Ägyptens neuer Präsident stellt sich auf die Seite der syrischen Revolution und verärgert damit die iranische Regierung. Phil Marfleet analysiert die Tragweite von Mohammed Mursis außenpolitischer Positionierung
Nach seinem Wahlsieg im Juni wurde Mohammed Mursi von den westlichen Medien als islamistische Gefahr hingestellt. Religiöse Intoleranz, autoritäres Herrschaftsgebaren und antidemokratische Werte wurden ihm unterstellt. Und international würde er Ägypten in die Isolation treiben.
Nun wird er als mutiger Führer gepriesen, als Verfechter der demokratischen Wende, einer, der Ägypten zurück zu seinem wohlverdienten Platz als führenden Staat im Nahen Osten verholfen hat. Was ist geschehen?
Warnung für den Iran
Auf einem Treffen im Iran hat er neulich seine Unterstützung für den syrischen Aufstand kundgetan. Das war eine Warnung an die Adresse der iranischen Regierung, das Regime des syrischen Herrschers Bashar al-Assad nicht länger zu unterstützen.
Die US-Regierung war begeistert. Der Sprecher des Außenministeriums Patrick Ventrell begrüßte Mursis Positionierung zu Syrien als »sehr klar und sehr stark«. Vor allem erfreute ihn die Tatsache, dass er seine Botschaft in Teheran »Leuten überbrachte, die sie hören sollten«. Die USA führen seit längerem eine Boykottkampagne gegen den Iran und drohen mit weiteren Aktionen gegen das Land wegen dessen angeblichen Atomwaffenprogramms.
Taten gegen Assad
Auf einem Gipfeltreffen der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM – Non-Aligned Movement) in Teheran sagte Mursi, das Regime Assads »hätte jede Legitimität verloren«. Er fügte hinzu, Sympathiebekundungen dem syrischen Volk gegenüber reichten nicht aus, die Zeit sei gekommen, ihnen Taten folgen zu lassen.
Die syrische Delegation verließ umgehend den Konferenzraum. Iranische Führer als Sponsoren der Konferenz nahmen ihm seine Störung des feierlichen Ablaufs äußerst übel.
Beifall für Mursi
Zeitungen in Nordamerika und Europa spendeten Mursi Beifall. Der Guardian meinte, seine Rede wäre »zugleich eloquent und bohrend« und »typisch mutig«. Ein »wunderbar unvorhersehbarer Präsident« sei Mursi. Aber seine Rede kam in Wirklichkeit nicht so überraschend.
Seit Jahrzehnten hatte sich sein Vorgänger Husni Mubarak in Nahost-Fragen bedeckt gehalten. Er war vor allem bestrebt, den palästinensischen Kampf einzudämmen. Er ignorierte weitgehend die NAM, die in den 1950er Jahren von Anführern der »Dritten Welt«-Strömung, unter ihnen der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser, gegründet wurde.
Profil der Muslimbrüder schärfen
Mursi sieht sich genötigt, stärker auf dem internationalen Parkett aufzutreten. Sein Stimmenvorsprung war sehr knapp, und er hatte als Gegner nicht nur die Anhänger des Mubarak-Regimes sondern auch den radikal-nationalistischen Kandidaten Hamdin Sabahi.
Jetzt stehen Parlamentswahlen vor der Tür – angesichts einer hoch politisierten Bevölkerung, die weitergehende Veränderungen fordert. Daher will Mursi die Glaubwürdigkeit seiner Freiheits- und Gerechtigkeitspartei als parlamentarischen Arm der Muslimbruderschaft stärken, indem er sein internationales Profil schärft. Die NAM bot ihm dafür die ideale Plattform.
Signal an die Golfstaaten
Mursi will auch den Anhängern der Bruderschaft in den Golfstaaten ein Gefallen erweisen. Sie haben seit Jahren seine Organisation unterstützt und erwarten ein Dankeschön. Seine Positionierung gegen Syrien und seine Iran-Schelte treffen zwei nach Sicht der Golfherrscher unversöhnliche Feinde.
Ein führender konservativer Geistlicher Saudi-Arabiens kommentierte: »Lasst alle arabischen Führer nach Iran reisen, wenn sie nur die Wahrheit sagen, wie Präsident Mursi es tat.«
Zweifel an Mursi
Seine Rede wirft aber mehr Fragen auf als sie sie beantwortet. Er möchte als Held der ägyptischen Unabhängigkeit da stehen, als einer, der mit Mubaraks sklavischer Unterstützung der USA bricht.
In Teheran lobte er ausdrücklich die NAM und Nassers Unterstützung für die Bewegung in den 1950er Jahren als »Willensäußerung des [ägyptischen] Volks, dem Kolonialismus die Stirn zu bieten«.
Erleben wir nunmehr eine Neuauflage von Mubaraks Bündnispolitik auf Seiten der Amerikaner gegen den Iran? Manche syrische Aktivisten bezweifeln die Aufrichtigkeit von Mursis Unterstützung und fragen sich, wem er damit ein Gefallen erweisen will.
Unzählige Widersprüche
Mursi verglich das Assad-Regime mit der israelischen Besatzung Palästinas. Er bezog sich in seiner Rede auf »den Freiheitskampf des palästinensischen und syrischen Volks«.
Aber wie drückt sich seine Unterstützung für die Palästinenser aus? Trotz seiner Rhetorik und verbalen Unterstützung für die Hamas-Regierung in Gaza hat Mursis Regierung die Palästina-Politik von Mubarak mit allen Konsequenzen fortgesetzt: Anerkennung Israels, Unterdrückung der Palästinenser und Schließung der Grenze zu Gaza.
Millionen Ägypter betrachten dies als »Ägyptens Schande«. Seine Teheraner Rede weist auf die unzähligen Widersprüche seiner Agenda. Sie wird ihn lange heimsuchen.
(Zuerst erschienen in der britischen Zeitung Socialist Worker. Aus dem Englischen von David Paenson)
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