Seit einem Jahr streikt die Belegschaft der Cinestar-Kinos in Osnabrück und Dortmund. Mittlerweile haben sich weitere Städte angeschlossen. DIE LINKE beginnt, ihre Forderungen gegen prekäre Beschäftigung und für Mindestlohn mit realem gewerkschaftlichen Widerstand von unten zu verbinden, berichtet Heinz Willemsen
Mit 73 Kinozentren ist Cinestar das mit Abstand größte Kinounternehmen in Deutschland. Ende 2003 hatte der australische Entertainmentkonzern AHL die kriselnde Kinokette übernommen. Zum Sanierungskurs der Australier gehörten nicht nur neue Verträge mit den Filmverleihern, sondern vor allem auch die Reduzierung der Personalkosten.
Zur Zeit erhalten neu eingestellte Servicekräfte in den meisten Kinos der Cinestar-Kette einen Stundenlohn von 6,30 Euro. Der Stundenlohn liegt damit unter dem Preis für eine große Tüte Popcorn: 6,40 Euro. Nach zwei Jahren gibt es 50 Cent mehr die Stunde. Im Kino in Hagen haben einige Beschäftigte gar eine 47,5-Stunden-Woche im Arbeitsvertrag stehen.
Der Lohn liegt nicht nur weit unterhalb des vom DGB geforderten Mindestlohns von 8,50 Euro. Er ist auch erheblich niedriger als der, den die Konkurrenz von Cinemaxx zahlt. Dabei ist dort der Lohn mit 8 bis 8,55 Euro auch nicht gerade üppig.
Popkorn 6,40 Euro – Stundenlohn 6,30 Euro
Nach einer einjährigen Tarifauseinandersetzung mit zahlreichen Streiks ist es ver.di zudem gelungen, einen neuen Tarifvertrag bei Cinemaxx durchzusetzen. Um 9,75 Prozent steigt dort der Lohn ab dem 1.1.2013, allerdings über drei Jahre verteilt.
Die Cinestar-Betreiber dagegen wehren sich mit Händen und Füßen, überhaupt mit ver.di in Verhandlungen zu treten. Die Struktur der Cinestar-Gruppe ist unübersichtlich. Es gibt eine Vielzahl von Gesellschaften. Jede betreibt mehrere Kinos.
Deshalb sieht sich ver.di gezwungen, über einzelne Haustarifverträge zu verhandeln, statt über einen Tarifvertrag für die gesamte Cinestar-Gruppe. Überall aber soll der niedrigste Stundenlohn mindestens 8,50 Euro betragen, so fordern es die Beschäftigten und ver.di.
Erst Betriebsrat – dann Streik
Die Unzufriedenheit über die schlechte Bezahlung ist schon lange groß. An vielen Standorten wie Mainz und Bamberg rang die Belegschaft zunächst einmal um die Einrichtung eines Betriebsrates.
So konnte der Betriebsrat in Bamberg bewirken, dass die Manko-Regelung abgeschafft wurde: Zuvor hatte man Verluste in den Kassen bisher aus eigener Tasche ausgleichen müssen. Auch gibt es nun einen Anspruch auf Urlaubsgeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsausfall. Das gewachsene Selbstbewusstsein der Belegschaft hat dazu beigetragen, dass sich das Arbeitsklima deutlich gebessert hat.
Im Herbst 2011 forderte ver.di schließlich die Kinos in Osnabrück und Dortmund zu Tarifverhandlungen auf. Seit dem November 2011 ist die Belegschaft in Osnabrück im Warnstreik. Am 13. Dezember schlossen sich ihnen die Dortmunder Beschäftigten an.
Gewerkschafter gewonnen
Mal wurde an drei Tagen hintereinander gestreikt, mal am Wochenende oder bei der Premiere neuer Filme, wie zuletzt beim neuen James Bond. Beide Belegschaften kommen mittlerweile auf eine erhebliche Zahl von Streiktagen. Sie sind fest entschlossen, den Streik erst zu beenden, wenn Cinestar einen Tarifvertrag mit ihnen abschließt.
Überall ist heute schon der gewerkschaftliche Organisationsgrad steil nach oben gegangen. Gab es zum Beispiel in Osnabrück letzten Oktober nur ein ver.di-Mitglied, sind heute 34 der 50 Beschäftigten bei ver.di.
