In Mali geht es nicht um Menschen, sondern um Profite und Einfluss, argumentiert Werner Ruf
Frankreich entdeckt in Mali die Menschenrechte als Kriegsgrund. Dabei sollte nicht vergessen werden, welch brutales und menschenverachtendes System »Françafrique« darstellt, jenes Geflecht aus Korruption, Ämterschacher, Kriminalität bis hin zum Mord, das seit der formalen Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien Frankreichs in Westafrika die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht gestaltet.
In dieses System gehören die Ermordung des Staatschefs von Burkina Faso Thomas Sankara ebenso wie die (auch militärische) Unterstützung von Omar Bongo in Gabun oder Idriss Déby in Tschad bis hin zum kriminellen Waffenhandel (Angolagate) des ehemaligen französischen Innenministers Charles Pasqua, der allerdings inzwischen von einem französischen Gericht freigesprochen wurde.
Beschönigung des Kolonialismus
Um Menschenrechte geht es Frankreich nicht in Afrika. Erst Ex-Präsident Nicolas Sarkozy hat ein Gesetz durchbringen lassen, das Lehrern vorschrieb, stärker auf die angeblich ruhmreichen zivilisatorischen Leistungen Frankreichs in den Kolonien, vor allem in Nordafrika einzugehen.
Gemeint ist hier natürlich in erster Linie der Algerienkrieg, in dessen Verlauf die Folter systematisiert war und Hunderttausende ermordet wurden. In seinen Wahlkämpfen hat Sarkozy immer wieder versucht, die französische Rechte, vor allem die Pieds noirs, die ehemaligen Siedler in Algerien, mit kolonial-nostalgischen Parolen zu mobilisieren.
Aufbauhilfe für Krieg und Terror
Der derzeitige Präsident Hollande erklärte bei seinem Amtsantritt als Präsident der französischen Republik, das System der »Françafrique« werde endgültig abgeschafft. Doch das tatsächliche Verhalten des neuen Präsidenten und die Intervention in Mali widersprechen diesen Ankündigungen diametral.
Dass die Zerstörung der Staatlichkeit Libyens den Kriegsparteien in Mali erhebliche Handlungsspielräume und Zugang zu riesigen Mengen teils hochmoderner Waffen eröffnete, ist eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass die großen Mächte in dieser Region schon seit langem bewaffnete Gruppen aufbauten oder sich dienstbar machten.
Kriegsparteien aufgebaut
Eine der Kriegsparteien in Mali, das Mouvement National pour la Libération de l’Awazad (MNLA) war bereits zu Zeiten Sarkozys von den französischen Geheimdiensten aufgebaut worden.Im Gegensatz zu seinem programmatischen Namen, will das MNLA nicht die Unabhängigkeit des Gebiets der Tuareg erkämpfen,die verstreut über Algerien, Libyen, Niger, Mali und Burkina Faso leben.
Eher scheint es, dass ihr Erscheinen wesentlich dazu diente, die Notwendigkeit der »Stabilisierung« Malis zu rechtfertigen. Wohl deshalb störte anfangs auch nicht die Allianz zwischen MNLA und der dschihadistischen Gruppe Ansar ed-Din, die nicht nur zu den französischen, sondern auch zu den deutschen Diensten seit langem beste Beziehungen unterhält.
Belmokhtar und die AQIM
Daneben operiert im Sahel seit Beginn des Jahrtausends eine Gruppe, die aus den algerischen Groupes Islamiques Armées (GIA) stammt, die während des algerischen Bürgerkriegs im Rahmen der Counter-Insurgency-Strategie des algerischen Militärs die Zivilbevölkerung terrorisierten. 2005 gab sich die Truppe den Furcht erregenden Namen Al Qaeda im Islamischen Maghreb (AQIM).
Sie gilt nach wie vor als eine an der langen Leine des algerischen Geheimdiensts geführte Organisation, die über erhebliche Finanzmittel verfügt. Unter Verweis auf die Existenz von AQIM – und der Notwendigkeit ihrer Bekämpfung – gelingt es Algerien, im Sahel als wichtige »Ordnungsmacht« aufzutreten.
Die Bande kontrolliert den gigantischen Drogenhandel, der von Kolumbien über die westafrikanische Küste durch die Sahara nach Europa führt. Sie erpresst von Migranten, die von Schwarzafrika ans Mittelmeer wollen, erhebliche Schutzgelder. Nicht zuletzt kassiert sie umfangreiche Lösegelder von entführten Touristen, Diplomaten, Technikern, Entwicklungshelfern.
Auswärtige Interessen
Im Vorfeld der Krise um Mali hat sich von AQIM die Gruppe MUJAO (Mouvement pour l’Unité et le Jihad en Afrique de l’Ouest) abgespalten – unter Führung von Mokhtar Belmokhtar, früher Chef von AQIM und Agent des algerischen militärischen Sicherheitsdienstes DRS. MUJAO wird inzwischen unterstützt vom westlichen Bündnispartner Qatar.
