In Sachsen-Anhalt hat ein Aktionsbündnis dieses Jahr schon drei große Demonstrationen gegen ein umfangreiches Kürzungspaket der Landesregierung auf die Beine gestellt. Warum die Bewegung erfolgreich sein könnte, erklärt Anne Geschonneck, Sprecherin des Hochschulbündnis Sachsen-Anhalt – Perspektiven gestalten im marx21-Gespräch
Anne, am 12. Juni sollte es in Magdeburg die vierte Demonstration gegen die Kürzungen an den sachsen-anhaltinischen Universitäten geben. Habt ihr die Demo wegen des Hochwassers abgesagt?
Die Demonstration ist nicht abgesagt, sondern auf einen späteren Zeitpunkt im Sommer verschoben, den das Protest-Bündnis bald festlegen wird. Vor ein paar Tagen hat das Hochwasser 23.000 Magdeburger gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen. Das ist nicht der perfekte Zeitpunkt für eine politische Demonstration.
Welche Kürzungen hat die sachsen-anhaltinische Landesregierung beschlossen?
Die CDU-SPD-Regierung will bei den Hochschulen die nächsten beiden Jahre 76 Millionen Euro kürzen. Danach jedes Jahr weitere 5 Millionen.
Das klingt nach enormen Summen für ein Bundesland mit 2,3 Millionen Einwohnern.
Ja. Allein die 76 Millionen entsprechen einer Kürzung um 15 Prozent des jetzigen Budgets für Hochschulen. Und wie in ganz Europa sind auch die Studienplätze in Sachsen-Anhalt schon jetzt unterfinanziert.
Was würden die Kürzungen konkret bedeuten?
Es gibt hier zwei Universitätskliniken, in Halle und Magdeburg. Eine davon sollte komplett geschlossen werden.
Will die Regierung auch woanders streichen?
Es geht um ein Kürzungspaket in allen Bereichen: Hochschulen, Schulen, Kultur, Breitensport und anderes. Sogar beim Hochwasserschutz hat die Landesregierung Einsparpotenziale erkannt. Zumindest diese Kürzung dürfte jetzt vom Tisch gespült sein.
Warum werden in Sachsen-Anhalt solche Kürzungen geplant?
Unser kleines Bundesland ist ein Test-Ballon für den Rest Deutschlands. Wenn unsere Regierung damit durchkommt, werden nach der Bundestagswahl andere Landesregierungen folgen.
Warum denkst du das?
Die sachsen-anhaltinische Landesregierung begründen die Kürzungen mit der Schuldenbremse. Die gilt aber für den Bundeshaushalt, für alle Landeshaushalte und damit auch für alle Städte.
Magdeburg und Halle sind nur der Anfang. Nach der Wahl sind wir alle dran. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir hier möglichst viel Widerstand mobilisieren.
Klingt, als ständen uns schlimme Zeiten bevor.
Ich hoffe, es werden unruhige Zeiten. Ob sie schlimm werden, hängt von uns ab.
Wieso das?
Wir haben in Sachsen-Anhalt dieses Jahr bisher drei Demonstrationen gegen das Kürzungspaket auf die Beine gestellt: in Halle mit 4000 und 7000 Teilnehmern und im Mai in Magdeburg mit etwa 10.000.
Warum sind so viele auf die Straße gegangen?
Weil die Landesregierung eine Grenze überschritten hat. Durch die Ankündigung, eine komplette Uniklinik zu schließen, wurden die Medizin-Studierenden ein zentraler Faktor der Proteste.
Der Studiengang Medizin ist nicht gerade als Sammelpunkt für Linke bekannt.
Stimmt. Aber um eine breite Protestbewegung zu organisieren, muss man zumindest auch einige CDU-Wähler dafür gewinnen. In Sachsen-Anhalt ist uns das gelungen.
Wer ist noch an dem Bündnis beteiligt?
An unserem Aktionsbündnis beteiligen sich neben den Fachschaften auch LINKE, SDS, Grüne, Personalräte der Uniklinik, ver.di, GEW, Dozenten, Wissenschaftler, Vertreter von Theatern und andere. Das ist ein wichtiger Grund für unseren Erfolg.
