Rot-rot-grün in NRW ist rechnerisch möglich. Wie sollte die LINKE sich verhalten? Von Nils Böhlke (DIE LINKE Düsseldorf) und Michael Bruns (DIE LINKE Lippstadt)
Die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass die Krise auf ihren Rücken abgewälzt wird – das ist das Signal der NRW-Wahl. Schwarz-Gelb ist der große Verlierer – die CDU verlor rund eine Million Stimmen, die FDP blieb weit hinter ihrem Bundestagswahlergebnis. Die SPD-Führung sagt „Wir sind wieder da". Das ist angesichts der Zahlen mutig – die SPD hat im Vergleich zu 2005 noch einmal 380.000 Stimmen verloren und damit das schlechteste Ergebnis in NRW jemals. Massiv dazu gewonnen haben die Grünen, die als einzige Partei Nichtwähler mobilisieren konnte.DIE LINKE ist mit 5,6 Prozent im Landtag – das ist angesichts noch im Aufbau befindlichen Parteistrukturen und der heftigen Gegenkampagne von Presse und Parteien ein Erfolg. Überproportional stark ist die LINKE mit 15 Prozent bei Arbeitslosen und 9 Prozent bei Arbeitern. Rot-rot-grün ist rechnerisch möglich.Viele Wählerinnen und Wähler der LINKEN versprechen sich von einem derartigen Bündnis konkrete Verbesserungen ihrer Lebensumstände. Jetzt stellt sich die Frage, wie die LINKE mit der gegebenen Konstellation umgeht. Dazu ist ein Blick auf die Rahmenbedingungen hilfreich.
Finanzspielräume
Die LINKE hat im Wahlkampf betont, dass es mit ihr keinen Sozialabbau, keinen Personalabbau und keine Privatisierung geben wird. Sie ist für eine realen Politikwechsel eingetreten. Dazu gehört die Macht der Energiekonzerne einzuschränken und die Öffentliche Daseinsvorsorge im Rahmen eines Zukunftsinvestitionsprogrammes (ZIP) auszubauen. Das kostet Geld! Einen Politikwechsel gibt es nicht zum Nulltarif. SPD und Grüne konzentrieren sich vorrangig auf „richtige Reformen, die aber nichts kosten", wie die Hauptschule abzuschaffen und Schulformen zusammenzulegen. Auch DIE LINKE will „längeres gemeinsamen Lernen", möchte aber gleichzeitig auch die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer erhöhen.
Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) kennen die Kassenlage bei Land und Kommunen. Das Land NRW ist mit 125 Milliarden Euro verschuldet. Die CDU/FDP-Landesregierung kürzte den Städten und Gemeinden in NRW in den letzten Jahren vier Milliarden Euro. Sie strich Krankenhausinvestitionen, Schülerbeförderungsmittel und in der Weiterbildung. Auch Aufgabenverlagerungen – wie bei der Versorgungs- und Umweltverwaltung – verschlechterten die kommunale Finanzlage. Nur 10 Prozent der Mitgliedskommunen im Städte- und Gemeindebund NRW (StGB) hatten im Jahr 2009 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt. 90 Prozent der Kommunen sind chronisch unterfinanziert. An diesen Gegebenheiten hat die Wahl nichts geändert – nicht ein Cent mehr ist durch die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in die Kasse gespült worden. Vielmehr verschärft die Wirtschaftskrise die Finanzlage von Bund und Ländern durch massive Steuerausfälle weiter. Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben ergeben, dass im Jahr 2010 weitere 14 Mrd. Mehrbelastungen durch Steuerausfälle auf Bund, Länder und Kommunen zukommen werden. Hinzu kommt, dass die WestLB, die NRW-Bank und der Pensionsfonds des Landes 2 Mrd. Euro in Griechenland-Anleihen angelegt hat. Bereits jetzt sind von den 900 Mio. Euro, die davon die WestLB gekauft hatte, 800 Mio. in die neu gegründete „Bad Bank" der WestLB ausgelagert, weil es sich dabei offensichtlich um „toxische" – sprich: wertlose – Papiere handelt. Tatsache ist: Ohne einen Zugriff auf die Stellschrauben der Finanzpolitik auf Bundesebene wird ein Politikwechsel, wie ihn die LINKE fordert, nicht finanzierbar