Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst Berlins fordern nach Jahren des Lohnverzichts mehr Geld. Mit Warnstreiks und Protesten wollen sie die Blockadehaltung des Senates brechen. Mehrere LINKE-Gliederungen solidarisieren sich mit ihnen.
Unter dem Motto „Wir lassen uns nicht ausquetschen wie Zitronen« haben gestern 700 Personalräte der Berliner Landesverwaltung gegen die harte Haltung des SPD-LINKE-Senates im Tarifstreit im öffentlichen Dienst protestiert.
Wütend sind die Kolleginnen und Kollegen vor allem, weil der Senat nach Wochen immer noch kein verhandlungsfähiges Angebot vorgelegt hat.
Seit 2003 sind die realen Einkommen im öffentlichen Dienst Berlins zwischen 14 und 18 Prozent gesunken. Die untersten Einkommensgruppen sind laut der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di „mittlerweile auf Hartz-IV-Niveau.«
Landesbedienstete sollen weiter verzichten
Daran ist vor allem der Senat schuld, der vor vier Jahren aus dem Arbeitgeberverband „Tarifgemeinschaft deutscher Länder« ausgetreten ist, um Kürzungen durchzusetzen. Das ist ihm auch gelungen: Seit Mitte 2003 gilt im öffentlichen Dienst Berlins ein Sondertarifvertrag mit einer Kürzung der Löhne und Gehälter um 8 bis 12 Prozent bei entsprechend reduzierter Arbeitszeit. Damit sind Berlins Landesbedienstete abgekoppelt von der Einkommensentwicklung in anderen Bundesländern.
Bisher bleibt die Landesregierung dabei, das Bundestarifrecht nicht zu übernehmen. Weiterhin sollen die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst zur Kasse gebeten werden, um die Schulden Berlins abzutragen.
Daran ändert auch ein kürzlich unterbreiteter Vorschlag der LINKEN-Fraktionsvorsitzenden Carola Blums nichts. Er läuft lediglich auf etwas weniger Verzicht hinaus.
ver.di weist hingegen darauf hin, dass nicht die Arbeitnehmer die Stadt „ruiniert« haben, sondern „Bankenskandal, Fehlinvestitionen und unsinnige Umstrukturierungsmaßnahmen.«
Sie hätten durch den Einkommensverzicht seit 2003 „riesige Kosten gespart.« Nun müsse es endlich wieder mehr Geld geben.
Forderungen der Gewerkschaften sind berechtigt
Die Forderung ist berechtigt, denn „die Einnahmen Berlins haben sich wesentlich verbessert«, sagte Holger Dehring auf der gestrigen Protestkundgebung gegenüber marx21. Holger ist Leiter des Referats für Tarif- und Beamtenpolitik der Bildungsgewerkschaft GEW Berlin.
Ein Kollege meint: „Nach dem Bankenskandal ist ja für die reichen Fondsinhaber auch Geld da gewesen.“
Der verharmlosend auch als „Solidarpakt« bezeichnete Sondertarifvertrag macht sich zum Beispiel bei den Lehrern äußerst negativ bemerkbar. „Diejenigen, die flexibel sind, gehen in andere Bundesländer«, erklärt Holger Dehring, „denn in Berlin werden sie nur als nicht-verbeamtete, angestellte Lehrer eingestellt – und das auch nur befristet. In der Vergütungsgruppe 2a zum Beispiel verdient ein Lehrer etwa 1600 Euro netto.«
Rot-Rot als Vorreiter für Lohnverzicht
Zudem habe das Ausscheren aus der bundesweiten Tarifentwicklung auch Auswirkungen auf andere Bereiche. Andere Träger und Einrichtungen würden Lohneinsparungen damit rechtfertigen, „dass ja auch das Land Berlin nicht mehr zahle«, so Dehring.
Hessens Ministerpräsident Koch (CDU) fährt einen ähnlichen Kurs wie Rot-Rot: Ein Jahr nach Berlins Austritt aus dem Arbeitgeberverband, kündigte auch Hessen die Mitgliedschaft, um in der Tarifpolitik freie Hand zu haben. Koch geht allerdings noch weiter: Er plant, Löhne und Gehälter gesetzlich zu diktieren, um das Streikrecht auszuhebeln (siehe Kommentar).
LINKE-Gliederungen auf Seiten der Protestierenden
Während die Linksfraktion im Senat sich gegen die Forderungen der Gewerkschaften stellt, haben sich Teile der LINKEN in Berlin mit den Arbeitnehmern solidarisiert.
Mitglieder der LINKEN-Landesarbeitgemeinschaft „Betrieb und Gewerkschaft« verteilten an die Protestierenden Flugblätter. Darin heißt es: „Wir solidarisieren uns mit Eurem Protest und stehen auch bei einem möglichen Streik an Eurer Seite.« Die Senatoren der LINKEN werden aufgefordert, die „Forderungen der Gewerkschaftzen zu unterstützen«.
Auch die LINKE-Bezirksverbände Neukölln, Spandau, Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf haben Solidaritätserklärungen verabschiedet.
Wie der Kampf Landesbediensteten weiter gehen soll, ist noch nicht entschieden. „Ich denke, dass wir mit weiteren Warnstreiks ein verhandlungsfähiges Angebot des Senates erzwingen müssen«, meint Holger Dehring.
(Frank Eßers)
Hintergrund: (anklicken zum Öffnen)
{slide=Stichwort: Bankenskandal} Die Gründung der Bankgesellschaft war eine Initiative des Berliner Senats 1994 (damals regierten CDU und SPD). Er wollte aus verschiedenen kleinen Banken und Sparkassen einen international konkurrenzfähigen Finanzkonzern machen.
Tochtergesellschaften der Bankgesellschaft boten Politikern und Reichen Immobilienfonds mit unüblich sicheren Garantien an. Obwohl die Immobilien Verluste einbrachten, kassierten die Anleger ab, während der Senat begann Bäder, Jugend- und Sozialeinrichtungen zu schließen.
Im April 2002 beschloss das Abgeordnetenhaus die Risikoabschirmung: Berlin haftet für eventuelle Verluste der Berliner Bankgesellschaft bis zu einer Höhe von 21,6 Milliarden Euro. Das heißt: Arbeitnehmer und Arme zahlen und verzichten für die Gewinne einiger tausend Anleger. In diesem Jahr ist der Landesanteil an der ehemaligen Bankgesellschaft verkauft worden.{/slide}{slide=Was die Gewerkschaften fordern:} -> Einkommenserhöhungen von bis zu 2,9 Prozent ab nächstem Jahr
-> Eine Einmalzahlung von 3 X 300 Euro. Denn andere Bundesländer, Städte und Gemeinden haben 2005, 2006, 2007 Einmalbeträge in dieser Höhe gezahlt
-> Übernahme der bundesweiten Tarifverträge für Berlin
-> Übertragung der Tarifergebnisse auf die Beamtenbesoldung
-> Chancen für junge Menschen durch Ausbildung und Übernahme im öffentlichen Dienst{/slide}