Gab es in einem so breiten Bündnis keine Konflikte?
Natürlich. Beispielsweise schlug die Hallenser Medizin-Fachschaft zunächst ein Transparent vor, das den Erhalt der Uni-Klinik in Halle forderte. Nach dem Motto: Macht lieber die Magdeburger Klinik dicht. Das ist uns egal.
Wie kommt man auf so was?
Die Landesregierung hat von Anfang an versucht, uns gegeneinander auszuspielen und jeden für seinen Standort kämpfen zu lassen. Es war wichtig, das zu verhindern.
Habt ihr im Bündnis die Mediziner überstimmt?
Das war gar nicht nötig. Wir haben mit den Vertretern der Medizin-Fachschaft lange diskutiert und sie von einer solidarischen Perspektive überzeugt, statt sie zu überstimmen. Danach hielten sie es auch für besser, den Erhalt der gesamten Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt zu fordern. Ohne diese Solidarität wäre keine Bewegung entstanden.
Trotzdem habt ihr wohl geringe Chancen, die Kürzungen abzuwehren.
Nicht unbedingt. Es gibt mehr Widerstand gegen die Kürzungen, als die Landesregierung erwartet hat. Nach der Magdeburger Demonstration im Mai wurde bereits zugesagt, beide Unikliniken zu erhalten.
Ein Grund war sicher, dass hier neben Studierenden und Schülern auch Beschäftigte der Klinik und Lehrerinnen teilgenommen haben. Das gab Ministerpräsident Reiner Haseloff sicher zu denken.
Klingt nach einem großen Erfolg.
Abwarten. Noch sind die angekündigten Kürzungen um keinen Cent verringert worden. Aber der Erhalt beider Kliniken ist gar nicht möglich, wenn nicht auch die entsprechenden Kürzungen der Budgets zurückgenommen werden. Noch wissen wir nicht, wie viel wir wirklich erreicht haben.
Möglicherweise wird die Landesregierung euch ignorieren.
Vielleicht. Aber CDU und SPD sind so weit gegangen, dass ihnen die eigenen Politiker nicht mehr trauen. Zum Beispiel hat auf unserer Letzten Demonstration auch der Magdeburger SPD-Bürgermeister Lutz Trümper gesprochen und die Landesregierung scharf kritisiert.
Auch die SPD-Landtagsfraktion ist mit den Kürzungen von ihrem Finanzminister Jens Bullerjahn intern höchst unzufrieden. Wenn wir weiter gut mobilisieren, könnte die Landesregierung scheitern.
Könnte es eine solche Bewegung auch in anderen Bundesländern geben?
Natürlich. Niemand wird behaupten, den Sachsen-Anhaltinern läge der Widerstand mehr im Blut als irgendwem anders. Die Frage ist immer, über welches Problem sich genug Leute aufregen, um eine Bewegung zu starten. Sobald ähnliche Kürzungspakete in anderen Bundesländern geplant werden, wird es dort ähnliche Möglichkeiten geben wie hier.
Hat DIE LINKE im Aktionsbündnis eine gute Rolle gespielt?
Anfangs hat sie das Bündnis zu wenig unterstützt. In unserer Landtagsfraktion hatten die Kürzungen an den Hochschulen bis vor einigen Monaten nicht den Stellenwert, den sie verdient hätten.
Und jetzt?
Jetzt hat sich das glücklicherweise gebessert. Auch Wulf Gallert, sachsen-anhaltinischer Fraktionsvorsitzender der LINKEN, kommt zum Bündnis, macht nützliche Beiträge und geht mit zu den Demonstrationen. Und die Landtagsfraktion hilft dem Bündnis mit inhaltlicher Arbeit.
Du bist auch im Studierendenverband LINKE.SDS in Halle aktiv. Wie hat sich die Gruppe an den Protesten beteiligt?