sein. Diese Schrauben werden erst gedreht werden, wenn es große soziale Kämpfe gibt. Die nächste NRW-Landesregierung egal welcher Farbe steht vor der Wahl, entweder weiter Schulden aufzunehmen oder ein massives Kürzungsprogramm zu fahren. Die SPD hat aber die Schuldenbremse im Jahr 2009 mitbeschlossen und ist bis heute fest entschlossen, diese Schuldenbremse einzuhalten.SPD und Grüne haben signalisiert, dass sie innerhalb dieser Rahmenbedingungen eine Regierung bilden wollen – was unweigerlich bedeutet, Kürzungen auf Landes- und kommunaler Ebene zu exekutieren. Wenn die LINKE sich daran beteiligt, bricht sie eines ihrer zentralen Wahlversprechen, keinen Sozialabbau mit zu tragen. Das wäre fatal, denn das nur knappe Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde hat auch gezeigt, dass die Mehrheit der Menschen in NRW noch nicht glaubt, dass DIE LINKE „Anders als die anderen Parteien" ist. Es ist ein Warnsignal für die weitere Entwicklung der Partei, dass 20.000 Wähler, die im Jahr 2005 noch WASG oder PDS wählten, ins Lager der Nichtwähler wechselten. Es ist die Aufgabe der LINKEN diesen Menschen eine progressive Alternative aufzuzeigen.
Politische Mindestbedingungen an SPD und Grünen
Klarheit über die finanziellen Rahmenbedingungen und Klarheit über die Gefahr, zu in rotgrünen Sozialabbau eingebunden zu zu werden – das ist die Basis, von der aus das Herangehen an SPD und Grüne diskutiert werden kann. Die LINKE muss bereit sein, Hannelore Kraft und ein rot-grünes Kabinett ohne jede politische Vorbedingungen zu wählen – ansonsten stünde die LINKE als Verhinderer eines möglichen Politikwechsels da. Aber wir müssen zugleich heute die Grenzen für eine solche Unterstützung ziehen. Zu einer Regierung gehört auch ein Haushalt, hier muss die LINKE ihre ungekürzten Forderungen in die Verhandlung einbringen, unabhängig von der Haushaltslage, auch wenn klar ist, dass diese sich gegenwärtig nicht voll finanzieren lassen. DIE LINKE ist bereit, Kompromisse zu machen, aber nur wenn es dabei um Verbesserungen geht und nicht um weniger Verschlechterungen. Wieviel zusätzliche Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen werden, ist verhandelbar. Stellenkürzungen sind nicht verhandelbar. DIE LINKE muss heute betonen, was sie auf keinen Fall mittragen wird und wo die Grenze ihrer Kooperationsbereitschaft liegt:
- Kein Sozialabbau
- Kein Personalabbau
- Keine Beibehaltung der Studiengebühren. Statt der schrittweisen Absenkung, wie sie die SPD vorschlägt, will DIE LINKE die vollständige Abschaffung der Studiengebühren.
- Eine finanzielle Ausstattung der Kommunen, die es ihnen ermöglicht öffentliche Aufgaben zu leisten und den Druck zu privatisieren minimiert.
- Öffentlichen Gelder für Opel nur mit öffentlicher Beteiligung und Garantie für Arbeitsplätze und Löhne
Die LINKE muss heute eine politische Haltelinie errichten, die für alle Wählerinnen und Wähler- klar nachvollziehbar ist. DIE LINKE hat sich zum Ziel gesetzt, Sozialabbau zu bekämpfen. Sie kann nicht gleichzeitig an der Regierung Sozialabbau rechtfertigen und Widerstand dazu aufbauen. Die Erfahrung in Berlin und Brandenburg zeigt: Die Regierungsbeteiligung bringt DIE LINKE von den Forderungen der Beschäftigten ab und schwächt den Widerstand.
Auch nach der NRW-Wahl steht als zentrale Aufgabe der LINKEN der Aufbau von Widerstand gegen Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung. Der Protest in Griechenland gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Bevölkerung zeigt, wie viel wichtiger außerparlamentarische Aktionen als eine „linke" Regierung ist. Dort wollten wütende Demonstranten das Parlament stürmen, während drinnen eine „linke" Regierung den Sparpaketen zustimmte.