Streikbrecher mit hohen Löhnen
Der Zähigkeit und dem Durchhaltewillen der beiden Belegschaften ist es zu verdanken, dass aus der kleinen Welle des Tarifkonflikts in Osnabrück seit dem Frühsommer 2012 eine kleiner Streik-Tsunami geworden ist. Mittlerweile sind 13 Kinos im Streik, denen es durchaus gelingt, dem Unternehmen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
Überall setzt Cinestar Streikbrecher ein, die nicht nur einen höheren Lohn bekommen als die normale Belegschaft, sondern auch mehr als die Gewerkschaft verlangt. Zuweilen bekommen die Streikbrecher mehr als 12 Euro, in Bamberg sogar bis zu 16 Euro die Stunde. In einigen Kinos sitzen ganze Ersatzbelegschaften als Streikbrecher in Wartestellung, um im Streikfall einzuspringen.
In Frankfurt griff Cinestar zum in der hessischen Verfassung verbotenen Mittel der Aussperrung. Dafür rücken die Streikbetriebe im Gegenzug enger zusammen. Bei Streikaktionen kommen regelmäßig Delegationen anderer Häuser um die Kollegen zu unterstützen.
Streik bekannt machen
In der lokalen wie auch in der überregionalen Presse findet der Streik bisher nur wenig Erwähnung. So stand in der Bielefelder Lokalpresse erst nach fünf Monaten Streik ein erster Artikel. Um so wichtiger ist deshalb das Bemühen, über Solidaritätsaktionen den Streik bekannt zu machen.
Auf der Kundgebung zum europäischen Generalstreik am 14. November in Bielefeld bekamen die Kollegen vom Cinestar Bielefeld, die von ihrem Kampf gegen Niedriglöhne und für einen Tarifvertrag berichteten, besonderen Applaus. In Kassel zogen am gleichen Tag 400 Demonstranten nach Abschluss der DGB-Kundgebung zum örtlichen Kino.
Solidarität vom SPD-Landesparteitag
Unterstützung haben die Streikenden aus einer Ecke erfahren, die sich jahrelang aus den unteren Lohnsegmenten völlig verabschiedet hatte: von der SPD. Auf dem Landesparteitag der rheinland-pfälzischen SPD am 13. November war auch eine Streik-Delegation aus Mainz eingeladen.
Mehr als 500 Delegierte des Landesparteitags, darunter die nahezu komplett versammelte SPD-Landtagsfraktion, erklärten per Unterschrift ihre Solidarität mit den Cinestar-Beschäftigten. Sowohl der scheidende Ministerpräsident in Mainz, Kurt Beck, als auch seine Nachfolgerin, Malu Dreyer, gaben persönliche Solidaritätserklärungen ab.
Die Mainzer SPD und die Jusos Mainz haben bereits drei Solidaritätsaktionen vor dem Mainzer Cinestar durchgeführt. Am 13. Oktober mischten die Jusos das örtliche Cinestar-Kino mit einer Flashmob-Aktion auf. Auch in Bielefeld zog der Unterbezirksvorstand der SPD am 3. November vor das Kino, um den Streikenden ihre Unterstützung anzubieten.
Unmittelbarer Nutzen
So sehr man die Heuchelei der SPD über die Existenz eines Niedrig- und Hungerlohnsektors in Deutschland beklagen kann, so hat die neue Beweglichkeit der SPD für die Streikenden doch einen unmittelbaren Nutzen. Sowohl in Mainz als auch in Bielefeld kamen sie mit ihrem Anliegen erst dann in die Lokalpresse, als die SPD ihre Solidarität bekundete.
Und langfristig ist es nur der Druck von unten, wie in der Cinestar-Streikbewegung, der die SPD nach der Wahl in Schwierigkeiten bringen kann, wenn sie von ihren vagen Versprechen eines gesetzlichen Mindestlohnes Abstand nehmen will.
DIE LINKE ist gefordert
Gefordert ist jetzt vor allem DIE LINKE. Auf seiner Sommertour hat Bernd Riexinger auch bei den Streikenden in Osnabrück Station gemacht. In Bielefeld, Gütersloh und Dortmund haben die örtlichen Gliederungen der Partei Solidaritätsresolutionen verabschiedet oder die Streikenden besucht. Doch die Partei könnte noch mehr machen.
In unseren Publikationen können wir den Kolleginnen und Kollegen Raum geben, ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Streikenden sollten auf unsere Parteiversammlungen eingeladen werden, um über ihren Kampf zu berichten etc. Nur wenn er von einer starken außerparlamentarischen Bewegung, von Streiks und Demonstrationen begleitet wird, hat der Kampf um einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn Aussicht auf Erfolg.
Mehr im Internet:
- Informationen zur Tarifbewegung bei Cinestar unter: http://www.facebook.com/CinestarTarif2012
- Konferenz »Erneuerung durch Streik«: http://www.rosalux.de/event/46538/erneuerung-durch-streik.html
Mehr auf marx21.de:
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