Viele Mitglieder unserer SDS-Gruppe sind in dem Bündnis aktiv, zum Beispiel in den Arbeitsgruppen oder mit inhaltlicher Recherche. Die SDS-Leute mobilisieren für die Demos, hängen Plakate auf, halten Kontakt zur Landtagsfraktion der LINKEN und machen bei Flashmobs mit. Normalerweise sind bei einer Aktion des Aktionsbündnisses auch zehn Leute vom SDS dabei.
Besteht die SDS-Gruppe während der Bewegung weiter oder wart ihr nur noch Mitglieder des Aktionsbündnisses?
Es ist wichtig, dass wir uns weiter regelmäßig treffen. Erstens, weil wir inhaltliche Veranstaltungen und Lesekreise organisieren müssen. Gerade wenn eine Studierenden-Bewegung auf der Straße ist, darf unsere Theorie-Arbeit nicht einschlafen.
Und zweitens müssen wir besprechen, wie wir im Aktionsbündnis vorgehen. Das ist nicht immer ganz einfach und ein sozialistischer Studierendenverband ist schließlich dazu da, solche Probleme gemeinsam zu diskutieren und seine Genossen nicht allein zu lassen.
Was gibt es da zu besprechen?
Viele Mitglieder des Aktionsbündnisses haben noch nie Proteste organisiert, geschweige denn Demonstrationen mit 10.000 Leuten. Da kann es zum Beispiel wichtig sein, dass die SDSler sich vorher schon Gedanken gemacht haben, was im Flugblatt stehen sollte.
Kann der SDS das beeinflussen?
Sicher. Durch unseren Vorschlag richtet sich der letzte Demo-Aufruf nicht nur gegen Kürzungen, sondern fordert auch eine Vermögensteuer und die Abschaffung der Schuldenbremse zur Finanzierung der Unis. Das ist wichtig, gerade weil wir als breites Bündnis einen seriösen Eindruck machen müssen und nicht wie eine studentische Spaß-Gruppe wirken dürfen.
Besteht als LINKE.SDS-Gruppe nicht die Gefahr, eine solche Bewegung zu instrumentalisieren?
Nein. Keiner von uns behauptet, wir könnten die Kürzungen stoppen, wenn wir irgendwann DIE LINKE wählen. Und zwar, weil es nicht stimmt.
Vielmehr sind die SDS-Leute oft die Aktivposten im Aktionsbündnis. Außerdem argumentieren wir dafür, das Bündnis breit aufzustellen und jeden einzubinden, der sich gegen die Kürzungen ausspricht, auch wenn er bei anderen Themen nicht unsere Meinung teilt.
Wurden die SDS-Leute niemals kritisiert?
Einmal behaupteten rechte Fachschaften, das Aktionsbündnis sei durch den SDS von Linksradikalen dominiert und deshalb nicht legitim. Aber die Gewerkschafter haben uns verteidigt und unsere Mitarbeit für notwendig erklärt.
In Sachsen-Anhalt gibt es vorerst nur das Thema Hochwasser. Werden sich die Leute überhaupt noch für die Probleme der Studierenden interessieren?
Bestimmt. Viele Studierende haben beim Sichern der Deiche oder bei Aufräumarbeiten mitgeholfen. Und oft waren es Studierende, die per Internet zusätzliche Helfer organisiert und an bestimmten Orten eingeteilt haben.
Wird man sich daran nächste Woche noch erinnern?
Wer mal durch sein Haus waten musste, erinnert sich auch, wer beim Abpumpen geholfen hat. Die ältere Generation hat jetzt gesehen, dass die jungen Leute mit Facebook nicht nur Quatsch machen, sondern Helfer zu kritischen Punkten am Deich bringen können.
Wer kann schon wollen, dass den Helden von Halle nächsten Monat die Uni kaputtgekürzt wird?
(Das Interview führte Hans Krause.)
Zur Person:
Anne Geschonneck ist Sprecherin des Hochschulbündnis Sachsen-Anhalt – Perspektiven gestalten, Mitglied des Bundesvorstands des LINKE.SDS sowie Unterstützerin von marx21.
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