Leo Trotzki erkannte als einer der ersten die mörderischen Absichten der Nazis und plädierte vehement für eine gemeinsame Gegenwehr der Arbeiterbewegung. Die Argumente aus seinen Schriften können auch 80 Jahre später unter veränderten Bedingungen noch nützlich sein, meint Nikolas Koch.
Ein äußerst aufmerksamer Beobachter des Aufstiegs der Nazis war der russische Revolutionär Leo Trotzki. Er hielt sich, verfolgt von Stalins Geheimdiensten, mit seiner Familie im Exil auf der türkischen Insel Prinkipo auf. Trotz dieser widrigen Umstände sammelte er alle verfügbaren Informationen über die Situation in Deutschland. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky staunte damals über den Kenntnisreichtum seiner Schriften: »Und Trotzki, der prachtvolle Sachen schreibt… Neulich ein ›Porträt des Nationalsozialismus‹, das ist wirklich eine Meisterleistung. Da stand alles, aber auch alles drin. Unbegreiflich, wie das einer schreiben kann, der nicht in Deutschland lebt.«
Seine ganze Hoffnung legte Trotzki auf die starke Arbeiterbewegung der Weimarer Republik. In zahlreichen Briefen, Artikeln und Broschüren versuchte er daher, auf die Politik der Arbeiterparteien SPD und KPD Einfluss zu nehmen. Kurz nach der Wahl 1930 warnte er: »Der Faschismus ist in Deutschland zu einer wirklichen Gefahr geworden; er ist Ausdruck der akuten Ausweglosigkeit des bürgerlichen Regimes, der konservativen Rolle der Sozialdemokratie und der akkumulierten Schwäche der Kommunistischen Partei im Kampf gegen dieses Regime. Wer das leugnet, ist blind oder ein Schwätzer.«
Trotzki analysierte den Faschismus als eigenständige Massenbewegung des Kleinbürgertums und der verarmten proletarischen Schichten, die jedoch auf die Unterstützung des Großbürgertums angewiesen sei, um die Macht zu erlangen. Mit der Polarisierung in der Krise wachse trotz Widerwillen dessen Bereitschaft, auf den Terror der Nazis zu setzen, um die Arbeiterbewegung zu bekämpfen und zu zerschlagen. »Die untergehende Bourgeoisie ist unfähig, sich mit den Methoden und Mitteln des von ihr selbst geschaffenen parlamentarischen Staates an der Macht zu halten. Sie braucht den Faschismus als Waffe der Selbstverteidigung, zumindest in den kritischsten Augenblicken.« Trotzki betonte an anderer Stelle, welche Folge diese Allianz haben werde: »Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten.« Dieser Gefahr müssten sich alle Arbeiterorganisationen stellen.
Die Situation der Linken war jedoch für ihn alles andere als verheißungsvoll. Zwar gewannen auch die Kommunisten Stimmen und Mitglieder hinzu, erkannten aber nicht genügend die Bedrohung durch Hitlers Bewegung. Die KPD sah vielmehr die SPD als »Hauptgegner«, weil diese nach der Novemberrevolution von 1918 und in den Koalitionsregierungen der Folgejahre die revolutionären Bewegungen bekämpft hatte. Im Prinzip seien die Sozialdemokraten noch schlimmer als die Nazis, sie seien »Sozialfaschisten«, lautete mitunter der absurde Vorwurf der Parteiführung.
Die SPD wiederum betrachtete die zentralistische, von Moskau abhängige kommunistische Partei gleichsam nicht als Bündnispartner, auch wenn viele Mitglieder beider Parteien ein gemeinsames Vorgehen wünschten. Sie verstand sich vielmehr als Stütze der Weimarer Verfassung, die durch Angriffe von rechts (NSDAP) und links (KPD) gleichsam in Gefahr sei. Aber durch ihre Tolerierung der Kürzungspolitik in der Krise und der rechten Präsidialkabinette ab 1930 trug sie ebenfalls zu deren Ende bei.
Trotzki betonte dagegen vor allem die Gefährdungen für die gesamte Demokratie. Grundlage einer Zusammenarbeit müsse die Erkenntnis sein, dass der Faschismus, wenn er an die Macht gelange, unterschiedslos die Organisationen der Linken terrorisieren werde. Der gemeinsame Kampf diene deshalb in erster Linie der Verteidigung bereits errungener Positionen: »Es geht unmittelbar um das Schicksal seiner politischen Organisationen, seiner Gewerkschaften, seiner Zeitungen und Druckereien, seiner Heime, Bibliotheken usw. Der kommunistische Arbeiter muss zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: ›Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute Nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?‹ Das ist die Quintessenz der Politik der jetzigen Periode.«
Auch wenn Trotzki die bedingungslose Zusammenarbeit im Kampf gegen die Nazis einforderte, trat er nicht dafür ein, die politischen Unterschiede zu verschweigen. Seine Hoffnung war vielmehr, dass sich im gemeinsamen Vorgehen erweise, dass sich die Kommunisten am entschlossensten gegen den Faschismus stellen würden. Die sozialdemokratische Basis könne nur so nach und nach von der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung überzeugt werden. Mache die KPD jedoch den Bruch mit der sozialdemokratischen Reformstrategie und der Parteispitze zur Bedingung für den gemeinsamen Kampf, so scheitere jede Gegenwehr und den Nazis wäre das Feld überlassen.
In der Praxis gelang die Einheit von KPD und SPD nur in wenigen Fällen auf regionaler Ebene. Die überstrapazierte Betonung ihrer Unterschiede hatte die Parteien blind für die akute Gefahr von Rechts gemacht. Es gab zwar kleinere Gruppierungen zwischen den großen Parteien, die sich für eine Einheitsfront stark machten und auch auf Trotzkis Argumente zurückgriffen, sie konnten jedoch kaum Wirkung entfalten.
Die Gefahr einer faschistischen Massenbewegung ist heute keinesfalls so akut ist wie in der Krise von 1929. Auch das Kapital gewährt den heutigen Nazis bislang nur sehr vereinzelt Unterstützung. Dennoch sind Trotzkis strategische Vorschläge im Kampf gegen Rechts durchaus aktuell. Denn auch die Stärke der revolutionären Linken ist deutlich zurückgegangen, die Arbeiterbewegung ist in eine Vielzahl kleinerer Organisationen und sozialer Bewegungen zergliedert, die sich nur bedingt als Einheit verstehen. Umso mehr ist der erfolgreiche Kampf gegen ausländerfeindliche, antiislamische und antisemitische Tendenzen von breiten Bündnisinitiativen abhängig, die sich entschlossen den Nazis in den Weg stellen. In der gemeinsamen Bewegung ist aber dennoch nötig, sich inhaltlich intensiv auseinander zu setzen und auch über die Hintergründe und Ursachen des Erstarkens der Nazis zu streiten.
Trotzkis Analysen zur sozialen Basis des Faschismus und zu seiner Funktion in der kapitalistischen Krise können dabei eine gute Grundlage sein, um auch die Unterschiede zwischen der Situation damals und heute zu analysieren.
Info:
Trotzkis Texte über den Nationalsozialismus hat Helmuth Dahmer in den 1970er Jahren unter dem Titel »Schriften über Deutschland« herausgegeben (Europäische Verlagsanstalt 1971). Eine Auswahl findet sich in dem Band »Porträt des Nationalsozialismus« (Mehring 1999).
Zum Autor:
Nikolas Koch ist Historiker.