Politisches Chaos und Anarchie im Sahel machen diesen Raum zum Austragungsgebiet verdeckt gehaltener Interessen, Die dort agierenden Gruppen sind letztlich Vorfeldorganisationen auswärtiger Interessen, wobei Saudi-Arabien und Qatar durchaus unterstellt werden kann, dass die Ausbreitung des religiösen Fanatismus auch das Ziel verfolgt, ein Mitspracherecht bei der Kontrolle der energetischen Ressourcen zu erhalten.
Krieg ist keine Lösung
Wer immer sich auch nur eine Karte des Sahel anschaut, weiß, dass dieser riesige Raum militärisch nicht zu kontrollieren ist. Die Probleme der Region sind sozialer Natur: Durch Klimawandel und Dürrekatastrophen vernichtete Herden der Viehzüchter, Hunger, epidemische Krankheiten, Analphabetismus bis zu 80 Prozent und gigantische Umweltverseuchung (vor allem durch den Uran-Abbau in Niger).
Dieses Elend fördert den Zulauf junger perspektivloser Männer zu den verschiedenen bewaffneten und finanziell gut ausgestatteten Banden. Ihre Kenntnis des Terrains macht sie zu willkommenen Akteuren ausländischer Interessen. Dass Frankreich sich für eine imperialistische Aktion entschieden hat, dürfte den unmittelbaren Interessen französischer Konzerne an der Aufrechterhaltung des Systems der »Françafrique« geschuldet sein.
Um den Islam geht es nicht
Im Namen der Religion ausgeübte Brutalitäten sind nicht der Grund für die Intervention Frankreichs, sondern Interessen. Schon unmittelbar nach der Entführung von 32 deutschen, schweizerischen und österreichischen Touristen im Jahre 2003 hatten die USA die geostrategische Relevanz des Sahel entdeckt, gemeinsame Manöver mit den Staaten der Region begonnen und im Jahr 2007 das African Command (kurz Africom) mit dem Ziel der Terrorbekämpfung gegründet.
Zugleich erklärten sie, ihre Importe von Öl aus dem Schwarzen Kontinent von damals 13 auf 25 Prozent im Jahre 2013 steigern zu wollen. Während sich die USA trotz ihrer militärischen Präsenz ostentativ zurück halten, scheint nun Frankreich das Terrorismus-Argument zu nutzen, um zentrale Ressourcen, vor allem die Uran-Minen, unter Kontrolle zu behalten.
Konkurrenz zwischen Großmächten
In der Zwischenzeit wurden in Mauretanien, Mali, Tschad weitere wichtige Öl- und Gasvorkommen entdeckt. Noch wichtiger sind die Uranvorkommen in der Region: Drittgrößter Uranproduzent der Welt ist das Mali benachbarte Niger, auch in Mali soll es Uran geben und Phosphat, das für die Welt-Düngemittel-Produktion immer wichtiger wird. Auf die Ausbeutung des nigrischen Urans hat die halbstaatliche französische Firma Areva, die sich als größten Atomanlagenbauer weltweit bezeichnet, (bisher) ein Monopol.
Doch schürft inzwischen auch China in diesem Land Uran. Qatar, das bis vor kurzem gemeinsam mit Iran und Venezuela treibende Kraft für die Bildung einer Art Gas-OPEC war, versucht nun über MUJAO in die Auseinandersetzung um die Kontrolle der saharischen Ressourcen einzusteigen.
Der Beginn eines langen, blutigen Krieges
Der französische Verteidigungsminister mag vollmundig davon sprechen, der Krieg in Mali befinde sich nun in seiner »langen Endphase« – es sieht mehr danach aus, als ob hier gerade der Beginn eines langen Krieges eingeleitet worden wäre, der die gesamte Region weiter destabilisieren dürfte: Frankreich scheint aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, auch nur diesen Krieg noch lange führen zu können, und die benachbarten Staaten dürften erst Recht zum Ziel der hoch mobilen Banden werden.
Die schon präsenten Mächte werden angereizt, ihre jeweiligen Interessen mit noch größerem Engagement zu sichern. Die USA bauen – nicht zufällig – in Niger eine Basis auf, um von dort aus Drohnen zu starten. Algerien sieht seine (Sicherheits-)Interessen in der Region gefährdet, sollte der Krieg auf die Vernichtung von AQIM gerichtet sein. In Gefahr gerät auch der Bau bzw. die Kontrolle der gigantischen Erdgaspipeline aus den Küstengebieten Nigerias an die algerische Mittelmeerküste, die von der algerischen Sonatrach, der elftgrößten Erdölgesellschaft der Welt, und der russischen Gazprom gebaut wird.
Dieser Krieg wird keine Befriedung bringen, er könnte eher zur Initialzündung eines langen und blutigen Konflikts werden, an dem sich auch Frankreichs wichtigster Partner, die EU zunehmend beteiligen wird. Sie liefert bereits jetzt den Rahmen für die deutsche militärische Beteiligung, die zweitgrößte in der EU nach Frankreich. Die »Armee im Einsatz« muss schließlich ihrem neuen Auftrag gerecht werden.
Zur Person:
Werner Ruf, bis 2003 Professor an der Universität Kassel, ist Politologe und Friedensforscher.
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