Prozent der öffentlichen und gemeinnützigen Träger haben einen Rechtsformwechel durchgeführt oder planen diesen in den nächsten beiden Jahren. Dieser dient oft dazu, eine Privatisierung durchzuführen. 60-70 Prozent der Kosten eines Krankenhaus sind Personalkosten. Entlassungen und Umstrukturierungen werden nach Privatisierungen brutaler durchgesetzt.
19 Prozent der Krankenhäuser haben bereits einen Absenkungstarifvertrag abgeschlossen. Jede zweite Klinik hat zu wenig Personal, um das Arbeitszeitgesetz einzuhalten. Das gilt besonders für den Abbau von Überstunden und überlanger Arbeitszeiten. Tarifflucht und erhöhte Arbeitsbelastung sind Ergebnisse marktfreundlcher Gesundheitspolitik.
Auf dem Rücken der Beschäftigten, durch Lohnverzicht und Personalabbau, wird die Finanzierungslücke der Krankenhäuser verringert, obwohl dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein sollte.
Schlechtere Versorgung der Patienten
Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, warnt vor Verhältnissen wie in anderen europäischen Ländern, wo Patienten monatelang auf eine Operation warten müssen. Die Gewerkschaft ver.di schätzt, das 15.000 Menschen pro Jahr aufgrund der aktuell bestehenden Mängel sterben.
In den letzten zehn Jahren wurden rund 50.000 Pflegestellen abgebaut, und gleichzeitig eine Millionen Patienten (Fallzahlen) mehr versorgt. Die gesteigerte Produktivität durch Rationalisierung führt nachweislich zu einer schlechteren Versorgung.
30 Prozent der in einer repräsentativen Umfrage durch das »Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung« befragten Pflegedirektionen berichten, dass die Möglichkeit, eine ausreichende pflegerische Versorgung anzubieten, in den vergangenen zwei Jahren gesunken ist. Ein Drittel der Einrichtungen gibt an, operierte Patienten nicht in dem notwendigen Maße durch tägliche Übungen wieder fit für den Alltag machen zu können. Die »schweren Fälle« unter den Patienten regelmäßig zu beaufsichtigen, gelingt lediglich einem Viertel der befragten Einrichtungen. Einigen Einrichtungen gelingt es kaum, hygienische Mindeststandards einzuhalten: 14 Prozent der Befragten berichteten, ihre Patienten nicht täglich waschen zu können. In über 90 Prozent der befragten Einrichtungen kommt es vor, dass auf eine »Patientenklingel« nicht entsprechend schnell reagiert wird.
Private Konzerne profitieren
»Ein Krankenhaus muss wie eine Autofabrik funktionieren«, so formulierte Eugen Münsch, der Gründer der Rhön Klinikum AG, seine Strategie beim Umbau der Krankenhauslandschaft. Die privaten Konkurrenten sind auf diese Umgestaltung besser vorbereitet, da diese bereits jene Profitorientierung haben, die nun von den anderen Krankenhausträgern erwartet wird. Flächentarifverträge wie im öffentlichen Dienst waren für diese kein »Problem«, weil es sie nie gab.
Um am Markt zu bestehen, müssen die öffentlichen und gemeinnützigen Träger mitziehen. Selbst wenn sie (noch) nicht privatisiert sind, verhalten sie sich aber zunehmend wie ein privates Unternehmen.
Die 2002 eingeführten Fallpauschalen sind der Brandbeschleuniger der Privatisierungswelle im Gesundheitswesen. Die Bevorteilung privater Konzerne durch die Einführung von marktwirtschaftlicher Steuerung im Krankenhausbereich ist politisch gewollt und kein Versehen. Oft liefern die Schwierigkeiten, in die öffentliche und gemeinwohlorientierte Kliniken dadurch geraten sind, den Vorwand für eine Privatisierung.
Wer sicher gehen will, gut versorgt zu werden, muss sich privat versichern. Im Gesundheitswesen herrscht eine Zwei-Klassen-Medizin und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht: »Drastische Beitragserhöhungen durch die Einführung des Gesundheitsfonds ab 2009 sind die Konsequenz einer fehlgeschlagenen Gesundheitsreform«, meint der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Frank Spieth. Die Krankenkassen würden gezwungen »privatwirtschaftliche Sondertarife für Junge und Gesunde anzubieten. Die chronisch Kranken werden dafür umso stärker zur Kasse gebeten«, so Spieth.
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