Keine italienischen Verhältnisse
Schlimmer als ein Verbleiben der CDU an der Regierung wären Berliner oder italienische Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen. In Berlin hat die Beteiligung der LINKEN an einer Politik des Sozialabbaus dazu geführt, dass sich ihr Stimmenanteil im Jahr 2006 gegenüber der letzten Landtagswahl nahezu halbiert hat. Sie hat Sozialabbau, Bildungs- und Lohnkürzungen und Privatisierungen mitgetragen, um den Haushalt nach dem Bankenskandal zu konsolidieren. DIE LINKE enttäuschte viele Anhängerinnen und Anhänger und potentielle Wähler im linken Spektrum. In der Berlin und Brandenburg hat die LINKE für sogenannte „Leuchtturmprojekte", die sie zum „Einstieg in den Politikwechsel" hochjubelt, ihre eigenen Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und des Sozialismus aufgegeben. Ergebnis ist: In Brandenburg stimmt DIE LINKE einer Streichung von 10.000 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2019 zu, während sie gleichzeitig einen minimalen öffentlichen Beschäftigungssektor mit schlechteren Löhnen aufbaut.
In Italien hat die Schwesterpartei der LINKEN „Rifondazione" als Teil einer Mitte-Linksregierung von 2006 bis 2008 eine Politik der Kriegsbeteiligung, des Sozialabbaus und der Verarmung durch Steuererhöhungen mitgetragen. Immer hat die Parteiführung argumentiert, dass sonst das „größere Übel" in Gestalt einer Rechtsregierung Berlusconi zurückkehrt. Man wollte das „kleinere Übel" retten und hat gerade dadurch die Rückkehr des angeblich „größeren Übels" beschleunigt. Bei der Wahl 2008 ist die Rifondazione gar nicht mehr ins Parlament gewählt worden. Die konservative und rassistische Rechte ist seitdem im Aufwind.
Blockadeinstrument Bundesrat?
Ein Argument das für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN in NRW ins Feld geführt wird ist, dass dadurch die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat gebrochen wird. Das würde eine Neuauflage der Strategie Lafontaines gegen Kohl in den Jahren 1996 bis 1998 ermöglichen, als die SPD-Bundesratsmehrheit Kohls Gesetze blockiert hat.
Natürlich wäre es gut, wenn zum Beispiel die Gesundheitsreform mitsamt der Kopfpauschale gestoppt würde. Doch dazu bedarf es keiner Regierungsbeteiligung der LINKEN – selbst bei einer Großen Koalition in NRW wäre die schwarz-gelbe Mehrheit gebrochen, die CDU müsste Rücksicht auf die SPD nehmen.Ob die SPD ihrerseits im Konfliktfall Rücksicht auf die Interessen ihrer Wähler nimmt, und unsoziale Politik im Bundesrat ablehnt, steht in den Sternen. Die Bundesregierung ist dazu übergegangen, einzelne Länder mit finanziellen Zugeständnissen aus Blockadefronten herauszukaufen – siehe die Verhandlungen zum „Wachstumsbeschleunigungsgesetz" letzten Herbst. Eine Blockademehrheit ist also keinesfalls sicher. Zudem hat die SPD gegenüber der LINKEN auf Länderebene großes Erpressungspotential, weil sie immer auf Konzessionen auf Länderebene drängen kann, um die Blockademehrheit nicht zu gefährden. Außerdem wäre die Rückkehr einer schwarz-gelben Mehrheit wahrscheinlich, wenn rot-rot-grüne Landesregierungen wegen Kürzungen wieder abgewählt würden.
Auch das historische Argument trifft nicht: Die Kohl-Regierung ist nicht wegen der SPD-Blockade abgewählt worden. Entscheidend war der Stimmungsumschwung nach der großen gewerkschaftlichen Mobilisierung gegen das Sparpaket 1996 und die erfolgreichen Streiks um die Lohnfortzahlung. Sozialer Widerstand hat das letzte Mal Schwarz-Gelb beendet – wir sollten daran arbeiten, dass es wieder so wird.
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